Das feministische Paradox

Büchersonntag, Folge 24: Sophie Kaiser warnt in ihrem Buch „Backlash“ vor einer Zunahme männlicher Gewalt

Was ist der Nährboden für den Backlash, für den massiven Hass auf Frauen und für die steigende Gewalt? Das fragt Susanne Kaiser in ihrem Buch Backlash, das Bezug nimmt auf das gleichnamige Buch von der Pulizer-Preisträgerin Susan Faludi: Backlash – The Undeclared War Against American Women. Faludi, die auf die 80er-Jahre in den USA rekurriert, bestimmt diesen Backlash als fortlaufenden Zyklus aus feministischem Fortschritt und Rückschritt. Auf Zeiten der reaktionären Feindschaft gegenüber dem Feminismus folgen Zeiten der Akzeptanz, die wiederum ihrerseits abgelöst werden von revisionistischen Tendenzen.

Das feministische Paradox

Kaiser – anders als Faludi – sieht allerdings kein Pendel mehr ausschlagen, sondern sich eine Schere öffnen. Bewegungen und Gegenbewegungen folgen nicht zeitlich aufeinander, sondern lassen gleichzeitig unterschiedliche Lager auseinanderklaffen. Ihre These lautet daher: Je gleichgestellter, anerkannter und sichtbarer Frauen in der Öffentlichkeit sind, je mehr Machtpositionen sie einnehmen können, desto mehr Gewalt erfahren sie, weil sie Frauen sind. Dabei ist die Palette breit und reicht von Hasskampagnen, Hetze, Stalking, sexuellen Übergriffen bis zu Femiziden und häuslicher Gewalt. Kaiser nennt diese Koinzidenz von Fortschritt und Gewalt das „feministische Paradox“.

Im Buch kritisiert die Autorin, die auch für die „Zeit“, den „Spiegel“ und den „Deutschlandfunk“ schreibt, dass sich die öffentliche Wahrnehmung oft nur auf die Fortschrittsseite der Entwicklung richtet. Das mag zwar nicht ganz stimmen, da immer wieder von schrecklichen Taten gegen Frauen berichtet wird, aber es stützt die wiederum berechtigte These, dass noch immer in vielen Bereichen eine patriarchale Logik vorherrscht: von der Medizin über die Unternehmensführung bis hin zu Stadtplanung, die weiterhin von und für Männer gedacht werden. Kaisers Buch trägt dazu bei, diese verengte Perspektive zu erweitern.

Und noch eine weitere These macht das Buch durchaus lesenswert: Es versucht zu zeigen, warum der gegenwärtige Wandel des Männlichkeitsbildes von vielen Menschen als großer gesellschaftlicher Kontrollverlust wahrgenommen wird. Kaiser erzählt in ihrem Buch Geschichten von Frauen aus der so genannten Mitte der Gesellschaft. Aus ihren Gewaltbeschreibungen lassen sich Muster erkennen. Die gewalttätigen Männer sind vom Typ her ambivalent. Sie bedienen nicht das Klischee vom rüden bildungsfernen Schläger. Vielmehr, so Kaiser, sei zu beobachten, dass Gewalt auch von solchen Männern verübt wird, die im öffentlichen Raum sogar progressive bis feministische Ansichten vertreten, und sie sind durchaus nicht bildungsfern, sondern auch in akademischen Kreisen zu finden. Aber in den eigenen vier Wänden denken und handeln sie zutiefst patriarchal und machen oft feministische Errungenschaften rückgängig. Das beginnt bei der Einschränkung der finanziellen Unabhängigkeit über die Abwertung von Entscheidungen und Grenzen bis hin zur Übertretung sexueller Selbstbestimmung. Damit hat die Gewalt gegen Frauen eine neue Dimension angenommen. Sie wird perfider und schwerer erkennbar.

Erklärungen

Nun kann die Lösung des Problems nicht in der schicksalhaften Annahme dieser revanchistischen und revisionistischen Tendenzen liegen. Deshalb muss gefragt werden: Wie lassen sich diese Widersprüche erklären? Und noch wichtiger: Wie lässt sich die Gewalt stoppen?

Kaiser erklärt das feministische Paradox mit dem Aufkommen einer großen Spannung in diesen latent gewalttätigen Männern: Einerseits wollen sie zur gesellschaftlichen Avantgarde gehören, die sexistisches und misogynes Verhalten nicht mehr tolerieren, andererseits haben sie große Angst davor, die Kontrolle zu verlieren. Mit Gewalt bringen sie daher Frauen dazu, sich wieder aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen, ihre Karrieren abzubrechen oder aus dem sozialen Umfeld zu isolieren. Es betrifft Frauen aus der Mittelschicht ebenso wie prominente Frauen. Besonders eklatant, so lässt uns Kaiser mit Verweis auf eine Studie des Allensbach-Instituts wissen, scheint dies der Fall bei Politikerinnen zu sein, und hier insbesondere solche mit Migrationshintergrund.

Ursachen

Kaiser beschreibt nun eindringlich die beiden extremen Seiten innerhalb der Gesellschaft: einerseits die der Frauen, die lieber keine als eine toxische Beziehung eingehen wollen, die für ihre Sichtbarkeit kämpfen und ihre Freiheit. Andererseits die der Männer, die unfreiwillig enthaltsam leben, in ihrem Männlichkeitsbild gekränkt und damit haltlos fühlen und schließlich zu Frauenhassern und Gewalttätern werden.

Kaisers Beispiele erschrecken: Da ist die Frau des Richters, der vom Ehemann untersagt wird zu arbeiten; da sind die Incels auf TikTok, die Hass gegen Frauen verbreiten; da gibt es Frauenhäuser, die eher Gefängnisse sind, währenddessen die Peiniger draußen in Freiheit herumlaufen dürfen; da gibt es neue Gesetze gegen Abtreibung in Texas usw. Die Liste der Versuche, Frauen wieder in überholte Rollen zu drängen, ist lang.

Kaiser, die auch Nahost-Journalistin war, besticht in ihrem Buch mit vielen Fakten, die nicht zu leugnen sind. Sie recherchiert seit zwei Jahrzehnten zu diesem Phänomen, hat mit Betroffenen gesprochen, Daten analysiert und ordnet sie gesellschaftlich und politisch ein. All das wird belegt mit Studien und Quellen. Besonders bedenklich ist dabei der Befund, dass besonders in Staaten, wo die Gleichberechtigung besonders wirkmächtig war, der Backlash, also die Gegenreaktion, besonders stark ist.

Die strukturelle Logik der Misogynie umfasst ein komplexes Zusammenspiel von Diskursen, Rollenvorstellungen, Verhaltensweisen, Regeln, Vorurteilen, Erziehungsmethoden und Ansichten, die vor allem dem Erhalt männlicher Herrschaft dient. Dabei ist Gewalt nur eine Erscheinungsform, die an der Spitze steht. Darunter folgen alltäglichere Formen der Herabwürdigung und Beschämung bis zur Geringschätzung ihrer Arbeit, die sich etwa im Gender Pay Gap ausdrückt oder der Nichtbeachtung der Perspektive von Frauen. Damit ist Misogynie allgegenwärtig.

Kaiser erklärt die Gewalt gegen Frauen gerade mit diesem Vakuum, das genau deshalb entstanden ist. In diesem gekränkten Anspruch liegt für sie – wie für andere Männlichkeitsforscher – der Nährboden der Gewalt und des Hasses gegen Frauen. Weil Männer mit dem Anspruch aufwachsen, dass ihnen Frauen emotionale und soziale Zuwendung schuldeten.

Was tun?

Den Behörden ist das Problem der zunehmenden Gewalt gegen Frauen bekannt. Auch der Wissenschaft und den Medien. Und doch wird so wenig dagegen getan. Aber weder in der Forschung noch in anderen Bereichen ist es leicht, die männliche Dominanz zu brechen. Erst allmählich widmen sich die unterschiedlichen Bereiche mit geänderter Perspektive auf Frauen – sei es in der Medizin, bei Werkzeugen, Autogurten, Bürotemperatur. Der Mann ist nicht mehr Maß aller Dinge.

Kaiser rät nun unter anderem, von anderen Ländern zu lernen, etwa von Spanien oder Frankreich, wo eine Software Hochrisikofälle analysiert und die Gewalt gegen Frauen halb so hoch ist wie in Deutschland. Eine konsequente Strafverfolgung ist dabei ebenso unterstützend. Die Unterstützung von Schutzorten wie Frauenhäuser, aber auch die Veränderung einer städtischen Infrastruktur, in der sich Frauen sicher abends auf die Straße trauen, nicht wegzugucken und natürlich die Verbreitung von Wissen und Aufklärung über die Folgen von Gewalt sind einige Bausteine, die Kaiser empfiehlt, den gegenwärtigen Zustand zu ändern. Auch die Gesetzeslage muss geändert werden, denn in vielen europäischen Ländern gibt es zu geringe Strafen für Vergewaltigung, wenn sie denn überhaupt als solche anerkannt werden. Auch über das eigene Wahlverhalten lässt sich die Gewaltspirale kappen: etwa, indem man Chauvinisten nicht an die Macht kommen lässt. All diese Beispiele greifen das Credo der 68-Bewegung wieder auf: Das Private ist politisch und vice versa.

Kaiser ist mutig und nimmt auch vor den Rechtskonservativen kein Blatt vor den Mund. Ihre Diagnose: Sie drehen oft Täter- und Opferrolle um, diffamieren „#Metoo“-Anklagen z.B. als „Hexenjagden“. Dabei spielt die digitale Öffentlichkeit eine große Rolle, weil gerade dort anonym gehetzt werden kann. Besonders problematisch wird es für Kaiser, wenn die Normalisierung im Internet und die Bagatellisierung aus der analogen Welt zusammenkommen wie beim Stalken. Hier wünscht sich die Autorin weniger Untätigkeit der Behörden. Auch genau hier transponieren sich die Tatbestände vom Privaten ins Politische. Weil Frauen mit ihren politischen Meinungen in Männerdomänen vorstoßen, werden sie besonders angefeindet. Damit aber werden Frauen gezielt aus bestimmten Bereichen zurückgedrängt. Die Methoden, dieses Ziel durchzusetzen, werden immer perfider und sind in der politischen Mitte angekommen.

Der Kampf muss weitergehen

Kaisers Buch ist aber nicht nur eine Anklage der überholten und verkorksten Männlichkeitsvorstellungen, sondern auch getrieben von echter Sorge um die Zukunft. Sie fragt, wie die Gesellschaft aus diesem Dilemma wieder herausfinden will, wie sich also das feministische Paradox überwinden lässt. Deswegen ist sie den Mechanismen auf der Spur, wodurch sie hervorgerufen werden und schaut bis in die Schlafzimmer. Backlash setzt etwas fort, das die Autorin mit Politische Männlichkeit, ihrem 1. Buch, begonnen hat: Sie zeigt nicht nur, wie die Hassideologie die Mitte der Gesellschaft erreicht hat, sondern appelliert auch daran, wie wichtig es ist, feministische Errungenschaften zu verteidigen und sich gegen jede Form von Frauenabwertung zu wehren. „#Metoo“ hat dafür gesorgt, dass Frauen laut werden. Jedoch die Hoffnung, dass der Geschlechterkampf schon bald beendet sein wird, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: Sogar auf allerhöchster Ebene ist der Kampf brandaktuell. Während nämlich Frauen (warum auch immer!) um die Priesterweihe kämpfen, drückt Papst Franziskus sie erst neulich wieder in alte Rollen.

Infolgedessen ist es völlig folgerichtig, dass Kaiser feministische Bildungsangebote schon ab der Kita fordert. Allerdings geht sie mit der Forderung nach Sprengung jeglicher Kategorien meines Erachtens zu weit. Denn es ist sehr wohl von Bedeutung, ja sogar überlebenswichtig, in der Medizin zwischen Männern und Frauen zu unterscheiden, ebenso in vielen anderen Bereichen. Nicht die Binarität ist das Problem, sondern unser Umgang damit, nämlich unsere Belegung der Kategorien mit bestimmten Eigenschaften und Zuordnungen, die dann auch zu vermeintlichen Überlegenheits- und Unterdrückungsfantasien führen, die die Crux des Binären darstellen. Aber diesbezüglich ist einiges in Bewegung. Und das ist gut so.

Backlash – Die neue Gewalt gegen Frauen

Tropen Verlag, Stuttgart 2023

224 Seiten

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