Der Israel-Komplex

Büchersonntag, Folge 25: Das Thema Israel-Palästina ist seit dem über einem Jahr andauernden Krieg ein vermintes Gelände; es war aber schon immer schwierig, über Israel zu reden, behauptet Meron Mendel. 

Wenn man in Deutschland über Israel redet, redet man eigentlich über sich selbst. Es sei die deutscheste aller deutschen Debatten. Das behauptet zumindest der israelische Autor des Buches „Über Israel reden. Eine deutsche Debatte“. Meron Mendel veröffentlichte das Buch kurz vor dem nun schon über ein Jahr dauerndem Krieg im Nahen Osten. Für sein Buch wurde der Publizist, Friedensaktivist und Pädagoge unter anderem für den deutschen Sachbuchpreis nominiert. 

Meron Mendel leitet die Anne-Franck-Bildungsstätte in Frankfurt am Main. Als der 1976 Geborene vor 20 Jahren von Israel nach Deutschland kam, stellte er überrascht fest, welche Bedeutung Israel im öffentlichen deutschen Diskurs hat. Nahezu alle, mit denen er sprach, konnten sehr klare Positionen zu Israel und seiner Politik formulieren. ’80 Millionen Nahostexperten!‘, schmunzelte Mendel. Daran hat sich bis heute nichts geändert, findet der Autor, denn: die Haltung zu Israel ist für viele Deutsche konstitutiv für ihre eigene politische Positionierung. 

4 Themenkomplexe 

Die vier Kapitel, in die das Buch gegliedert ist, behandeln die deutsche Staatsräson gegenüber Israel, die Auseinandersetzung um den BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen), das Verhältnis der Linken zu Israel und letztlich die deutsche Erinnerungskultur. 

Mendel beschreibt, wie sich das Verhältnis der BRD zum Staat Israel von Anfang an wechselhaft gestaltete. Aus anfänglicher Distanz wurde zunehmend Nähe, wenngleich die AfD diese heutzutage gleich wieder ausnutze für ihren Anti-Islamismus. Die Beziehung zum BDS, der zum Boykott Israels aufruft, schade nach Mendel allerdings eher der Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern. Und für diese Aussöhnung tritt er ganz persönlich ein: mit einer Kolumne in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die er gemeinsam mit seiner palästinensischen Ehefrau Saba-Nur Cheema schreibt.

Sein Fazit im Buch lautet: Solange in Deutschland der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern nur als Projektionsfläche dient, um die eigene moralische Überlegenheit zur Schau zu stellen, wird keine aufgeklärte Diskussion möglich sein.  

Debatten-Kritik

Die antirassistisch auftretenden Postkolonialismus-Kritiker begreifen für Mendel Israelis als privilegierte Weiße und stehen einer ernsthaften Auseinandersetzung eher im Wege, da sie einer radikalen Identitätspolitik anhafteten und Israel damit eher dämonisieren. 

Auch die Auseinandersetzung der Deutschen mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust sieht Mendel kritisch: Er wirft ihr Eindimensionalität und die Sehnsucht nach vereinfachender Eindeutigkeit vor. Weder seien israelische Historiker Hohepriester des Holocaust noch lasse sich durch Vergleiche und die Loslösung vom Nationalsozialismus die Diskussion über Israel irgendwie “normalisieren”. Reale Widersprüche müsse man aushalten. 

Auf der richtigen Seite stehen – was heißt das? 

Meron Medel behauptet, dass viele Deutsche eine Bestätigung dafür suchen, dass sie bezüglich der Israel-Palästina-Frage moralisch auf der richtigen Seite stehen. Doch ein Entweder-Oder birgt die Gefahr, dass man die Zwischentöne überhört. Genau diese Differenzierung, das Ausleuchten der Graubereiche, das genauere Zuhören, das versucht Mendel in seinem Buch. 

Gerade im linken Milieu ist die Frage, wo man steht bezüglich des Nahost-Konfliktes, für ihn eine Art „Identitätsausweis“. Um aus dieser „Falle“ herauszukommen, empfiehlt Mendel, nicht alles immer aus der Empfindlichkeitsperspektive der Deutschen verstehen zu wollen, sondern sich in die Leute vor Ort zu versetzen. Man muss wegkommen vom eigenen Betroffenheitsstatus hin zu wirklicher Empathie für die Menschen vor Ort.  

Projektionsfläche Israel 

Wollen Menschen über andere und anderes reden – seien es Personen, Regionen oder Staaten -, ist dies in den meisten Fällen nicht ohne Einfärbung zu bewerkstelligen. Das trifft auch auf die Rede über den Staat Israel zu. Mendels Geschichten und Anekdoten sind Innenansichten eines seit Jahren in Deutschland lebenden Israelis über den für ihn merkwürdigen (west)deutschen Blick auf Israel. 

Überheblichkeit ablegen!

Zwar kritisiert Mendel all jene, für die Israel nur Projektionsfläche ihrer eigenen politischen Ansichten ist, einen Ausweg aber kann auch er nicht bieten. Den Seiltanz, den er in der Politik kritisiert, vollführt er selbst. Von der deutschen Politik fordert er eine klare Absage an rechtsextreme Tendenzen im eigenen Land, aber auch in Israel. Wie schwer das gegenwärtig ist, wenn große Teile der Bevölkerung anders wählen, sieht man gegenwärtig nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa und auch in Israel. Natürlich ist mit dem Autor zu bedauern, dass Israel nach dem Sechstagekrieg 1967 politisch falsch abgebogen sei. Aber eine Lösungsidee für den andauernden Konflikt mit den Palästinensern hat auch Mendel nicht zu bieten. 

Die Rede über Israel bleibt problematisch. Auch Mendels Buch stellt diesem Befund kein Das-sollte-man-tun oder Das-sollte-man-lieber-sein-lassen entgegen. Es gibt eben keine interessenlose Rede, kein urteilsfreies Beschreiben. Es gibt nur das Bemühen darum. 

Aber dieses Bemühen ist umso wichtiger angesichts von Terror und Krieg. Insofern wird Mendels Buch all jenen nicht gefallen, die sich solidarisch fühlen mit Palästina, um Israels Machthaber mal in die Schranken zu verweisen, aber eben auch nicht jenen, die bedingungslos zu Israel halten. Denn wo die palästinensische Bevölkerung vorm Verhungern gerettet wird, die israelische Armee aber zugleich mit Waffen beliefert wird, kippt Diplomatie entweder ins Hilflose oder ins Zynische.

Wie sähe eine couragierte politische Lösung aus? Diese Frage beantwortet Mendel mit seinem Buch nur indirekt. Voraussetzungen dafür könnten sein: selbstkritischer zu werden, den anderen versuchen zu verstehen, miteinander in direkten Kontakt zu treten, und vor allem: Überheblichkeit im Handeln und Denken abzulegen.

Meron Mendel, Über Israel reden: Eine deutsche Debatte. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023, 224 Seiten

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