Gewandhausorchester spielt Liszt und Bartók (Marcus Erb-Szymanski)

15. Februar 2001 Gewandhaus Großer SaalFranz Liszt:
Zwei Episoden aus Lenaus „Faust“: Der nächtliche Zug/
Der Tanz in der Dorfschenke (1. Mephiostowalzer);
Totentanz, Paraphrase über „Dies irae“ für Klavier und OrchesterBéla Bartók:
Der wunderbare Mandarin

Gewandhausorchester, Dirigent: Mario Venzago, Klavier: Dezsö RankiLiszt und die Moderne und die neuesten Publikumstands-Meldungen im Leipziger Gewandhaus

Nein, das war durchaus kein übliches Programm für das Gewandhausorchester. Kein Brahms, sondern Liszt, kein Mahler, sondern Bartók. Die Reserviertheit des Leipziger Publikums gegenüber der Moderne ist bekannt. Insofern sind die Publikumsstand-Meldungen im Zuschauerraum des Gewandhauses immer ein sicheres Zeichen für die Modernität eines Komponisten. Mahler geht als klassisch noch durch, Liszt dagegen nicht und Bartók schon gar nicht, dabei ist er auch nicht so sehr viel jünger als Mahler.

Aber wir wollen nicht übertreiben, ganz so wenige Besucher waren es nun auch wieder nicht. Doch unabhängig davon bewahrheitete sich einmal mehr die Zeitlosigkeit von Liszt. Und damit erwies sich auch die Zusammenstellung mit Bartók als Glücksgriff des Schweizer Gastdirigenten Mario Venzago, der ?Zwei (symphonische) Episoden“ aus Lenaus Faust (u.a. den unvergleichlichen „Mephisto-Walzer“) sowie den „Totentanz“ für Klavier und Orchester mit Bartóks „Wunderbarem Mandarin“ verband.

Liszt gehört zu jenen Komponisten, für die seinerzeit die klassische Form nur noch ein Alibi war, um sich innerhalb ihrer ganz ungeniert ausschweifenden Improvisationen hinzugeben. Diese Art müsste man selbstherrlich nennen, wenn sie denn bei Liszt nicht wirklich herrlich wäre. Zumal man bei genauerer Betrachtung feststellt, dass sich alle Entwicklungen auf einfache Grundmotive zurückführen lassen, die immer wieder im rechten Moment wie Bojen auf hoher See auftauchen. So auch im Totentanz, der eine Paraphrase über „Dies irae“, eine alte gregorianische Weise, ist. Wenn das Motiv erscheint, dann ist es deutlich präsent. Das Pathos macht bei Liszt nicht viele Worte und scheut sich auch nicht vor aufdringlicher Präsenz. Dennoch wäre Liszt nicht Liszt, würde er nicht das Warten auf das Verklingen längerer Notenwerte als Zeitverschwendung betrachten. Ganz gleich, ob die Themen wuchtig oder poetisch, zornig oder meditativ erklingen, zwischenzeitlich hat der Pianist immer alle Hände voll zu tun. Sei es, dass er mit dem breiten Pinsel die groben Formen durch Glissandi einfärbt, sei es, dass er sie mit filigranen Glöckchketten umgarnt. Auf diese Weise entstehen die typisch Lisztschen Klangkaskaden, die stets in klaren Linien gefasst und dennoch mit betörenden und faszinierenden Farbtönen gemalt sind. Bei einem guten Pianisten wird Liszt immer zu einem großen Ereignis.

Etwas über den Solisten des Abends, Dezsö Ranki, den dritten Ungarn im Bunde, zu sagen, erübrigt sich. Es fehlen die Worte, wenn das Ohr jubiliert. Die Farbvielfalt, die Ranki aus einem einzelnen Instrument herausholt, ist der des Orchesters durchaus ebenbürtig und die dynamischen Abstufungen (vor allem im Bereich des Pianissimo) übertreffen es gar. Und wenn er dann als Zugabe noch Schuberts berühmtes Impromtu in Es-Dur spielt, butterweich aber glasklar, so schnell, dass es fast schon impressionistisch wirkt, aber dennoch Form und Kantabilität wahrend, dann ist das ein Zeichen für wirkliche Größe und Souveränität. Zumal Schubert auch konzeptionell gut zu Liszt passt, da dieser bekanntlich so manches Schubertstück überlisztet und dadurch dem großen Publikum erst bekannt gemacht hat.

Wie man auch ein Publikum an Neue Musik heranführen kann, hat Venzago im zweiten Teil des Abends eindrucksvoll vorgeführt. Mit wenigen Worten, unprätentiös und herzlich, macht er die Zuhörer mit der Geschichte, den Umständen und wesentlichen Zusammenhängen von Bartóks Komposition vertraut. Das reichte vollkommen, um das Werk gut nachvollziehen zu können und auch, um zu verstehen, dass bei Bartók ähnlich wie bei Liszt, mehr eine äußere Geschichte als eine innere Harmonie die Musik bestimmt. Und ist die Geschichte schaurig, dann ist es die Musik eben nicht weniger. Aber gerade dadurch ist ihre Sprache sehr direkt und eindringlich. Da Venzago auch als Dirigent versucht, die Dramaturgie des Werks sehr plastisch herauszuarbeiten, gewinnt die Musik durch ihre Gestalt an Schönheit. Das bedeutet aber nun nicht mehr, dass sie auch „schön“ im Sinne von „harmonisch“ ist. Wenn das Publikum hinterher mit dem Applaus nur schwer in die Gänge kommt, dann deshalb, weil die Musik ihre Wirkung zeitigt. Letztendlich ist der Applaus nicht weniger herzlich als der Hörer nachdenklich.

(Marcus Erb-Szymanski)

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