Ein Gespräch mit Henri Maier, dem neuen Intendanten der Oper Leipzig (Beate Hennenberg)

?Ich werde da sein?

Ein Gespräch mit Henri Maier, dem neuen Intendanten der Oper Leipzig

Henri Maier, Nachfolger Udo Zimmermanns als Intendant der Oper Leipzig, schwört auf Kooperation mit nahen und fernen Kulturinstituten.

Am 1. August 2001 tritt Henri Maier, bislang Generaldirektor der beiden Opernhäuser in Montpellier und vorher in Paris und im Elsass in der Musikverwaltung tätig, in Leipzig mit kraftvollen Taten und Aktionen an. Der 55-jährige will nicht nur neue Farben ins Repertoire bringen und durch gekonntes Marketing ein neues Publikum rekrutieren, sondern er ist dabei, ein stabiles, fähiges Sängerensemble aufzubauen. Im Gespräch äußerte Maier visionäre kosmopolitische, europäische Gedanken, die dem Kunstinstitut Oper nur helfen können, sich auf sich selbst zu besinnen.

Am ersten August werden Sie ? selbst ehemals Generaldirektor – Ihr neues Amt übernehmen, das wiederum die Direktion zweier Häuser beinhaltet. Was werden Ihre ersten Taten sein?

Zu den künftigen Synergieeffekten nicht nur meiner beiden neuen Häuser, sondern zahlreicher anderer Kulturinstitutionen Leipzigs später. Aber – was heißt erste Taten, wir arbeiten seit achtzehn Monaten bereits an der Leipziger Oper. Dabei haben wir beste Kontakte mit dem Team geknüpft, das teilweise weiterhin mit uns arbeiten wird.

Udo Zimmermann nimmt so ziemlich den ganzen Verwaltungstross mit nach Berlin?

Gar nicht so wenige Mitarbeiter aus dem Dramaturgie- und Pressebereich werden weiter mit uns arbeiten. Neu zu uns gestoßen ist der Chefdramaturg, Dr. Bernhard Helmich aus Dortmund, derzeit dort auch Referent des Intendanten. Meine Frau, Dani Maier, wird verantwortlich sein für den ganzen Bereich der Kommunikation. Und mir persönlich liegt die Pflege der Kontakte mit der wichtigen europäischen Presse am Herzen, in der Leipzig ? entgegen anderslautenden Beteuerungen ? nicht vorkam. Oder ist in den letzten Jahren je ein Kritiker der Financial Times, von Le Monde oder El Pais her gereist? Da kommen erst europäische Dimensionen ins Spiel.

Was waren die ersten Überlegungen nach Sichten des Status quo?

Leider ist es ein zu kleines Repertoire, das ich erbe. Das muss ich langsam wieder hegen und wachsen lassen. Wobei das große Opernhaus mir die meisten Pläne abverlangt. Denn in der Musikalischen Komödie haben wir mehr Repertoire. Obwohl diese wie auch das große Haus derzeit Sanierungsfälle sind. Die Gebäudesanierung ? ein kleiner Exkurs ? ist mit mehreren Millionen Mark veranschlagt, was für die nächsten Jahre ein umsichtiges Wirtschaften verlangt. Das Opernhaus ist 40 Jahre nicht gründlich saniert worden. Wir erneuern unter anderem den Brandschutz und aktualisieren die Bühne. Ich habe in Paris und Montpellier damit beste Erfahrungen gemacht: die Bauarbeiten wurden in die spielfreie Zeit gelegt, und zu Spielbeginn glänzte alles wie neu!

Noch einmal zurück zum Repertoire…

Beide Häuser werden weiter bespielt, es kommen neue Farben dazu. Den roten dramaturgischen Faden würde ich mit dem Begriffspaar Fantastisches-Romantisches bezeichnen. Auf dieser Linie liegt Offenbach, zum Beispiel. Im großen Haus wird es künftig ? neben zahlreichen Opern – mehr Operette geben, wir haben schon ein Projekt angeschoben, Pariser Leben. In der Presse waren unsere aktuellen Premierenvorhaben bereits angekündigt, wir machen 2001/ 2002 Offenbachs Hoffmanns Erzählungen, Verdis Don Carlo, Lortzings Wildschütz, Berlioz?La Damnation de Faust sowie die konzertant aufgeführte Oper Hochzeit des Camacho, die Mendelssohn Bartholdy im Alter von 14 Jahren schrieb, und einen Verdi-Chorabend. Wir werden neue Lösungen auch im kleinen Haus finden, etwa in Richtung Musical und heutigen Entwicklungen der leichten Muse.

Die Leipziger Presse hatte sich am Ende der Zimmermannschen Ära nur noch auf die mangelhafte Auslastung des Publikums eingeschworen.

Das Problem ist folgendes. Die Auslastung ist nicht schlecht, zumal bei einem solch großen Theater, wie es das Leipziger mit 1450 Plätzen darstellt. Die vergangene Spielzeit brachte eine Auslastung von 63 Prozent, immerhin; und Falstaff allein brachte es auf 100 Prozent. Dennoch, ich achte auf die Auslastungs- und Besucherzahlen. Das bedeutet aber nicht nur Kontrolle, sondern Aktion. Ich werde demnach alle Kraft auf die Bildung neuer Publikumsschichten richten. Das bedeutet: Marketing. Das wird eine meiner Hauptstrategien sein ? und ich wundere mich, warum die vorangegangene Direktion nicht mehr Mittel diesem Bereich gab. Die Zahl von Vorstellungen muss auch steigen.

Stichwort Marketing, erklären Sie dies bitte etwas genauer?

Ich werde alles, was mit Marketing zusammenhängt, entwickeln und verstärken und mich ganz vehement einsetzen. Ich werde mich persönlich darum kümmern. Das heisst, ich gehe in die einschlägigen Kreise, ich betreibe Lobbying, ich gehe auf die Leipziger mit einem persönlichen Verhältnis zu ? werde also nicht im Elfenbeinturm sitzen, ich werde da sein. Das wird zwei, drei Jahre dauern, bis ich den Mitbürgern erklärt habe, dass die Oper ihren Platz in der Stadt hat, dass sie da richtig ist: Jeder Bürger hat seinen Platz in dieser Oper. Alle, die Jungen, die Etablierten, der Bourgeois, auch die, die kein Geld haben. Dani Maier wird sich als Leiterin der Kommunikation gemeinsam mit dem Chefdramaturgen um ein einheitliches Erscheinungsbild der Oper kümmern, von der Direktion bis zur Kasse. Dieser Pool arbeitet zusammen, intellektuell, im unternehmerischen Denken, kundenorientiert. Wir haben uns mit einer Werbeagentur beraten, die sich um das Bild der Oper kümmert.

Und – da komme ich zum Anfang zurück ? wir werden mit den anderen Häusern der Stadt, mit dem Gewandhaus, mit der Musikschule, der Musikhochschule, dem Thomanerchor und dem Theater abstimmen. Die Leute, die dort im Marketingbereich arbeiten, kooperieren mit uns mit dem Ziel, dass sich jeder Bürger der Stadt in unseren Häusern heimisch fühlt. Die Häuser dürfen sich nicht als Konkurrenten verstehen. Denn wenn das Gewandhaus volle Säle hat, haben wir diese auch. Das bringe ich als Idee von Frankreich mit.

Zur Kunst: Wie sieht das Ensemble derzeit aus? Es gab einige Publikumslieblinge…

Das Solistenensemble besteht derzeit aus 25 SängerInnen. Wir haben einige Solisten übernommen, darüber hinaus haben wir Sänger mit monatlichen Verträgen und solche mit Teilspielzeitverträgen. Außerdem haben wir namhafte Gäste, die vielmals kommen. Ich freue mich auf Eun Yee You, auf James Moellenhoff, Martin Ackermann, Jean-Luc Viala oder Petri Lindroos. Es kommt übrigens kein Franzose ins Ensemble, die sind noch nicht gut genug! Die Idee ist, dass wir das Ensemble weiterentwickeln, etwa auf dreißig Personen. Wir wollen zu dem Punkt kommen, dass so ziemlich alle Partien von Sängern unseres Hauses gesungen werden können. Natürlich, die Hochdramatischen sind immer schwierig zu bekommen…

Blenden wir über zur zeitgenössischen Oper, dem Steckenpferd Ihres Amtsvorgängers…

Mich interessiert die neue Musik sehr, moderne Opern werde ich auch bei mir am Hause geben. Wir haben drei große Projekte: Wir beginnen mit Ballata von Francesconi, einer Deutschen Erstaufführung, die in Koproduktion mit Brüssel und Florenz entsteht. Inhaltlich geht es um Fantastisches-Romantisches, wie sich denn so alles in der ersten Spielzeit unter diese Begriffe einordnen ließe. Als zweite Oper gibt es eine Welturaufführung, Der schwarze Mönch von Philippe Hersant, das Sujet ist nach Tschechow. Diese Oper, ein Auftragswerk von mir, bringen wir gemeinsam mit Montpellier heraus, wobei sie in Leipzig zuerst zu hören sein wird. Als drittes Werk möchte ich Peter Eötvös? Angels of Amerika nennen, ebenfalls eine deutsche Erstaufführung, die in Kooperation mit Paris entsteht.

Welche regionalen Projekte möchten Sie verwirklichen?

Mich interessiert der kulturelle Tourismus, obwohl das nahe Dresden volle Säle hat und wir noch nicht ganz – in diesem Jahr, im nächsten kann es schon ganz anders aussehen. Warum können wir nicht ? ein Beispiel ? einige Opern in Packages vorbereiten und diese den Touristen, die das Musikland Sachsen besuchen, anbieten? Wir könnten sagen: In dieser Periode können wir euch dieses und dieses Werk in Dresden und diese beiden anderen in Leipzig anbieten. Warum soll man nicht freundlich miteinander arbeiten und Ressourcen nutzen? Die Kontrakte mit dem designierten Intendanten haben schon stattgefunden.

Welche Projekte für die Stadt gibt?s?

Nächstes Jahr haben wir bereits zehn ausgezeichnete Gesangsstudenten der Hochschule für Musik Mendelssohn Bartholdy ausgewählt, die im Rahmen ihres Studiums bei uns kleine Partien singen und auch covern. Viele studieren Partien mit, einige kleinere und einige auch größere. Was Covering anbelangt, so müssen wir, falls jemand kurzfristig erkrankt, nicht erst teure Gäste einfliegen lassen.
Stichwort Theater: Wolfgang Engel, international ein gefragter Opernregisseur, macht bei uns jetzt den Don Carlo. Wir kooperieren beim Marketing mit dem Theater, wollen gemeinsame Abos herausgeben, haben Ideen für den Tag der offenen Tür. Hier werden wir viel entwickeln.

Stichwort Gewandhaus: Ich hatte mit Herbert Blomstedt ein wichtiges Gespräch, und wir sind uns in allen Fragen einig. Er ist ? für mich ? der eigentliche GMD des Hauses. Das Gewandhaus hat einen musikalischen Chef heute, das ist Herr Blomstedt. Wir werden vielleicht einen Ersten Kapellmeister einstellen, aber der Chef des Orchesters ist Blomstedt. Alle Dirigenten, die wir ab nächstem Jahr gastweise engagieren, werden mit ihm abgestimmt sein. Und noch ein Gedanke: Wir haben kürzlich mit der Gewandhausleitung die Spielpläne der nächsten vier Jahre abgestimmt, das hat niemand zuvor gemacht. So können wir gemeinsam intelligent zusammen arbeiten.

Wie sieht es aus im Mikrokosmos, also am eigenen Haus? Gibt es Visionen für den Chor, fürs Ballett, für die, die nicht immer genannt werden im Programmzettel ?

Der Chor wird durch unsere Programme hochgehoben. Wir spielen dieses Jahr doch fast nur Chorwerke, Wildschütz, Don Carlo und La Damnation de Faust. Der Chor ist froh, dass er endlich wieder gefordert wird. Wir werden die Anzahl der Ballettabende ab nächste Saison erhöhen und mehr Tourneen veranstalten.
Wo steht die Leipziger Oper in fünf Jahren? Welches mittelfristige Ziel haben Sie sich gesetzt?
Die Leipziger Oper muss in der Opernkonferenz bestehen, dafür werde ich in der Europäischen Organisation der Musiktheater sorgen. Und sie muss absolut in der europäischen Opernwelt bekannt werden. Außerhalb Deutschlands ist die Oper nicht bekannt, anders als das Gewandhausorchester, als Uwe Scholz und das Leipziger Ballett, als der Thomanerchor.

In fünf Jahren müssen sich die Leipziger in ihrem Haus wohlfühlen und mit immer großer Neugier kommen. Es werden die Journalisten aller großen Zeitungen Europas den Weg nach Leipzig gut kennen. Man wird dann von dieser Oper sprechen, die Inszenierungen und musikalischen Leitungen diskutieren, hassen oder lieben, immer aber gerne Gast in diesem lebendigen Leipzig sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

(Das Gespräch führte Beate Hennenberg.)

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