Premiere: „Gagarin Way” von Gregory Burke (Babette Dieterich)

27.09.02 Schauspiel Leipzig, Horch und Guck

Premiere „Gagarin Way“ von Gregory Burke


Vertracktes Himmelfahrtskommando

Überraschung. War nur ein belegtes Brötchen drin gewesen in der ominösen Blechkiste. Hatte der zappelige Wachmann Tom (Stefan Kaminsky) ziemlich überflüssigen Smalltalk gemacht mit der Geisel und ihren Entführern, um Eddie (Thomas Dehler) davon abzuhalten, aus der Blechkiste Folterwerkzeug hervorzukramen. Weil der gerade Lust bekam, die Geisel zu foltern. Aber irgendwie war er wieder von der Idee abgekommen. Doch irgendwie ein Mensch, der Eddie.

Und ein gebildeter noch dazu. Autodidakt. Wie der Autor des Stückes „Gagarin Way“ selbst: Gregory Burke. Mit Eddie wollte er auch anderen ehemaligen Kollegen ein Denkmal setzen, die er bei seinen diversen Kurzzeitjobs kennengelernt hatte. Am Anfang des Stückes lässt sich Eddie redegewandt und wütend zugleich über Sartre aus, über sein Verhältnis zu Genet, diesen Vorzeigeverbrecher, für den sich die Intellektuellen, Sartre voran, stark machten, um ihre politische Gesinnung zu demonstrieren. Und sie bekamen ihn aus dem Gefängnis raus, und er durfte weiterklauen. Juckte Sartre wenig, wenn ihm plötzlich ein paar Löffel fehlten. Da staunt der Wachmeister Tom über das französische Rechtssystem.

Eigentlich macht Tom diesen Job in der Computerfirma nur vorrübergehend. Er hat ein Diplom in Politik und will Karriere machen. Hat fünf Bewerbungen laufen. Ist bestimmt nächste Woche schon nicht mehr hier. Das sagt er Eddie aber nicht zu laut. Der macht seinen Job bereits sieben Jahre. Was er genau macht, bleibt unklar, vermutlich etwas ähnlich Anspruchsvolles, wie der Autor selbst erlebt hat: „Der bescheuertste (Job) war in einer Computerfirma. Da saß ich an einem Fließband, und Tintenpatronen rollten an mir vorbei. Alle zwei oder drei Stunden hab ich eine in die Hand genommen und gewogen.“ Genügend Zeit, um über seinen Erstling „Gagarin Way“ nachzudenken. Der dann zum Sensationserfolg des Edinburgh Fringe Festival 2001 wurde, und jetzt von Oslo bis Ljubljana gespielt wird. Inklusive der heutigen deutschen Erstaufführung, parallel hier in Leipzig und in Essen.

Tom weiß nicht so recht, was Eddie plant. Aber so ein bisschen daran mitverdienen will er schon. Dann schleppt Gary (Günter Schoßböck) einen Typen (Bernd Stübner) rein und Tom kapiert, dass es hier um mehr geht, als um Einbruch. Wer ist der Kerl? F., wie das Publikum durch Einblendung erfährt. Wie überhaupt alle Protagonisten durch Namenseinblendungen auf ihren weißen Westen ins Stück eingeführt wurden. Überhaupt, dieses sterile Weiß in Weiß der Computerfirma, der graue Namenszug „TECH“ an der Wand, gefühlskalte Umgebung, da kontrastiert dann am Ende des Stückes besonders gut das Blut. Doch davon später.

Wer ist F.? Großes Entsetzen bei Gary, auch Eddie kapiert’s nicht gleich: „Er ist wie wir. Kein Japaner!“ Da dachten die beiden, sie setzen ein Zeichen gegen die Globalisierung der Welt, indem sie den Berater und Gutachter der Computerfirma entführen und umbringen. Der sie ohnehin nur wegrationalisieren wollte. Und jetzt stimmt das Feindbild nicht mehr. Das gerät noch mehr ins Wanken, als der Typ zu Besinnung kommt und F. sich als Frank rausstellt. Nicht mal die Ami-Theorie stimmt, der Kerl stammt aus derselben Region wie seine Entführer, einer ehemaligen kommunistischen Hochburg. Gagarin Way heißt da eine Straße, benannt nach dem gleichnamigen russischen Kosmonauten. Vertracktes Himmelfahrtskommando, diese Entführung.

Frank ist sogar sympathisch, hat Familie, die er aber selten sieht, hat mit seinen Ende 50 wenig zu verlieren, kann die Jungs verstehen, belächelt ein wenig ihre anarchistische Haltung. Worauf warten die noch? Auf Godot bestimmt nicht, der gerne als Vergleich zu diesem Stück herbeizitiert wird. „Sie haben sich entschieden, wer ich bin.“ Eddie entschuldigt sich für die peinliche Situation, „Es ist das erste Mal für uns, wir üben noch.“ Eine weitere Panne passiert: Der Revolver, den Gary besorgt hat, enthält keine Patronen. Also schlachtet Eddie den Berater mit dem Messer ab. Tackert seine Ärmel an die Wand, dass er dahängt wie ein Gekreuzigter. Und das sterile Weiß ist blutverschmutzt, einschließlich der nagelneuen, rosafarbenen Joggingjacke von Eddie, was diesen verständlicherweise in Wut versetzt. Ob Tom als Zeuge auch noch dran glauben muss, bleibt offen.

Die Inszenierung von Thorsten Duit lebt von der großen körperlichen Präsenz der Schauspieler. Die einschüchternde Brutalität von Eddie (Thomas Dehler) ist von Anfang an greifbar. Tom (Stefan Kaminsky) in seiner spätpubertären Unruhe sorgt immer wieder für komische Situationen. Günter Schoßböck spielt überzeugend den zögerlichen Mittäter Gary, und Berndt Stübners angeschlagener Frank wankt glaubhaft über die Bühne. Die Dialoge sind präzise, hart und schnell gesprochen. Die vielzitierte Parallele zu Beckett geht für mich jedoch nicht ganz auf: Okay, da stehen Tonnen auf der Bühne und die Jungs warten. Aber sie handeln auch. Zumindest Eddie. Und das in einer großen Brutalität, die einen am Ende doch überrascht. Und ein flaues Gefühl hinterlässt. Der Beifall trat dann auch etwas zögerlich ein.

(Babette Dieterich)

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