Jörg Thadeusz: Rette mich ein bisschen. Ein Sanitäter-Roman (Roland Leithäuser)

Jörg Thadeusz: Rette mich ein bisschen. Ein Sanitäter-Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003. 240 Seiten, ? 8,90


Taxifahrten mit Blaulicht
Jörg Thadeusz langweilt seine Leser ein bißchen

Gunnar ist ein Held. Unfreiwillig und antriebslos. Es ist sein Job, als Rettungsassistent zu Noteinsätzen zu fahren und Leben zu retten; bisweilen kommen er und seine Kollegen zu spät, dann bleibt nur noch, den Totenschein auszufüllen. Gunnar ist achtundzwanzig Jahre alt und hat sich mit seinem Lebensentwurf abgefunden. Den harten Arbeitsalltag kompensiert er mit übermäßigem Alkoholkonsum, seine sexuellen Aktivitäten beschränken sich auf das Ansehen von Pornofilmen und die lebhafte Anteilnahme an den Geräuschen, die aus dem Zimmer seiner Mitbewohnerin Sandra dringen. Sandra ist seine beste Freundin von Kindheit an, doch gemeinsam haben die beiden beinahe nichts. Sandra studiert im sechzehnten Semester Pädagogik und wechselt ihre Geschlechtspartner wie andere Menschen ihre Unterwäsche. Darüber hinaus findet sie stets Gelegenheit, Gunnar in ihre Lebensweisheiten einzuweihen.

?Rette mich ein bißchen? ist das Romandebüt des medialen Allrounders Jörg Thadeusz, Radiomoderator, Außenreporter für die Kultsendung ?Zimmer Frei?, Sportreporter und Anchorman der NDR-Satireshow ?Extra Drei? ? und ausgebildeter Rettungssanitäter. Wie sein Protagonist Gunnar verbrachte auch der Autor einige Jahre mit dieser Tätigkeit, bevor er ?erfolgreich ein Geschichtsstudium abbrach?. Ein autobiographischer Roman also: auch Thadeusz verrichtete seine Arbeit einst in Dortmund, und er bestreitet nicht, daß viele der Episoden des Romans tatsächlich so oder so ähnlich passiert sind. Manches ist natürlich überzeichnet, ein Zyniker wie der Gunnar im Buch möchte Thadeusz tatsächlich so nicht gewesen sein, auch wenn man dies, hat man ihn einmal bei seiner Tätigkeit im Fernsehen beobachtet, nicht so recht glauben mag.

Nun hat also Thadeusz einen Roman über seine bewegte Vergangenheit geschrieben, einen ?Sanitäter-Roman?, wie der Subtitel verheißt. Die Romangattung mag in ihrer langen Geschichte so manches Subgenre hervorgebracht haben, man denke nur an den Entwicklungsroman, Liebesroman, Arztroman, Abenteuerroman, Historischen Roman usw. Ein Sanitäterroman dürfte bis dato noch gefehlt haben und harrt also mit dem Erscheinen des Erstlings von Jörg Thadeusz seiner Rezeption durch die Literaturwissenschaftler der Republik. Damit ist aber beinahe auch schon der Existenzberechtigung dieses Buches genüge getan. Tatsächlich ist die Handlung auf knapp 250 Seiten über weite Strecken banal und vorhersehbar, auch wenn die verzweifelten Monologe Gunnars mitunter ein Schmunzeln gestatten. Der ?Sani? Gunnar verliebt sich bei einem Einsatz in die Tochter einer am Herzinfarkt verstorbenen älteren Dame und stellt ihr fortan nach, wobei er ein ehernes Gesetz der Rettungsassistenten mißachtet. ?Wir vergessen die, und die vergessen uns!? ermahnt ihn sein Kollege und Freund Bernie, doch scheint er damit bei Gunnar auf taube Ohren zu stoßen.

Unter falscher Berufsbezeichnung macht Gunnar schließlich die Bekanntschaft von Melanie, die als Hotelmanagerin arbeitet und ihn fortan für einen Reisebusfahrer hält. Das Leben des unfreiwilligen Helden beginnt zunehmend aus dem Ruder zu laufen. Seine Exfreundin taucht auf und versucht krampfhaft, alte zarte Bande wieder neu zu knüpfen; Gunnars Oma (er ist als Vollwaise bei ihr aufgewachsen) erleidet einen Herzanfall und erzwingt in der Folge ausgedehnte Krankenbesuche ihres Enkels. Schließlich teilt Thorsten, ein alter Schulfreund, der es zum erfolgreichen Rechtsanwalt brachte, Gunnar seinen Entschluß mit, eine neue Stelle in London anzunehmen. Gunnar erlebt diese Veränderungen lethargisch und steuert zielsicher auf die ganz große Katastrophe zu: das erste Date mit Melanie gerät zum Fiasko, als sie seiner wahren Identität gewahr wird. Als sei das nicht schon schlimm genug, landet Gunnar in dieser Nacht auch noch mit seiner Mitbewohnerin im Bett ? ein Buch, wie es das Leben schreiben könnte. Oder aber das Kino. Dem cineastisch interessierten Leser wird nicht entgehen, daß Thadeusz‘ humorvoll beschriebener Sanitäteralltag in vielen Abläufen und Facetten an einen Film von Martin Scorsese erinnert: ?Bringing out the Dead? erzählte 1999 Gunnars Geschichte auf amerikanisch und mit einer guten Portion mehr Bitterkeit. Die Geschichten sind sich sehr verwandt, nur erzählt Scorsese vielschichtiger.

Am Schluß, und so gehört es sich ja für eine Heldengeschichte, wird alles gut. Zwar erlebt Gunnar bei einem Einsatz während eines Techno-Raves eine persönliche Tragödie, als ihm ein junges Mädchen ?unter den Händen wegstirbt?, doch wird seine vom Fernsehen begleitete Rettungsaktion auch von Melanie gesehen, die ihrem vermeintlichen Stalker am Krankenbett verzeiht. Auch die Tragik verschwindet in Thadeusz‘ Roman zu Gunsten einer Liebesgeschichte mit Hindernissen. Ein großer Erzähler ist Thadeusz mit Sicherheit nicht, doch besitzt er ein gutes Auge für alltägliche Beobachtungen, die mitunter von großer Komik sind. ?Rette mich ein bißchen? ließe sich gut als Kleines Fernsehspiel für das ZDF verfilmen, hätte Scorsese nicht schon einen ähnlichen Film gedreht. Vielleicht schreibt Jörg Thadeusz ja bald einen weiteren Roman. Weniger autobiographisch vielleicht, und weniger berechenbar. In Dortmund darf er auch ruhig spielen, aber von Rettungssanitätern haben wir nun genug gelesen.

(Roland Leithäuser)

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