Ein Komponist, der Norwegen musikalischen Weltruhm verschaffte

Edvard Grieg: Ein Portrait anläßlich des 5. Leipziger Grieg-Kongresses im Herbst 2004

Edvard Grieg, Ausschnitt aus einem Porträt von Eilif Peterssen aus dem Jahr 1891

Von Edvard Grieg wird gesagt, er sei der Komponist, ser Norwegen auf die Weltkarte setzte. In vielerlei Hinsicht ist das wohl richtig. War er es doch, der die Volksmusik seines Mutterlandes mit hohem Sinn für ihre Eigenart in die Kunstmusik Europas einbrachte. Grieg wurde weltweit gefeiert; nicht umsonst gehörte er zu den bestbezahltesten Komponisten seiner Zeit. Auch heute noch tritt die Grieg´sche Musik als Botschafter Norwegens auf. Eine Übersicht erbrachte, dass Griegs Kunst zur Zeit in ganz Europa bis weit in den asiatischen Teil Russlands hinein, in Japan, in Indonesien in Australien, in Südamerika und nicht zuletzt in Nordamerika Verbreitung findet. In den USA und in Russland wird seine Musik besonders geliebt.

Während seiner Lebenszeit gehörte Norwegen zur schwedischen Krone. Erst im Jahre 1905 erhielt das Gebiet in Nordskandinavien nach zähem Ringen seine politische Unabhängigkeit. Grieg war darüber so begeistert, dass er über die Wahl zur nationalen Selbständigkeit an seinen niederländischen Freund, den Komponisten Julius Röntgen, schrieb: „Mein lieber Freund! Heute muss ich Egoist, ein norwegischer Egoist sein, das heißt, von dem gestrigen großen Tag anfangen. Es war großartig. Das Hauptresultat liegt schon vor. Ich glaube, das wird Europa die Wahrheit sagen.“ Mit überwältigender Mehrheit hatte das Volk der Unabhängigkeitserklärung des Storting seine Zustimmung gegeben. Anderthalb Millionen Einwohner zählte damals der neue Staat in Nordeuropa. Oslo hieß Kristiania und änderte erst 1924 seinen Namen.

In einer der schönsten Städte Norwegens, in Bergen, erblickte Edvard Grieg das Licht der Welt. Die Stadt von damals 25.000 Einwohnern verkörperte mit ihren Bauten und Institutionen, mit der Lebensweise ihrer Bürger, dem Handel und Wandel in ihren Mauren eben jenen Ausschnitt äußerer Bedingungen, der als gesellschaftliche Realität sowohl in fördernder als auch in hemmender Weise die Formung der heranwachsenden Komponistenpersönlichkeit entscheidend beeinflusste. Grieg sagte selbst: „Das ganze bergensche Milieu, das mich hier umgibt?, die Natur Bergens, die großartigen Taten und der Unternehmungsgeist der Bürger der Stadt haben mich inspiriert.“

Während der Lebenszeit Griegs durchlief Norwegen eine der spannungsreichsten Epoche seiner Geschichte. Die einsetzende Industrialisierung veränderte Land und Leben. Zur gleichen Zeit bauten Norwegens Schiffsreeder eine Handelsflotte auf, deren Gesamttonnage zwischen 1850 und 1880 von 28 400 Tonnen auf 1,5 Millionen Tonnen anwachsen sollte, wodurch sich sofort auch die Bedeutung des Bergener Hafens erhöhte, da er sich besonders gut als Ausgangspunkt für Weltmeerfahrten eignete. Bergens Geselligkeit und Frohsinn, sein Vereinsleben blühten prächtiger auf als irgendwo sonst in Norwegen. Die Tatsche, dass aus Grieg ein weltaufgeschlossener Künstler wurde, verdankte er zu einem wesentlichen Teil der weltoffenen Atmosphäre seiner Vaterstadt.

Seit Generationen führten die Griegs in Bergen ein Exportgeschäft, das der Urgroßvater als schottischer Emigrant gegründet hatte. Edvards Vater, der Kaufmann und Konsul Alexander Grieg (1806-1875), war ein kleiner, rundlicher Herr, dessen fleischiges Gesicht ein kräftiger Backenbart umrahmte. Als jovialer, mitteilsamer, gefälliger Mann, der zu wohlwollender Gemütlichkeit, zu behaglichem Spaß und lustigen Einfällen neigte, wurde Edvards Vater überall gern gesehen. Selten gab er sich tiefgründigen Gedanken hin. Doch für Mozart schwärmte er und spielte im Kreise der Familie mit Vorliebe vierhändig, mit kleinen dicken emsigen Fingern. Allein die Zeiten änderten sich zum Schlechten hin, und auch die Blütezeit des Grieg’schen Handelshauses neigte sich in den 60er und 70er Jahren dem Ende entgegen.

Einer alten norwegischen Pastorenfamilie entstammte Edvards Mutter, Gesine Judith Hagerup. Sie hatte in Hamburg bei Musikdirektor Albert Methfessel (1785-1869) studiert. Methfessel verdankte seinen Bekanntheitsgrad als Komponist zahlreichen, zum Großteil patriotischen Liedern. In Bergens Musikleben spielte Gesine eine wichtige Rolle als Pianistin, Gesangssolistin und musikalische Begleiterin. Sie galt als beste, aber auch als teuerste Klavierpädagogin der Stadt. Wöchentlich veranstaltete sie in ihrem Salon Konzerte, bei denen sie auch Opern ihrer Lieblingskomponisten Mozart, Gluck und Weber so vollständig wie möglich zur Aufführung brachte.

In der Familie von Alexander und Gesine Grieg lebten fünf Kinder. Edvard war der Zweitjüngste. Obwohl Edvard bereits als Sechsjähriger von der Mutter Klavierunterricht erhielt und als Neunjähriger zu komponieren begann, hatte er als Kind nie die Idee, ein Künstler zu werden. Ein solcher Beruf erschien ihm viel zu hoch. Er stellte sich vielmehr vor, einmal als Pfarrer auf der Kanzel zu stehen und vor einer lauschenden Menge zu predigen. Doch sollte alles ganz anders kommen. Ole Bull, eine stattliche Erscheinung von einem Geiger und ein entfernter Verwandter seitens der Mutter, stattete eines Tages im Sommer des Jahres 1858 dem Hause Grieg einen Besuch ab. Die Familie wohnte damals in dem schönen Besitztum „Landaas“, herrlich gelegen am Fuße des Ulrikken, von der geschäftigen Stadt eine Wegstunde entfernt. Edvard vergaß diesen Tag nie und erinnerte sich, wie Bull auf einem feurigen Araber die Straße nach Landaas herauf gesprengt kam, das Pferd zügelte, absprang und lachend ins Zimmer trat. Seine Ankunft überwältigte den Fünfzehnjährigen. Wie Elektrizität durchfuhr es ihn, als er während der Begrüßung die Hand des Berühmten berührte. Da der Geiger erfuhr, ein Sohn des Hauses komponiere, half kein Sträuben, alles Bitten war vergebens, Edvard musste sich ans Klavier setzen und seine Erstlingswerke vortragen. Bull, beeindruckt, sprach ernsthaft mit den Eltern, schüttelte ihn in der ihm eigentümlichen Weise und sagte zu dem Verblüfften die bedeutungsschweren Worte: „Du musst nach Leipzig gehen und ein Musiker werden“. Alle Umstehenden schauten ihn liebevoll an. Die Eltern hatten nichts dagegen, gaben ohne Zögern ihre Zustimmung, und auch er sträubte sich nicht.

So kam es, dass Grieg als Fünfzehnjähriger ein Studium in Komposition und Klavier am namhaften Leipziger Konservatorium aufnahm. Felix Mendelssohn Bartholdy hatte das Institut im gleichen Jahr gegründet, in welchem Grieg zur Welt gekommen war. Fast die gesamte Komponistengeneration Norwegens aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die später zu Weltruhm gelangte, ließ sich in Leipzig ausbilden. Edvard besuchte neben seinem Studium die vielen Musikaufführungen, welch die Stadt zu einem der Musikzentren Europas hatten aufsteigen lassen. Er begeisterte sich vor allem für die Tonwerke von Robert Schumann und Richard Wagner. Wagners musikalische Handlung „Tannhäuser“ soll er in der Leipziger Oper zehnmal gehört haben. Schumanns a-Moll-Klavierkonzert wurde ihm zehn Jahre später zum Vorbild für sein eigenes Klavierkonzert in a-Moll. Nach seiner Studienzeit ging Grieg zurück nach Bergen, wo er sich aber nur ein Jahr aufhielt. Ihn zog es 1863 nach Kopenhagen, in eine Stadt, in der ein reges musikalisches Leben lockte, an dessen Spitze die beiden Tonsetzer Johann Emilius Hartmann und Niels Wilhelm Gade standen. Ein Darlehen seines Vaters ermöglichte ihm einen zweieinhalbjährigen Aufenthalt. Jetzt begann für den jungen Norweger eine glückliche Zeit, in welcher der Durchbruch zur nationalen Eigenart seines Gesamtschaffens erfolgen sollte. Bald schloss er sich einem Kreis junger begabter Dänen an, die als Tonsetzer nach neuen Pfaden suchten. In dieser Zeit verliebte sich Grieg in die Stimme eines jungen Mädchens. Es war die zwei Jahre jüngere Tochter eines Bruders seiner Mutter, Nina Hagerup. Ninas Nähe beflügelte ihn. Später entwickelte sie sich zu einer hervorragenden Interpretin seiner Lieder. Beide verlobten sich 1864. Ihre Eltern waren gegen die Verbindung, aber das Paar ließ sich nicht beirren.

Eines Tages traf Grieg im Kopenhagener Vergnügungspark Tivoli mit dem gleichaltrigen Landsmann Rikard Nordraak zusammen, Komponist der künftigen Nationalhymne Norwegens „Ja, wir lieben dieses Land“. Der große sommersprossige Norweger mit den roten Haaren, seinen großen Augen und dem angenehmen Lächeln, das, wie der Dichter Björnson schreibt, zart und lustig zugleich sein konnte, riss Edvard aus seiner Schüchternheit und bestärkte ihn in seiner Idee, die reiche Volksmusik der Heimat zu nutzen und eine norwegische Nationalmusik zu komponieren, die ihr Land in der Welt bekannt machen sollte. Erste Anregungen dazu hatte Grieg bereits von Ole Bull empfangen, Nordraak aber wirkte erlösend und inspirierend auf den Zurückhaltenden. Beide hassten rücksichtslos alles Bestehende und träumten sich in eine norwegische Zukunft hinein. Die Freundschaft endete zutiefst tragisch. Nodraak, schwer an Lungentuberkulose leidend, brach zusammen, als er sich in Berlin aufhielt. Er lag, dem Tode nahe, in einer Pension und beschwor den Freund, an sein Krankenlager zu kommen. Doch Edvard kam nicht. Rikard starb allein.

Für Grieg endete das Jahr 1865 mit einer Reise nach Rom, die ihm der Vater finanzierte. Nach seiner Ankunft genoss er die überwältigenden Schauerlebnisse, welche die Ewige Stadt für ihre Besucher breit hielt, nahm Kontakt zu den hier lebenden Malern, Musikern und Schriftstellern aus dem Norden auf und trat selbst in einigen Konzerten der skandinavischen Gesellschaft auf. Bedeutungsvoll aber gestaltete sich die Bekanntschaft mit dem Dramatiker Henrik Ibsen, weil sie den Grundstein für die spätere Zusammenarbeit beider legen sollte. Im Mai 1866 kehrte Grieg nach Dänemark zurück, wo er es aber nicht lange aushielt und schon einige Monate darauf zusammen mit Nina nach Kristiania ging. Acht Jahre, bis 1874, wirkte Grieg als Musiklehrer, Konzertgeber und Dirigent in der norwegischen Hauptstadt. Nur in der Freizeit konnte er seiner eigentlichen Berufung nachkommen und komponieren.

Im zurückliegenden Sommer, am 11. Juni 1867, hatten sich Edvard und Nina in der Johanneskirche zu Kopenhagen trauen lassen. Kein Mitglied aus ihren Familien war zur Hochzeit geladen worden – ein Affront, der das Verhältnis zu den nächsten Verwandten offenbarte. Die missliche Situation entspannte sich erst, als Edvard einige Monate darauf den Angehörigen Ninas Schwangerschaft vermeldete.

Griegs Tochter Alexandra wurde am 10. April 1868 in Kristiania geboren. Das Kind indes verstarb nach mehr als einem Jahr, so dass der seit Generationen hin nachweisbare Kinderreichtum der Familie Grieg in der Ehe Edvards versiegte und dem Komponisten damit Ähnliches widerfuhr wie anderen Hochbegabten auch. Der Tod der Kleinen traf das Ehepaar schwer. Nina erlitt eine Fehlgeburt, Edvard konnte viele Jahre lang den Hingang seines einzigen Kindes nicht verwinden. Vielleicht fühlten sich die Eltern schuldig, da sie ihr Kind bereits ab dem dritten Monat auf Reisen mit genommen hatten. Oder ergab sich der Kindstod aus dem immerhin engen Verwandtschaftsgrad der Eltern?

In Kristiania ging es Grieg aber noch aus anderen Gründen nicht wirklich gut. Bei den wenigen ansässigen Musikern fand er keine Unterstützung mit Ausnahme von Halftan Kjerulf, der als einer der ersten norwegischen Komponisten für seine Lieder und Chöre norwegische Volksmelodien verwendete. Das städtische Musikleben wurde von musikinteressierten Laien getragen. Sie waren es auch, die unter der Leitung von Grieg und Svendsen im Orchester spielten oder im philharmonischen Chor sangen. Obwohl es an professionellen Kräften mangelte, setzten sich die Konzertprogramme aus anspruchsvollen Werken der Weltliteratur zusammen. Aus heutiger Sicht fragt man sich nur, wie die Konzerte geklungen haben mögen. Aber ungeachtet aller Widerstände drängten schöpferische Impulse Grieg zur künstlerischen Tat und ließen in dieser Zeit das erste Heft der Lyrischen Stücke op. 12 entstehen, dem bis 1901 neun weitere Hefte der gleichen Art folgen sollten. Die Lyrischen Stücke, Kompositionen für anspruchsvolle Hausmusiken, begründeten Griegs internationale Popularität.

Während der Sommerpause reiste die damals noch dreiköpfige Familie nach Kopenhagen, wo sie sich für einige Monate trennten. Nina wohnte mit Alexandra bei den Eltern, Edvard quartierte sich in Sölleröd ein, einem beschaulich anmutigen Kirchdorf, gelegen nördlich der dänischen Hauptstadt. Dort stand ihm ein einzelnes Gartenhaus zur Verfügung, wo er sich in Ruhe auf sein Schaffen einlassen konnte. Hier entwarf Grieg sein Klavierkonzert und führte Teile davon auch aus. Die Uraufführung war für Weihnachten in Kopenhagen angesetzt, kam aber leider nicht zustande, da die Partitur noch auf ihre Fertigstellung wartete. Erst im April 1869 erklang das Werk erstmals im Königlichen Theater zu Kopenhagen unter sensationellem Erfolg. Immer wieder unterbrach Beifall die Darbietung. Grieg selbst erlebte den Triumph der Uraufführung nicht. Er war in Kristiania geblieben, vielleicht aus Furcht vor einem Fiasko. An diesem Tag jedenfalls begann der Siegeslauf von Griegs a-Moll-Klavierkonzert um die Welt.

Zusammen mit seiner Frau begab sich Grieg ein zweites Mal nach Rom, wo er wiederum im Dezember kurz vor Weihnachten eintraf. Ein Staatsstipendium ermöglichte ihm diesmal den Studienaufenthalt. Als Höhepunkte besonderer Art wertete er zwei Begegnungen mit Franz Liszt. Während des ersten Besuches spielte ihm Grieg seine „Humoresken“ und die zweite Violinsonate vor. Als der junge Norweger zum zweiten Mal vorsprach, war Liszt von Griegs Klavierkonzert derart begeistert, dass er das Werk sofort selbst auf seinem Flügel prima vista zum Erklingen brachte. Am Schluss rief der Virtuose von Weltruf aus: „Fahren Sie fort, ich sage Ihnen, Sie haben das Zeug dazu, und lassen Sie sich nicht abbringen.“ Grieg fühlte sich so glücklich, als wäre er zum Meister der Tonkunst ernannt worden. – Im Frühsommer 1870 kehrten die Griegs nach Kristiania zurück, wo ihn wieder, wie vorher auch nur, Orchester- und Chorkonzerte stark in Anspruch nahmen. Die eigene Produktion hingegen wollte nicht so recht in Gang kommen.

Endlich brachte das Jahr 1874 einen Wendepunkt. Am 23. Januar erhielt Grieg einen Brief von Henrik Ibsen, in welchem ihm der Dramatiker schrieb, er beabsichtige, sein dramatisches Gedicht „Peer Gynt“, das bisher nur als Lesedrama bekannt geworden war, als Stück für die Schauspielbühne einzurichten. Er fragte Grieg an, ob er bereit wäre, die für eine Aufführung erforderliche Musik zu komponieren. Grieg war über das Angebot hocherfreut, sagte sofort zu und begab sich im Sommer nach Sandviken bei Bergen, um sich in die Komposition der Bühnenmusik einzuarbeiten. Ein Schiffsreeder hatte ihm hier ein Komponierhäuschen zur Verfügung gestellt. Zu Anfang des darauf folgenden Jahres reiste Grieg nach Leipzig, wo er im Hause des Peters Verlages die Arbeit fortsetzte. Im Ferienhaus eines Freundes im dänischen Fredensburg schloss Grieg gegen Ende des Sommers 1875 die Komposition ab. Auf diese Weise entstand das populärste Werk Griegs in drei Ländern, in Norwegen, in Deutschland und in Dänemark, was Grieg tatsächlich als echten Europäer ausweist. Die Uraufführung fand am 24. Februar 1876 in Kristiania statt und war so erfolgreich, dass in derselben Spielzeit das Werk 36 mal wiederholt werden musste, wodurch sich Grieg veranlasst sah, für den Konzertsaal je vier Stücke seiner Bühnenmusik zusammenzufassen und sie als „Peer-Gynt-Suiten“ I und II herauszugeben.

Bereits 1874 hatten staatliche Stellen dem Komponisten ein Künstlerstipendium von 1600 Kronen bewilligt. Dazu kamen die beachtlichen Erträge seiner Werke, die der Verlag Peters in Leipzig mit Erfolg vertrieb. Alles zusammen versetzte Grieg in den Stand, seine Tätigkeiten in Kristiania nach und nach einzuschränken, bis er sich schließlich 1877 von seinen Verpflichtungen in der Hauptstadt gänzlich lösen konnte. Grieg wechselte auch seinen Wohnsitz und lebte von da an hauptsächlich in Lofthus, einem kleinen Ort am Hardanger Fjord, deren dort ansässige Bauern im Vergleich zu anderen Landschaften Norwegens eine reichhaltige und vielgestaltige Volkskunst hervorgebracht hatten. Unter ihnen fühlte sich Grieg immer besonders wohl. Weit draußen, am Rande des Fjords, stand einsam auf einer schmalen, ansteigenden Halbinsel seine Arbeitshütte, nur umgeben von Wasser, Feldern und Felshöhen. Keiner konnte ihn dort stören. Nicht einem einzigen Komponisten von europäischem Rang wäre es in jener Zeit eingefallen, sich in einer kleinen Hütte am Hardanger Fjord zu vergraben. Aber für den Norweger war die Zurückgezogenheit fruchtbringend und notwendig. Hier in der Stille entstanden unter anderem das Streichquartett op. 27, die Männerchöre op. 30, und der „Bergtekne“, der „Verzauberte“ oder „Einsame“ op. 32, ein Werk für Baritonsolo und Streichquartett und zwei Hörner auf Texte altnorwegischer Volkspoesie. In der „Einsame“ verbarg der Komponist ein Stück Selbstbiographie. Einem Freund gegenüber gestand er, er habe diese Musik mit seinem Herzblut geschrieben.

Doch für immer hielt es auch Grieg am Hardanger Fjord nicht aus. Nach drei Jahren wurde es ihm hier zu eng. Diesmal bewarb er sich um die Stelle als Dirigent beim Bergener Orchester „Harmonie“. Für zwei Jahre ging er zurück in seine Heimatstadt und wohnte in der ehemaligen Wohnung seiner 1875 verstorbenen Eltern, im selben Haus wie sein Bruder John und dessen Familie auch. Mit der gleichen Liebe, mit der Grieg an seiner Vaterstadt hing, war er auch der Landschaft zugetan, die sie umgab, und er fasste den Entschluss, dort ein eigenes Haus zu bauen. So entstand die Villa Troldhaugen, reizend gelegen auf einem Hügel zwischen zwei Buchten an der stillen Nordaassee. Noch heute, nach mehr als hundert Jahren, lassen sich die Besucher Troldhaugens von der zu Herz und Sinn sprechenden Atmosphäre dieses Hauses umfangen, von seiner originären Innenausstattung, deren Holzverkleidung norwegischen Bauernhäusern abgeschaut wurde. Auch den gut erhaltenen Steinway Flügel können die Besucher bewundern. Ehrfurcht und freudige Ergriffenheit kommt jedes Mal vor der Erinnerungsecke auf, wo die persönlichen Gegenstände des Hausherrn aufbewahrt werden, wie der ramponierte Reisekoffer und die zahlreichen Lorbeerkränze, die ihm europaweit überreicht worden waren. In Troldhaugen gab es einst viel freundlich aufgenommenen Besuch, obwohl Ninas Hausfrauenkünste weit unter ihrer Gesangskunst rangiert haben sollen.

Seine eigenständigsten und ausdrucksstärksten Werke schuf der Komponist nach dem 23. und vor dem 40. Lebensjahr, im Anschluss daran klagte er vermehrt über ein Schwinden der Schaffenskraft und wollte mit 51 Jahren ganz auf die Kunst verzichten; dennoch entstanden in den späten Jahren einige der besten Werke. Sein letztes Konzert gab der norwegische Tonkünstler am 26. April in Kiel.

Am 04. September 1907 stirbt Edvard Grieg im Alter von 64 Jahren in der Stadt, in der er zur Welt kam. Die Krankenschwester Clara Sofie Jensen erzählte 1958 während eines Interviews: „In diesem Augenblick geschah etwas Eigenartiges. Grieg setzte sich im Bett auf; es sah fast feierlich aus; er machte eine tiefe und ergebene Verbeugung. Es war keine zufällige Bewegung, ich zweifle nicht daran, dass er sich verbeugte, genau wie dies die Künstler vor dem Publikum tun. Dann sank er leise zurück und blieb unbeweglich liegen.“ Sein Lebenskreis hatte sich geschlossen.

5. Deutscher Grieg-Kongress

Kongress-Veranstalter: Edvard Grieg-Gedenk-und Begegnungsstätte e.V.
Kongress Thema: Edvard Grieg – Weltbild und Werk
Kongress-Leitung: Frau Professor Dr. habil. Hella Brock
Kongress-Ort: Hochschule für Musik und Theater

In den Räumen des historischen Peters-Verlagshauses, Talstraße 10, wird die neu eröffnete Edvard -Grieg-Begegnungsstätte zu besichtigen sein.

Geschäftsstelle: Tel. :0341/4 43 20 61
Fax:0341/4 43 20 09
www.Grieg-in-Leipzig.de

Konto: 30 70 50 70 6, Volksbank Leipzig (BLZ 860 956 04)

Kontaktadresse: c/o. Königlich Norwegisches Konsulat, Braunstraße 7, 04347 Leipzig

24.09.04 – 26.09.04 in Leipzig


Literaturangaben

Benestad, Finn und Dag Schjelderup-Ebbe, Edvard Grieg 1993
Brock, Hella, Edvard Grieg, 1990
Brock, Hella, Griegs Musik zu Ibsens Peer Gynt, 2001
Cherbuliez, Antoine E., Grieg-Leben und Werk 1947
Krellmann, Hanspeter, Edvard Grieg, 1999
Reisaus, Joachim, Grieg und das Leipziger Konservatorium, 2002


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