Letzte Rettung vor dem Sperrmüll

Arbeiten von Ricarda Roggan sind im neuen Bildermuseum zu sehen

Wer zum ersten Mal in das neue Leipziger Bildermuseum kommt, muss beeindruckt sein von der überraschend leichten Atmosphäre des Gebäudes. Von außen ein grober, überdimensionaler Klotz, der eher unscheinbare Assoziationen weckt, ist es von innen erlebt eine architektonische Offenbarung. Das mitteldunkle, warme Holz der Treppenaufgänge und Böden erinnert an das erhabene Gefühl eines Konzertsaales, und die Verbindung mit dem Sichtbeton ist eine perfekte Materialkombination. Derart geschickt sind die Ebenen des Ausstellungshauses insgesamt miteinander verbunden, eröffnen verschiedene offene Räume weite Blicke in die unteren Etage, erlauben es dem Besucher, sich einen gesamten Überblick über das ganze Gebäude zu erhalten und es in seiner großen Gesamtheit zu begreifen. Gleichzeitig bringen große Fensterflächen die Außenwelt nach innen und lassen nie vergessen, wo man sich gerade befindet. Obwohl das Gebäude in seinen Ausmaßen einfach nur riesig und ein ständiges Verlaufen zu befürchten ist und man meint, dass man irgendwann den Überblick über die Anordnung der Räume verlieren muss, ist dies aufgrund der streng geometrischen und dadurch äußerst übersichtlichen Aufteilung unmöglich.

Auf der ersten Ebene befindet sich in drei kleinen Räumen derzeit die Ausstellung der ehemaligen HGB-Studentin Ricarda Roggan, die den Kunstpreis der Sachsen LB 2004 erhalten hat. Die Fotografien bieten einen Einblick in ihr aktuellstes Projekt, „Das Paradies der Dinge“. Die Aufnahmen sind von bestechender Klarheit und Einfachheit. Einen Augenblick braucht es, um gewahr zu werden, dass es durchaus die Fotografien sind, welche die „Kunst“ darstellen und nicht die Dinge, die dort abgebildet sind. Eine Bank, ein Tisch und zwei Stühle: Im ersten Moment meint man Installationen zu erkennen, die ob ihrer Größe nur aus zweiter Hand zu betrachten sind.
Ricarda Roggan hat alte, altmodische, ausgesonderte Gegenstände zu stilllebenartigen Szenarien zusammengestellt, die, aus ihren ursprünglichen Umgebungen herausgenommen, eine eigentümliche Präsenz erhalten. Die Dinge sind in Räumen ohne Auskunft angeordnet; weiße Wände, grauer Fußboden: diese Neutralität und das Beschränken auf einige wenige Gegenstände lösen beim Betrachter viele unterschiedliche, ganz eigene Erzählungen aus. Die Szenen erinnern an verschiedene kommunikative Situationen, in denen die Möbel einmal eine Funktion übernommen haben könnten. Die Konferenz mit langem Tisch und vielen Stühlen, das Verhör, eine Sprechstunde beim Arzt oder in der Behörde, eine Gefängniszelle.
Auf anderen Bildern hat Roggan ganze Unterkünfte inszeniert, die wie von ihren Bewohner vor kurzem und vielleicht nur für einen kurzen Augeblick verlassen wirken. Räume in Kellern, die so vorgefunden hätten sein können, die aber durch die künstliche Belichtung und perfekt unordentliche Anordnung der Besitztümer doch nur eine Idee eines Zimmers darstellen. Den dritten Teil stellen die „Interieurs“ dar, wiederum Gegenstände, die in diesem Fall zusammengepfercht unter Plastikplanen stehen, in Sicherheit gebracht oder aus dem Weg geräumt, weil sie nicht mehr gebraucht werden.

Alles in allem künden die abgeblätterte Farbe, die Gebrauchsspuren an den schmucklosen Gegenständen auf allen Fotografien von vergangenen Zeiten. Die Dinge erinnern an Sperrmüll, an etwas, das seine Funktion schon vor langer Zeit verloren hat und in diesen Situationen noch einmal an das alte Dasein erinnert wird: es ist das Paradies der Dinge einer Gesellschaft des Überflusses.

Kunstpreis der Sachsen LB 2004:
Ricarda Roggan – Das Paradies der Dinge
12.12.2004 bis 13.02.2005
Museum der bildenden Künste, Leipzig
Bilder (Museum der bildenden Künste):
Selbstporträt
Bank mit Decke

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