Leipziger Buchmesse – Jostein Gaarder liest aus seinem Roman „Das Orangenmädchen” (Grit Kalies)

Leipziger Buchmesse, 17.-20. März 2005

Lesung zur Buchmesse
Jostein Gaarder
Das Orangenmädchen
Hanser Verlag, München 2003
Gebunden, 187 Seiten, EUR 14,90
17.03.05, Oberlichtsaal der Stadtbibliothek


Hubble-Zeit und besetzte Plätze

Ob ich Zeit hätte, es noch zu tun. Hatte ich eher nicht, habe ich nie, ich weiß nicht, was Zeit ist, und das mag mich von keinem der zur Zeit lebenden Menschen unterscheiden, doch natürlich sagte ich: Geht klar. Was tut man nicht alles für seine Nachkömmlinge, die schon als Teenager keine Zeit finden, ein Geschenk zu erwerben für einen seit Tagen bekannten und in drei Stunden stattfindenden Geburtstag, zu dem sie eingeladen sind. Dauerlauf zum Buchladen, was kauft man einem gerade Vierzehnjährigen.

Vorbei die Zeit der Lindgrens (Immer dieser Michel…), Maars (Eine Woche voller Samstage …), Dahls (Sophiechen und der Riese) oder Kästners (Emil und die Detektive…). Enzensbergers Zahlenteufel und Carlo Frabettis Das Spiel im Spiel waren zu oft verschenkt, na gut, eine Neuerscheinung von Jostein Gaarder: Das Orangenmädchen. Nein, nicht nötig, verpackt werden solle es nicht: „Stell dir vor, du stündest irgendwann, vor vielen Jahrmilliarden, als alles erschaffen wurde, auf der Schwelle zu diesem Märchen. Und du hättest die Wahl, ob du irgendwann einmal zu einem Leben auf diesem Planeten geboren werden wolltest. Du wüßtest nicht, wie lange du hier bleiben könntest, doch es wäre jedenfalls nur die Rede von wenigen Jahren…“ – und pünktlich zehn vor drei fand sich Das Orangenmädchen fein verpackt mit Schleife auf dem Flurschrank: durchgelesen.

Versteht sich, daß nach dieser Episode vor anderthalb Jahren – das Buch erhielt gute Kritik vom Beschenkten, der es, wie berichtet wurde, Freunden in der Schulklasse vorstellte, die das Buch lasen und ihren Geschwistern und Freunden vorstellten, die es lasen, nachdem ihre Eltern es gekauft und gelesen hatten, um es Freunden und Kollegen zu empfehlen, die es ihrerseits gelesen hatten, bevor sich ihre Schützlinge darum schlagen durften, die die Freunde infizierten und so weiter – , daß also nach dieser Vorgeschichte der Saal gegen 19 Uhr restlos ausverkauft ist, als die Urheberin der bundesweiten Orangenmädchenhysterie in der Stadtbibliothek erscheint.

Es gibt Sätze, und man betritt dann doch den Saal. Und es gibt Platzanweiserinnen, die das Sitzen auf dem Boden nicht dulden können, so daß sich die besten Plätze in der ersten Reihe auftun (versteh einer Raum und Zeit). Gute Bedingungen für die Wiederlektüre, die sich anders gestaltet als gedacht. Um den Autor des sympathischen Buches zu entlasten, ließe sich eine besondere, uns fremde norwegische Vortragstradition postulieren: übertriebene, künstliche Rezitation, zuweilen Angestrengtheit bis hin zur Schrillheit, werben um die Gunst des Publikums. „So ein furchtbarer Vortrag, so eine schön geschilderte Geschichte“, faßt meine Begleiterin zusammen.

Es ist die warme und humorvolle, in einem Brief an den Sohn erzählte Geschichte der Suche des Vaters nach einem Orangenmädchen, angereichert mit Hubble-Teleskop (die Hubble-Zeit ist das Verhältnis von Entfernung zu Fluchtgeschwindigkeit und beträgt 1.5*10 hoch 10 Jahre ? 30 %) und etwas Philosophie, dabei weniger didaktisch als vorherige Bücher. Es ist die Geschichte des Sohnes, der fünfzehnjährig den Brief des vor elf Jahren verstorbenen Vaters liest und erfährt, daß das Orangenmädchen seine Mutter ist. Es ist ein Ja zu dem Wunder, das das Leben darstellt: „Stell dir vor, du stündest irgendwann, vor vielen Jahrmilliarden, als alles erschaffen wurde, auf der Schwelle zu diesem Märchen…“

Bücher durchwandern Gaarders Hände, Das Kartengeheimnis, Durch einen Spiegel in einem dunklen Wort; die fünfzehnjährige Sophie läßt sich Sophies Welt signieren. Man schenke den Vierzehnjährigen wirklich (und lese es zuvor selbst), der Wärme und Lebensbejahung wegen, Das Orangenmädchen.

(Grit Kalies)

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