Umjubelte Wiederaufnahme einer musikalisch großartigen „Fledermaus” in Leipzig (Ingo Rekatzky)

„Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“ – Umjubelte Wiederaufnahme einer musikalisch großartigen „Fledermaus“ in der MuKo

Musikalische Leitung:Roland Seiffarth
Inszenierung:Steffen Piontek
Ausstattung:Martin Rupprecht

Musikalische Komödie, Haus Dreilinden

Ohne Zweifel, Johann Strauß jr. hat mit seiner 1874 uraufgeführten „Fledermaus“ nicht nur den Höhepunkt seiner eigenen Komponistenlaufbahn, sondern auch den der Wiener Operette, wenn nicht gar der Gattung schlechthin erreicht. Nur selten begegnen sich in der leichten Muse Musik und Libretto auf einem so hohen Niveau und hat obendrein fast jede Nummer den Status eines Gassenhauers erreicht. So verwundert es auch nicht, dass sich selbst im Repertoire derjenigen Opernhäuser, die ihr Augenmerk eher selten auf die Operettenpflege richten, die „Fledermaus“ häufig über Jahrzehnte in der gleichen Inszenierung halten kann.

Aber nachdem in der Ära Zimmermann Ruth Berghaus eine „Fledermaus“ in militärischer Lesart für die große Bühne der Leipziger Oper konzipierte, die weder den Weg in die Herzen des Publikums noch ins Repertoire finden konnte, landete das Werk vor gut drei Jahren unter der Regie des Rostocker Intendanten Steffen Piontek an seinem angestammten Platz im Haus Dreilinden und hat jetzt nach einem Abstecher in die Hansestadt hier seine Wiederaufnahme erlebt. Und fast drängt sich der Eindruck auf, Piontek – in der nächsten Saison immerhin mit Wagners „Lohengrin“ betraut – habe es tunlichst vermeiden wollen, dass seiner Inszenierung ein ähnliches Schicksal widerfahren möge, weshalb er mehr der bodenständigen Unterhaltung als einer Entlarvung der nur notdürftig hinter falschen Adelstiteln maskierten (Klein-)Bürgerlichkeit, mehr der Illusion innerhalb des Guckkastens als einer Kommunikation über diesen hinweg vertraut. Dass die „Fledermaus“ aber gerade wegen der Ausbruchsversuche ihrer Protagonisten aus dem tristen Alltag in glamourös-fiktive Biographien und der champagnerseligen Verdrängungsmentalität auch heute noch ihre Aktualität behauptet, interessiert ihn dabei eher peripher. Zwar gewinnt die Inszenierung gelegentlich an Doppelbödigkeit, etwa wenn zum Souper nicht nur das Palais Orlofsky, sondern auch der russische Prinz selbst, dessen Akzent genauso wie der falsche Bart und die Pelzmütze zur Maske gehören, aus einer jungen Dame hergerichtet werden muss oder sich die vermeintlich illustre Gästeschar aus dem Proletariat rekrutiert, doch ausgereizt werden diese Steilvorlagen um Sein und Schein nicht. Somit bleibt eine handwerklich solide und von wenigen berechenbaren Ermüdungserscheinungen abgesehen auch temporeich unterhaltende Operetteninszenierung, doch trotz der behutsam entstaubten Ästhetik lässt sich gerade im dritten Akt der Eindruck nicht verwehren, man habe diese „Fledermaus“ schon mal irgendwo gesehen.

Als slibowitzseliger Gefängnisdiener Frosch kann sich Franz Suhrada zwar gerade bei eher abgenutzten Kalauern der Lacher des Publikums sicher sein und entwickelt mit zielsicheren Pointen und körperbetontem Spiel echte Entertainerqualitäten. Allerdings kennt man die Tiraden und Wortspiele des Frosch schon aus Otto Schenks epochemachender Inszenierung der „Fledermaus“, sodass man zu glauben geneigt ist, der sprichwörtliche alte Hut habe seinen Ursprung in eben diesem Lazzo. Dass aber diese Komikerrolle als Relikt einer jahrhundertealten, nicht an den Text gebundenen Schauspielkunst dem Extemporieren viel Freiraum lässt, ja sich ein Spielen über die vierte Wand hinweg geradezu aufdrängt, kann hier leider nur noch erahnt werden. Denn während man sich als Bürger dieser Stadt zwischen Olympia und City-Tunnel, OBM-Wahlkämpfen und Rathausskandalen, kulturellem Streben an die Weltspitze und rabiaten Spar- und Schließplänen bisweilen selbst in einem größenwahnsinnigen Operettenstaat wähnt, so vermeidet es Regisseur Piontek gerade im letzten Akt peinlichst, dem Verlachen der lokalen Schildbürgereien durch eine Modernisierung der Dialoge auch nur einen Spalt breit die Tür zu öffnen.

Trotz allem, die Gags mögen altbewährt, die Regieeinfälle teils vorausschaubar sein, dank des formidablen MuKo-Ensembles kommt diese „Fledermaus“ jedoch alles andere als flügellahm daher. Mit erstklassigen musikalischen Leistungen, aber auch in den Dialogszenen, die an anderen Theatern eher peinlich bemüht als komisch wirken, wird erneut unter Beweis gestellt, dass Leipzigs Alleinstellungsmerkmal in Sachen Operette eben nicht nur an den intimen Aufführungsort im „Haus Dreilinden“, sondern vor allem an Kräfte gebunden ist, die auf dieses Genre spezialisiert sind und es nicht nur als ein lästiges Übel betrachten.
Einzig der als Verstärkung vom Augustusplatz abkommandierte Torsten Süring schießt bei seinem Versuch, dem vor lauter Gelehrsamkeit lebensuntüchtigen Advokaten Dr. Blind ein betont komisches Profil zu verleihen, sowohl szenisch als auch musikalisch über das angestrebte Ziel hinaus, hinkt aber dem Orchester bisweilen hinterher. Doch wie sich im von Dr. Falke (Milko Milev mit baritonalem Wohlklang) und Prinz Orlofsky (gewohnt souverän: Anne-Marie Seager) gespannten, feinmaschigen Intrigennetz die anderen mehr oder weniger eingeweihten Figuren durch ihr doppeltes (Rollen-)Spiel verheddern, ist aller Ehren wert: In der Partie des genarrten Privatiers Gabriel von Eisenstein kehrt Jürgen Müller nach erfolgreichen Ausflügen ins Heldenfach nun an die Musikalische Komödie zurück und verleiht ihm mit edler, metallischer Strahlkraft nicht nur gesanglich Format, sondern überzeugt auch darstellerisch als Möchtegern-Lebemann, der als Marquis Renard der eigenen Gattin den Hof macht. Selbige ist bei Judith Kuhn weit von der Matronenhaftigkeit entfernt, die zahlreiche Sängerinnen der Rosalinde mit sich bringen. Daneben zieht die Kuhn vor allem als feurige ungarische Gräfin mit glänzenden Koloraturen und einer geheimnisvoll-lasziven Exotik nicht nur die Soupergäste in ihren Bann. Als Rosalindes ehemaliger Gesangslehrer und arretierter Interimsgatte Alfred spart Hans-Jörg Bock selbst aus dem Off der Gefängniszelle nicht am Schmelz und wirft als narzisstische Rampensau – stets ungeniert, da sich der Konsequenzen wohl nicht bewusst – einen ironischen Blick auf den eigenen Beruf. Bleibt zu hoffen, dass Bock, immerhin erster Tenor in Lindenau, anstatt der namhaften, meist aber indisponierten Gäste künftig auch in den Premieren zu erleben sein wird.
In einer der edelsten Partien, die das Soubrettenfach zu bieten hat, brilliert hingegen Beate Gabriel: Nicht nur, dass gerade im Couplet „Ja mein Herr Marquis“ ihre zarte Stimme zum Verlachen ihres ungalanten Dienstherren Eisenstein wie Champagner perlt, es ist auch die pure Wonne, wie sich die Kammerjungfer Adele vom genervten Mauerblümchen mit betörendem Augenaufschlag und bei Bedarf geschickt eingesetzter Naivität in die Rolle der angehenden Künstlerin hereinsteigert. Kein Wunder also, dass dieses vermeintliche Fräulein Olga die besten Aussichten beim Gefängnisdirektor Frank hat, der sich als Paraderolle für den sonoren Folker Herterich erweist, zumal er im dritten Akt mit wesentlich geringerem Aufwand den Frosch beinahe an die Wand spielt. Als Adeles Schwester Ida, deren Aura einer Ballettvolontärin der letzten Reihe auf Frank ebenfalls nicht ganz wirkungslos ist, gelingt Angela Mehling in ihrem bevorzugten Rollenfach der meist grundlos exaltierten Dame erneut ein Kabinettstück.

Was Roland Seiffarth darüber hinaus mit sichtlicher Freude und Zufriedenheit dem bestens disponierten MuKo-Orchester entlockt, würde manch einer der gängigen Operettenaufnahmen zur Ehre gereichen, denn zu der technischen Perfektion und erstaunlichen Transparenz gesellt sich ein leidenschaftlich aufflammendes Klangspektrum, das keinen Vergleich zu scheuen braucht. Vor allem Seiffarth und seinen Musikern ist es durch ihre exzellente, dynamisch und rhythmisch sehr pointierte Interpretation der Partitur zu verdanken, dass diese „Fledermaus“ doch noch den doppelten Boden erhält, dem Regisseur Piontek nicht so recht über den Weg zu trauen scheint.

Aber selbst wenn man sich dem Sog der fulminanten Kompositionen unbedenklich ergibt, so mag die zentrale Aussage „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“ nicht vollends zutreffen. Denn gerade in den drei Jahren, die zwischen Premiere und Wiederaufnahme der „Fledermaus“ vergangen sind, hat die Musikalische Komödie mit bissigeren Inszenierungen wesentlich schwächerer Libretti den Beweis aufgestellt, dass die Gattung Operette bei weitem nicht reif für die Mottenkiste ist und ihrem Publikum auch heute noch den Zerrspiegel vorhalten kann.

(Ingo Rekatzky)

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