Mehr als ein Thriller: Fernando Meirelles\‘ Film „Der ewige Gärtner” (Benjamin Stello)

Der ewige Gärtner
(The Constant Gardener)
Großbritannien 2005, 128 Min.
Regie: Fernando Meirelles
Drehbuch: Jeffrey Caine, nach dem Roman von John le Carré
Darsteller: Ralph Fiennes, Rachel Weisz, Danny Huston, Bill Nighy
Kinostart: 12. Januar 2006

Fotos: Kinowelt
Gelungene Melange aus Thriller und Romanze mit Anspruch

Würde in Afrika ein (völlig utopisches) Wirtschaftswachstum von 10 Prozent verzeichnet werden können, bräuchte der Kontinent acht Jahrzehnte, um auf das derzeitige Niveau der westlichen Welt zu kommen – nur wäre diese dann schon viel weiter. Hoffnung? Weitestgehend Fehlanzeige: „Wir töten keine Menschen, die nicht sowieso sterben würden.“ Diese zynische Bemerkung eines Weißen in einem der schlimmsten Problemgebiete der Welt, vorgebracht als Rechtfertigung für großangelegte Medikamententests an hilflosen und auf die westliche Arznei angewiesenen Afrikanern, ist ein Schlüsselsatz im „Ewigen Gärtner“. Wer aber nun einen halbdokumentarischen Film erwartet, der Kapitalismus und Pharmakonzerne angreift, wird sich getäuscht sehen. Nicht, dass das alles ausgeblendet würde, aber das Werk ist noch sehr viel mehr: Sozialstudie, Liebesgeschichte und vor allem ein überaus spannender Thriller.

Ohne Vorspann und Titel geht es sofort hinein in das Geschehen: Eine Frau verabschiedet sich irgendwo in Afrika am Flughafen von ihrem Mann, eine halbe Filmminute später ist sie tot. Der zurückgebliebene Gatte, dem die Untreue der Verstorbenen zugleich mit deren Ableben mitgeteilt wird, sieht sich mit Schmerz und Trauer konfrontiert, vor allem aber auch mit der Frage nach dem Warum dieses Todes. So entwickelt sich aus den Gedanken und Erinnerungen an seine Frau ein umfassendes Filmkunstwerk.

Da wäre zunächst einmal die Liebesgeschichte zwischen ihm, dem steifen britischen Diplomaten Justin Quayle, und der quirligen, etwas unbedachten politischen Aktivistin Tessa – zwischen zwei Menschen also, die eigentlich gar nicht zueinander passen, es aber dennoch schaffen, eine Partnerschaft zu entwickeln, die beiden ihre jeweilige Individualität belässt und dennoch eine gemeinsame Zukunft ermöglicht. Außerdem geht es um die Zustände in Afrika: Während Justin für die britische Regierung Gelder der Entwicklungshilfe verteilt und so versucht, langsam Verbesserungen in den Strukturen herbeizuführen, versucht Tessa, die Umstände radikaler und schneller zu verändern. Sie engagiert sich direkter.

Schließlich kommt an dieser Stelle zur kleinen privaten auch noch die große Welt ins Spiel. Einerseits durch die Pharmaindustrie, die sich weigert, billigere Medikamente für einen armen Kontinent zur Verfügung zu stellen. Andererseits in Form einer korrupten Regierung, die das wenige Mögliche noch weiter behindert. Und schließlich durch eine Bevölkerung, die sich in Bürgerkriegen aufreibt. In diesem Spannungsfeld wird Tessa nun ermordet, und Justin begibt sich zum ersten Mal direkt ins Leben, als er die Umstände zu ermitteln versucht.

Die Vorlage dieses Films hat John le Carré geschrieben, dessen diverse Agentenromane meistens sehr schwache Verfilmungen nach sich zogen, wenn man einmal vom „Russland-Haus“ absieht. Im „Ewigen Gärtner“ zeigt sich nun, was alles möglich sein kann, wenn das Buch ebenso wie das spezifische Medium Film ernst genommen wird: Das auf allen Ebenen ausgewogene Drehbuch wird von Regisseur Fernando Meirelles gemeinsam mit seinem Kameramann César Charlone so auf die Leinwand gebracht, dass alle Aspekte der Handlung zu ihrem Recht kommen können. Schon Meirelles‘ Debüt „City of God“ über die blutigen Bandenkriege in Rio de Janeiro gewann verdienterweise zahlreiche Preise. Hier nun fügt der Regisseur zu der lokalen auch die globale Ebene hinzu, was den „Ewigen Gärtner“ durch seinen erhöhten Geltungsanspruch noch überzeugender werden lässt.

In den Szenen, die in den afrikanischen Ghettos spielen, sieht man zum einen noch die alte Ästhetik aus „City of God“ durchscheinen: glaubwürdig vermitteln sie ein ungeschöntes Bild der wenig erfreulichen Umstände. Dazu kommen nun zum anderen die eleganten Räume und Lokalitäten der britischen Oberschicht, und auch diese geraten durch ihre Ausstattung, Beleuchtung und Wirkung überzeugend. Besonders gelungen ist aber vor allem, dass die intelligente Inszenierung mit Rückblenden und spezifisch filmischen Mitteln wie Überblendungen und Perspektivwechseln arbeitet: Beispielsweise dominiert eindrucksvoll illustrierend eine schräge Kameraeinstellung die Schieflage der Protagonisten in manchen Szenen.

Der Hauptdarsteller des Films ist Ralph Fiennes in der Rolle des britischen Diplomaten. Da der Schauspieler steif und in den meisten Szenen emotional wenig angerührt wirken soll, stört es auch nicht weiter, dass er wie üblich nur einen einzigen Gesichtsausdruck zur Schau trägt. Die Nebenrollen dagegen sind sehr ausdrucksstark und anrührend gespielt, allen voran ist Rachel Weisz als emanzipierte, engagierte und dennoch liebebedürftige Tessa grandios. Vor allem ihr ist es auch zu verdanken, dass die Romanze zwischen zwei extrem unterschiedlichen Menschen glaubwürdig erscheint und der Film insgesamt funktioniert. Auch die übrigen Schauspieler sind durchgängig großartig, etwa Bill Nighy als Chef der britischen Diplomatie oder Pete Postlethwaite als desillusionierter Arzt. Schließlich ist auch die Musik lobend hervorzuheben: Den Film untermalen nicht die für Afrika-Filme häufig üblichen Pseudo-Ethnoklänge, sondern die sich anpassenden, variationsreichen Melodien des Hauskomponisten von Pedro Almodóvar, Alberto Iglesias.

Was am „Ewigen Gärtner“ wirklich beeindruckt, ist aber vor allem die intelligente und extrem spannungsaufbauende Verbindung der drei verschiedenen Handlungsebenen, ohne dass der Film platt wirken würde. So ist ein wirklich hervorstechendes Merkmal auch, dass er zwar ein Ende findet, damit aber nur die filmintern aufgebauten Spannungsbögen auflöst. Die großen Problemfelder, in denen er spielt – etwa die Schwierigkeiten des afrikanischen Kontinents – sind unverändert, und mit ihnen alle Handicaps, die der Film aufzeigt. Eine Lösung dieser Probleme kann es so einfach eben nicht geben: Pharmakonzerne müssen unter den gegebenen Umständen als Unternehmen wohl Gewinne machen dürfen, und ebenso muss den auf Medikamente angewiesenen armen Menschen der Zugang zu jenen gewährleistet bleiben. So legt der „Ewige Gärtner“ „nur“ den Finger in Wunden – ohne Wege aufzuzeigen, sie zu verschließen.

Dennoch darf dem Film ein aufrüttelnder Effekt unterstellt werden: Nicht umsonst betont Regisseur Meirelles in Interviews, dass er selbst aus einem Entwicklungsland stamme und mit seinem Werk etwas Nachdenkenswertes über die Probleme Afrikas aussagen wolle. Der Film kann damit durchaus auf eine Ebene beispielsweise mit Michael Manns „The Insider“ gestellt werden, der in Bezug auf die Zigarettenindustrie schaffte, was Meirelles nun für die Pharmakonzerne gelungen ist: Filme wie diese können zur öffentlichen Meinungsbildung und zum Bewusstmachen von Problemen definitiv beitragen. Dass dies aber auch noch im Rahmen eines überaus differenzierten, spannenden, anrührenden und überhaupt nicht oberflächlichen Werks geschieht, ist besonders und macht den „Ewigen Gärtner“ zu einem Thriller, der nicht nur unbequeme Fragen stellt, sondern auch grandios inszeniert wurde und mit tollen Schauspielern aufwarten kann: Was kann, was darf man mehr wollen? (Benjamin Stello)

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