Von der Dialektik der Gewalt: „Catch a Fire” (Michael Grass)

Wer Feuer sät (Catch a Fire)
Regie: Phillip Noyce
Drehbuch: Shawn Slovo
Mit: Derek Luke, Tim Robbins & Bonnie Henna
Frankreich & Südafrika & USA 2006
Länge: 101 min
Verleih: United International Pictures
Kinostart: 18. Januar 2007
www.uip.de
Die Dialektik der GewaltSie hören Radio Freedom. Die Stimme des Afrikanischen Nationalkongress‘ für ein freies, unabhängiges Südafrika.

Der Mann am Eingang ist groß und schlank. Er trägt einen dunkelgrauen Anzug, farbige Krawatte, Brille. „Die Tasche müssense an der Garderobe abgehm!“, faucht er mich an. Als ich mich fragenden Blickes abwende, schickt er mir ein „Und tun’se am Besten gleich Ihr Händie mit rein!“. Wie bitte? Was soll das denn? Aber nein. Ich bin hier um einen Film zu sehen. Ich werde mich nicht umdrehen, ich werde nicht nachfragen. Ich werde meine Tasche abgeben – seit wann gibt es hier eine Garderobe? – und den Film sehen. Garderobe! Garderobe? Die Frau am Tresen lächelt mitfühlend und gleichermaßen ahnungslos und weist auf eine Ecke im hinteren Teil des Raumes. Ein Haufen von Jacken, Taschen, Mützen und obendrauf eine junge Frau als Wachhund. Sie sieht dem Mann am Eingang auf eine Art ähnlich, wie sich Soldaten ähnlich sehen, selbst wenn man die Uniform weglässt. Die gleichen Züge, die gleiche Attitüde, genormt durch ihre Aufgabe. Sie und er vertreten die Verleihfirma des Films. Beide befolgen Sicherheitsanweisungen, schützen den Verleih vor Piraten und Filmdieben und – Priorität – vor Umsatzverlust. Andere Verleihfirmen präsentieren sich zur Pressevorführung mit Informationsmappen. Die Frau an der „Garderobe“ meint: „Tun Sie am Besten Ihr Handy auch gleich mit in die Tasche!“ Das klingt nicht wie ein Angebot. Hätte ich eins, ich würde gehorchen, auf der Stelle. „Hab‘ keins.“, erwidere ich stattdessen schüchtern. Meine Tasche bekommt eine Nummer, meine Jacke bekommt eine Nummer. Ich bekomme zwei. Tasche und Jacke landen auf dem Haufen. Ich werde einen Film sehen. Ich bin doch nur zum Filmsehen hier. Kein Theater jetzt!

Der Mann am Eingang springt mir förmlich in den Weg. „Arme mal bitte zur Seite!“ Film sehen! Film! Film! Mein Gewissen mahnt mich zur Ruhe! Sein Elektrosuchgerät surrt und blinkt auf Höhe meiner Hosentaschen. „Bitte mal Taschen entleeren!“, befiehlt er gleichgültig. Film se…., blitzt es ein letztes Mal schwach vor meinem inneren Auge auf. Zu spät. Die Sicherung brennt durch. Ich verschaffe meinem Frust Raum. Motze den Verleihrepräsentanten an, nöle rum. Das ist nicht nötig. Das ist peinlich. Ich sollte mir doch einen Film ansehen, deswegen bin ich hier.

In dem Film geht es um Revolution und Aufbegehren, um Widerspruch und Protest. Die 1980er Jahre in Südafrika sind gekennzeichnet vom Freiheitskampf des ANC – des Afrikanischen Nationalkongress‘ – gegen die Unterdrückung des Apartheid-Systems. Anschläge gegen Einrichtungen des weißen Wohlstands entfachen schonungslose militärische Reaktionen der Staatsführung. Die Repressionen gegen die schwarze Bevölkerung provozieren gewaltvollen Widerstand. Wer Feuer sät!

In den Brennpunkt dieser Auseinandersetzungen gerät unversehens die Familie von Patrick Chamusso (Derek Luke) und seiner Frau Precious (Bonnie Henna). Chamusso ist Vorarbeiter einer Ölraffinerie. Er hat ein Haus, ein Auto. Seine Ablehnung jeglicher politischer Aktivität, sein Gehorsam und Pflichtbewusstsein gegenüber der Obrigkeit ermöglicht ihm ein Leben in relativem Wohlstand. Doch Chamusso lebt mit einer Lüge. Er ist ein Playboy, ein Charmeur, untreu. Als er eines Nachts seine Geliebte besucht, wird die Ölraffinerie Opfer eines Anschlags. Es kommt, wie es kommen muss. Chamusso gilt als verdächtig: er ist der Vorarbeiter, seine Krankschreibung ist gefälscht, sein Alibi hat Lücken. Um seine Ehe zu retten, verschweigt er seine Geliebte, verstrickt sich in Ungereimtheiten, das Alibi zerbricht. Er fällt in die Hände von Oberstleutnant Nic Vos (Tim Robbins), Chef der brutalen Nationalen Sicherheitspolizei. Chamusso kann das Bild des rechtschaffenen Schwarzen nicht aufrechterhalten, er opfert seiner Lüge Freunde, Frau und Besitz. Zu groß sind die Folterschmerzen, zu groß die Verachtung, die Vos und seine Schergen ihm entgegenbringen. Doch die Indizien reichen nicht zur Verurteilung. Nach Monaten der Quälerei wird er freigelassen. Hass gärt nun in ihm. Verbitterung und Abscheu gegen ein System, das er so lange durch Schweigen unterstützt hat. Jetzt hat es ihm sein Haus genommen, seine Frau gefoltert, seinen Freund ermordet. Wer Feuer sät!

Chamusso bricht mit seinem Leben, von dem ihm nur ein Trümmerhaufen geblieben ist. Er flieht aus dem Land, wird Mitglied des ANC. Kampftraining und Propaganda schulen das Opfer zum Täter um. Die Sicherheitspolizei setzt ihre eigenen, menschenrechtlich höchst zweifelbaren Mittel ein, um den ANC zu stoppen. Ein gegenseitiges Anstacheln und Schüren der Gewalt. Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt dreht sich unvermindert um den eigenen Kern. Wer Feuer sät!

Als sie Chamusso erwischen, ihn kontrollieren, ihn – „Ausziehen! Arme auseinander!“ – nach Waffen und Gerät durchsuchen, erinnere ich mich daran, wie ich in diesen Kinosaal gelangt bin. Repression gebiert Aggression. Die Dialektik der Gewalt. Wer Feuer sät! Ich fühle mich seltsam ertappt.

Regisseur Phillip Noyce (Das Kartell, Der Stille Amerikaner) hat ein Gespür für die Hintergründe politischer Gewalt. Er begnügt sich nicht damit, die Ereignisse darzustellen, sondern bettet sie in den Kontext ihrer eigenen Möglichkeit und Unmöglichkeit ein. Noyce verknüpft die Geschehnisse seines Films mit Denkprozessen über den Ursprung von Gewalt und über die Parabel der Gegengewalt. Was zunächst wie die Heroisierung des Widerstands wirkt, wandelt sich zum Plädoyer für den Ausbruch aus dem ewigen Kreislauf der Gewalt. Die Frage, nach welchen Kriterien paranoide Staatsregime – jenseits Südafrikas – Täterschaften konstruieren, gewinnt vor dem Hintergrund von Rasterfahndung und Guantanamo eine nicht zu verleugnende Brisanz. Die feine Differenziertheit der Charaktere, die Noyce zeichnet, entstellt die Täter-Opfer-Perspektive als rhetorische Schablone. Jeder Täter ist Opfer, jedes Opfer Täter. Gewalt erzeugt Gegengewalt. Macht provoziert Protest. Protest bringt Angst hervor. Jedoch sind die Mittel des Protests die Mittel der Macht. Schuld und Unschuld sind nicht auszumachen. Gut und Böse sind in ihrem Kampf gegeneinander aufgelöst, vereint und ausgelöscht. Wer Feuer sät!(Michael Grass)

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