Behaglichkeit und Heiliger Krieg

Erst zugedeckt und ohne Schuhe, danach Jihad und Liebe: „Schwarze Jungfrauen“ und „Hotel Babylon“ feiern Premiere im Theater der jungen Welt

Im Theater bitte die Schuhe aus. Gemütlich gebettet kann man bei einem warmen Tee einem ganz besonderen Schauspiel folgen und in eine Traumwelt eintauchen. Passend zur kühlen Jahreszeit gibt es gleich eine ganze Ansammlung von Schlafstätten.

Am 25.09.2009 feierte die interkulturelle Begegnung Hotel Babylon 2009 Premiere. Eine Adaption der Installation Tower of Babel- a theatre ritual von Robert Steijn und Lindy Six, die im Theater der Jungen Welt von Bernd Schlenkrich realisiert wurde.
Geführt von einem Volunteer bekommt man seine Koje zugewiesen und wird auch gleich zugedeckt. Umgeben von anderen Bettlägerigen, einem atmosphärischen Klang und einer geheimnisvollen Lichtinstallation beginnt die Reise im Hotel Babylon. Mit gedimmter Beleuchtung erscheinen die Storyteller aus der Stille, nehmen neben den Betten Platz und erzählen eine Geschichte in ihrer Muttersprache, wie z.B. Chinesisch. Fließend mündet diese dann in einen Dialog mit dem Bettgefährten. Durch die mitunter fehlende gemeinsame Sprache entsteht so eine sehr individuelle Begegnung.

Auf Hotel Babylon 2009 folgte eine weitere Premiere des Tages: Schwarze Jungfrauen in der Textfassung von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel. Sechs Monologe. Sechs Schauspielerinnen. Sechs junge Regisseurinnen, hauptsächlich junge Absolventinnen renommierter deutschsprachiger Regiesschulen: Katharina Herold, Kathleen Bredenbeck, Johanna Wehner, Romy Kuhn, Martina Gredler und Katja Lehmann inszenierten jeweils einen Monolog des Abends.

Versammelt vor einem goldenen Band öffnen sich vor den Zuschauern auf magische Weise die Saaltüren. Verschleierte Frauen huschen über den Gang. Flüchten. Tuscheln. Rennen. Die sechs Monologe werden von den Schauspielerinnen äußerst dynamisch umgesetzt.
Im zweiten Monolog, inszeniert von Kathleen Bredenbeck, irrt Elisabeth Fues als junge Muslima getrieben wie auf der Flucht durch die imaginäre Kampfarena. Ausgestattet mit Boxerstiefeln, Kapuzenshirt, grün getapten Handgelenken und einem unruhigen, aggressiven Blick skizziert sie tänzelnd ihren Kampf zwischen religiösen Gesetzen und zwischenmenschlicher Zuneigung, die unvereinbar zu sein scheinen. Jihad und Liebe. „Bist du zu langsam zum Leben?“ Durch die ständige Bewegung der Akteurin erhält der poetische Text seine notwendige Intensität und die Gefahr des gleichförmigen Monologs wird überwunden.

Das Bühnenbild entsteht durch das Spiel mit den Zuschauertribünen. Alle Monologe werden auf unterschiedlich positionierten Stuhlfestungen performt. Die Kostüme, weiß mit grün, in den Farben des Islams gehalten, betonen mit den vereinzelten Schriftzeichen die spartanische aber intensive Setzung der Regie.
Besonders im ersten Monolog gelingt es, die Atmosphäre einer anderen Kultur in den Theatersaal zu holen und diese zugleich zu stören, indem eine westeuropäische Frau, die zum Islam konvertiert, auftritt. Ein schwarzer Gazevorhang, orientalische Klänge und eine verschleierte Muslima (Anke Stoppa), die dem Zuschauer zugewandt einem Gebet folgt. Die Statik der Frontalsituation wird jedoch schnell aufgebrochen. Die Darstellerin eilt vor die Gaze, enthüllt sich und betont ihre Religionszugehörigkeit durch das emsige Zeichnen von arabischen Schriftzeichen auf ihrem Körper, bis er vollkommen bedeckt ist. Im Paradies wird jede Seele wissen, was sie mitgebracht hat.

Sechs Frauen, sechs Geschichten. Individuelle Störfelder im Umgang mit der islamischen Kultur, wie Glaubenskämpfe, Konversion und Andersartigkeit, werden in den Interpretationen temporeich und durchdringend verhandelt. Eine weitere Bereicherung ist die Philosophie der Szenenschlüsse, die sich nicht in einer endgültigen Setzung auflösen, sondern in einer sentenzenhaften Fragestellung enden, die Assoziationsräume freisetzt. Die sprachliche Stärke des Stücktextes ist ein zusätzliches Kriterium, das einen Besuch dieser Inszenierung unabdingbar macht sollte.

Schwarze Jungfrauen

Mit: Sonia Abril Romero, Claudia Fritzsche, Elisabeth Fues, Jana Horst, Susanne Krämer, Anke Stoppa Hotel Babylon
Projektleitung: Bernd Schlenkrich

Premiere: 25. September 2009, Theater der Jungen Welt

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