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Die Ausstellung „Neo Rauch – Begleiter“ im Museum der bildenden Künste Leipzig – der Gewinnertext des Friedrich-Rochlitz-Preises für Kunstkritik 2010 (2. Platz)

„Fluchtversuch“, 2008, Öl auf Leinwand, 220 x 400 cm (Bilder: © VG Bild-Kunst Bonn, 2010 | courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin und David Zwirner, New York | Foto: Uwe Walter, Berlin)

Verwirrend, merkwürdig, unfassbar – das sind Beschreibungen, die von allen Seiten murmelnd an das Ohr des Besuchers drängen, wenn er derzeit die Ausstellung „Neo Rauch – Begleiter“ im Leipziger Museum der bildenden Künste betritt. Präsentiert werden rund fünfzig Werke der letzten zwei Jahrzehnte seines Schaffens. Die meisten von ihnen geben sich beachtlich großformatig, wobei eine Entwicklung in Rauchs Schaffen im Wesentlichen weg vom Abstrakten hin zum typisch Figürlichen der Malweise der so genannten Leipziger Schule erfolgt ist. Die Mitarbeit des Künstlers selbst an der Ausstellung ist nicht zu übersehen, handelt es sich hierbei doch um die Retrospektive eines noch lebenden Virtuosen der Malerei.

Die Gemälde sind auf die für Rauch typische Weise einer rätselhaften Traumwelt entlehnt, in der bärtige Gurus Kristalldrusen darbietend in der Lage sind, die Welt zu verändern, riesenhafte Babys wie Heliumluftballons zum Bildrand aufsteigen und sumpfige Landschaften sich mit monströsen Zahnpastahügeln abwechseln. Diese mysteriösen Szenarien wirken durch die klare Flächenaufteilung und den deckenden Farbauftrag umso unverständlicher auf den Betrachter, welcher sich wie vor dem Rätsel der Sphinx genötigt fühlt eine Lösung für dieses wohl sortierte Chaos zu finden. Auch die Titel der Werke, wie „Mittag“ oder „Höhe“, die oft in Sprechblasen in das Geschehen platzen, geben wenig Aufschluss über die eigentliche Bedeutung der Szenen. Mit diesen immer wiederkehrenden comichaften Einflüssen scheint Rauch die Ernsthaftigkeit seiner Bilder selbst auf naive Weise zu hinterfragen. Oftmals dominiert der Eindruck einer eindeutig politischen oder gar ideologischen Kulisse, wenn etwa matronenhafte Frauen in sozialistisch anmutender Arbeiterkleidung durch das Bild marschieren oder eine Gruppe Uniformierter Fahnen schwenkend durch Trümmerberge watet. Es klingen jedoch auch traditionell christliche und heilige Motive an. Daher wachen beispielsweise verträumte Engelswesen über eine Modelleisenbahnstadt, eine Märtyrergestalt wankt ähnlich wie Christus das Kreuz tragend in die Szene oder ein Priester einer noch nicht gegründeten Glaubensgemeinschaft schwenkt eine überdimensionale Opiumlampe über die Bühne. Verstärkt wird dieses Gefühl, Zuschauer eines völlig verrückten Tatherganges zu sein, nur noch durch die einzigartig expressive Farbigkeit. Rauch bedient sich der unterschiedlichsten Farbnuancen von dunklem violett bis beißend neongelb. Durch diese kräftigen Töne bewirkt er immer wieder ein Aufeinanderprallen der Extreme: helle und dunkle, warme und kalte Flächen werden miteinander kombiniert und ergeben so durch den komplementären Kontrast eine surrealistische Stimmung, welche zugleich durch die realistischen Formen und Figuren gebrochen wird.

„Die Fuge“ (Ausschnitt), 2007, Öl auf Leinwand, 300 x 420 cm

Es kommt zu einer Kollision der Radikale – einer Art Supernova im Auge des Betrachters. Diese einzigartigen Stimmungen, für die Rauch mittlerweile weltbekannt ist und die seinen Stil ausmachen, wirken auf den Besucher sowohl abnorm und abschreckend als auch auf skurrile Weise anziehend. Es grenzt an eine massenwirksame Ästhetik des Ekels, wenn die Menschen in Scharen wie die Motten in das Licht in die Leipziger Ausstellung flattern. Obwohl die Schau für die Kuratoren thematisch keine große Herausforderung darstellt, ist sie es doch wenigstens im logistischen Sinne. Zwar ist das Museum der Bildenden Künste zweifellos das Staatliche Museum mit der größten eigenen Sammlung von Rauch Werken, die meisten Gemälde des Leipzigers befinden sich jedoch auf Grund ihrer Beliebtheit und ihres derzeitigen Marktwertes in Privatbesitz. Die Schau ist zudem eine Kooperation mit der Pinakothek der Moderne in München, welche nochmals etwa siebzig Bilder zeigt.

Der Besucher bekommt hier die einzigartige Chance den Künstler durch die letzten Jahrzehnte seines Schaffens zu begleiten und dabei einen kurzen Blick hinter die Kulissen der nebulösen Traum- und Parallelwelten seines Œuvres zu werfen. Die Frage was Neo Rauchs Welt im Innersten zusammenhält, bleibt so zwar vielleicht für immer ungeklärt, aber was wäre er auch für ein Zauberer, wenn er das Geheimnis seines besten Tricks verraten würde? Eins steht jedoch fest: Wo Rauch ist, da ist auch Feuer!

Neo Rauch – Begleiter

Ausstellung

18. April bis 15. August 2010, Museum der bildenden Künste Leipzig

www.neo-rauch-ausstellung.de

Verleihung des Friedrich-Rochlitz-Preises für Kunstkritik 2010

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