Vom Lieben und Lassen

Die Romanverfilmung „Der Geschmack von Rost und Knochen“ von Regisseur Jaques Audiard tut auf angenehme Art und Weise weh

Marion Cotillard und Matthias Schoenaerts spielen das ungleiche Paar Stéphanie und Ali (Fotos: JMH Distributions)

2009 feierte Jaques Audiard mit seinem Film Ein Prophet Premiere in Cannes und erhielt dafür den großen Preis der Jury. Von der Presse hochgelobt, wurde Der Geschmack von Rost und Knochen 2012 ebenfalls in Cannes zum ersten Mal gezeigt. Jetzt kommt dieser Film in die deutschen Kinos und setzt mit einer aufwühlenden Bildsprache und einer herausragenden schauspielerischen Leistung von Oscar-Gewinnerin Marion Cotillard und dem noch weitgehend unbekannten Matthias Schoenaerts ein großartiges Filmereignis des französischen Kinos an den Anfang des Jahres.

Es ist die Liebesgeschichte eines Antihelden, eines Menschen, bei dem irgendwie alles scheiße läuft und der ganz offensichtlich selbst schuld daran ist. Dass er trotzdem eine Liebesgeschichte erleben kann, sogar muss, ist der Plot der Romanvorlage Rust and Bone, die Audiard abgrundtief menschlich verfilmt hat.

Ali (Matthias Schoenaerts) scheitert immer wieder an sich selbst und den Umständen. Umso schwieriger wird es, als Ali Verantwortung für ein Kind (Armand Verdure), das in einer seiner kaputten Beziehungen entstanden ist, übernehmen muss. Hilflos zieht er mit Sam zu seiner Schwester an die Côte d’Azur. Man könnte meinen, dass sein Sohn allein Antrieb sein könnte, das eigene Leben zu ändern. Doch Ali scheint da resistent. Er wird grob zu Sam, wenn dieser ihn nervt. Er behandelt seine Schwester (Corinne Masireo), die ihn und Sam aufnimmt, wie den letzten Dreck. Das alles scheint ihm nicht wirklich Leid zu tun. Matthias Schoenaerts spielt Ali voller Härte und angespannten Muskeln. Doch Regisseur Jaques Audiard spannt den Bogen klug und lässt jeden unsicheren Blick, jede Weichheit, die Schoenaerts zeigt, zu einem Ereignis werden.

Ausgerechnet beim empathielosen Ali sucht die an den Rollstuhl gefesselte Stéphanie Hilfe

Dann begegnet Ali Stéphanie, einer Orcawaltrainerin (Marion Cotillard), vor der Disco. Er Türsteher, sie Gast. Die beiden positionieren und observieren sich zunächst wie zwei Kämpfer, die erst noch ihre Messer schärfen müssen und noch nicht wissen, ob es ein Kampf gegeneinander oder miteinander wird. Er fährt sie nach Hause.

Bei dem Unfall, der einige Zeit später im Marineland passiert, lässt einer der Orcawale die Tribüne zerbersten und verletzt Stéphanies Beine dabei so schwer, dass sie amputiert werden müssen. Audiard lässt dieses schreckliche Ereignis als so gnadenlos und unveränderbar passieren, wie es eben ist in solchen Momenten, die alles, was ein Leben ausgemacht hat, in einem Bruchteil von Zeit auslöschen. Stéphanie ist eine Frau, die es braucht, begehrt zu werden, die Blicke zu spüren. Dass ihre Suche nach Hilfe ausgerechnet bei Ali, dem Empathielosen, Früchte trägt, ist der Kern dieser Geschichte, die von Liebe erzählt.

Denn Audiard lässt zwischen all der Brutalität einen nachsichtigen Blick auf seinen Antihelden Ali zu, wenn er der Verletzten Stéphanie mit mutiger Offenheit begegnet. „Willst du schwimmen gehen?“, fragt er die höchst Depressive und in ihrem Rollstuhl zusammengesunkene. Als sie verneint, ist da bei Ali kein Raum für Mitleid oder Hilflosigkeit. Dass er diese Gefühle nicht zulassen kann, wird in der Beziehung mit Stéphanie erst zum Auslöser dieser. Später wird sie die einzige Frau sein, die bei Alis illegalen Straßenkämpfen mit dabei ist. Seine Härte lässt sie wiederum abhärten, seine Rücksichtslosigkeit einen erneuten Willen zum Leben in ihr entstehen.

Stéphanie ist die einzige Frau, die bei Alis illegalen Straßenkämpfen zuschaut

Es wird nicht viel geredet in Der Geschmack von Rost und Knochen. Als Stéphanie andeutet, dass ihr Liebesleben seit dem Unfall brachliegt, fragt Ali sie ganz direkt heraus, ob sie jetzt gerne ficken möchte. Aus der Freundschaft entwickelt sich eine Affäre, die jedoch nicht vergleichbar mit Alis zahlreichen Frauengeschichten ist, bei denen er auch einfach „zum Ficken“ bleibt. Doch die beiden lassen sich so wie sie sind und lernen so zu lieben. Mit der Szene des Wiedersehens von Stéphanie mit dem Orcawal, dem sie wieder mit aufrechter Haltung begegnen kann oder die vielen Momente, in denen seine Figuren ihr Gesicht trotzig in die Sonne halten, lässt Audiard die Bilder von so aufrichtigen und echten Emotionen erzählen, dass es immer wieder auf angenehme Art und Weise wehtut. Schließlich scheint Ali sogar langsam doch einen Zugang zu seinem kleinen Sohn zu finden. Bis all diese zarten Wurzeln dann jäh wieder zu zerreißen scheinen. Doch auch das gehört zur Liebesgeschichte dieses Antihelden, der als eine Art Phönix immer wieder aus der verbrannten Erde steigt, die er hinterlassen hat und die Audiard wirklich meisterhaft in Szene gesetzt hat.

Der Geschmack von Rost und Knochen

Frankreich 2012, 120 Minuten

Regie: Jaques Audiard; Darsteller: Marion Cotillard, Matthias Schoenaerts, Corinne Masiero, Jean Michel Correia

Kinostart: 10. Januar 2013


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