Gewandhausorchester spielt Pfitzner (Marcus Erb-Szymanski)

05. April 2001 Gewandhaus Großer Saal

Gewandhausorchester, Dirigent: Rolf Reuter

Solist: David Geringas, Violoncello

Paul Dessau: Bachvariationen
Hans Pfitzner: Konzert für Violoncello und Orchester (1888)
Antonín Dvorák: 6. Sinfonie D-Dur op. 60

Der Ton macht die Musik

Einiges über Hans Pfitzner

Paradoxerweise gehört auch Hans Pfitzner zu den Komponisten, die durch die Kulturpolitik der Faschisten heute ziemlich in Vergessenheit geraten sind. Doch nicht etwa, weil man ihn damals auf den Index „Entarteter Kunst“ gesetzt hätte, sondern weil sich Pfitzner selbst mit teilweise untragbaren und unerträglichen Bemerkungen für die Nachwelt disqualifiziert hat.

In seiner in Kriegszeiten (1940) erschienenen Schrift „Über musikalische Inspiration“ beispielsweise, in der Pfitzner gegen jene wettert, die in der Inspiration kein allgemeingültiges Prinzip des kompositorischen Schaffens mehr sehen wollen, sondern sie, wie er sagt, „rationieren wie Butter in butterarmen Zeiten“. Dort bekennt er rückblickend, hinsichtlich seines ästhetischen Streits mit dem Musikwissenschaftler Paul Bekker, ganz freimütig: „Damals glaubte ich, die antimusikalische, materialistische Weltanschauung bekämpfen zu müssen, die ich gleichsetzte mit dem zersetzenden, jüdisch-internationalen Geist, der die Welt beherrschte. Dies muß jedoch ein Irrtum gewesen sein, denn heute erhebt diese Richtung ihre Stimme noch viel lauter und dreister, und zwar in derselben Zeitung, an der damals Paul Bekker Mitarbeiter war, nämlich der Frankfurter Zeitung, trotzdem inzwischen wenigstens politisch mit diesem Geist aufgeräumt worden ist, den ich damals künstlerisch, und wie ich glauben darf, mit Erfolg bekämpfte. Heute aber kann ich in bezug auf Paul Bekker sagen: ?Sein Tod grämt mich doch schier, da viel üblere Schächer unerschlagen noch leben‘.“

Ja er ist nicht zimperlich gewesen, der Herr Pfitzner, weder in seinen Ansichten noch in seiner Wortwahl. Und wenn er in einem zweifellos recht merkwürdigen logischen Schluss seine ästhetischen Gegner gleichsetzt mit einem vermeintlich politisch und offensichtlich auch rassischem Gegner, dann braucht er sich nicht zu wundern, wenn die Nachwelt den nicht weniger unlogischen Umkehrschluss zieht und seine Musik in Verbindung bringt mit jenem Ungeist, der in den Konzentrationslagern mit dem „materialistischen“, „jüdisch-internationalen“ und ?antimusikalischen? Weltgeist ?aufgeräumt? hat.

Wie ist nun aber die Musik eines solchen (radikal konservativen oder politisch verwirrten?) Menschen beschaffen? Im Gewandhauskonzert vom 05./06.04.2001 war nun wieder einmal die seltene Gelegenheit, eine Komposition von Pfitzner zu hören: Das Konzert für Violoncello und Orchester a-Moll von 1888. Es liegt ein seltsamer Widerspruch in dieser Musik. Zunächst einmal ist sie, trotz der unüblichen Zweisätzigkeit und elegischen Ausdauer, von der Anlage her ganz traditionell gehalten; der Solist dominiert in weiten Teilen und das Orchester begleitet, bestärkt, aber geht kaum eigene Wege. Imponierend ist jedoch, wieviel Zeit sich der Komponist lässt, wie sehr er es auskostet und mit welcher Konsequenz es auch durchhält, in langen, überwiegend tief schwermütigen Passagen Abschied von der spätromantischen Musik zu nehmen. Doch dieser Abschied ist zugleich eine äußerst selbstbewusste Demonstration der eigenen Position: ein Aufbegehren gegen jeden Modernismus, der sich auf technische Mittel bezieht. Solches Selbstbewusstsein und solche Treue gegenüber dem eigenen Prinzip, mit dem ein Komponist diesem Tenor seiner Musik das ganze lange Konzert hindurch treu bleibt und dabei nichts von seiner Intensität verliert und auch an keiner Stelle langatmig wird, nötigt auch dem modernen Hörer höchsten Respekt und höchste Konzentration ab.
Das alles erweckt den Eindruck, ein Alterswerk vor sich zu haben. Doch weit gefehlt – damit wären wir bei besagtem Widerspruch – es handelt sich um eine Studie aus der Studienzeit Pfitzners, die erst 1975 im Nachlass von Pfitzner entdeckt und 1977 uraufgeführt wurde. Natürlich ist der Ausdruck Studie bei einem so abgerundeten Werk unpassend. Aber tatsächlich entstand das Cellokonzert am Hochschen Konservatorium in Frankfurt am Main, wo es der Kompositionsschüler Pfitzner für seinen Freund, den Cellisten Heinrich Kiefer, komponiert hatte und wo es bei dem damaligen Direktor Bernhard Scholz in höchste Ungnade fiel, so dass es nie öffentlich aufgeführt wurde.

Aus welcher Haltung heraus der junge Pfitzner damals komponiert haben mag, kann man sich anhand des folgenden Zitats aus besagter Schrift über Inspiration vorstellen: ?Die Fähigkeit zum produktiven, genialen Improvisieren hört mit der Zeit auf; sie ist in der Jugend am stärksten, wie auch die der musikalischen Erfindung. Von allen Schaffenden braucht der Komponist die Jugend am meisten. Deshalb hat Schumann recht, wenn er vom Phantasieren sagt: ?Der Jugend glücklichsten Stunden sind diese.? Oder man könnte auch sagen: diese glücklichsten Stunden im Leben der Komponisten sind vorzugsweise der Jugend vorbehalten…?
Ist das Cellokonzert von 1888 also das Kind einer der glücklichsten Stunden Pfitzners, in der er sich einem freien Fantasieren hingab und sich von der Kunst durchströmen ließ, um hinterher dies Erlebnis aufs Papier zu bannen? Vermutlich, aber um so merkwürdiger ist es, wie dann dieser dunkle, melancholische und schwerblütige Charakter in die Musik kommt. Ist es die Altklugheit eines frühreifen Genies? Nein, das kann man wirklich nicht sagen, denn dieses Konzert ruft vom ersten bis zum letzten Ton den Eindruck eines ehrlichen Empfundenseins hervor und wirkt niemals manieriert. Aus der Musik Pfitzners spricht tatsächlich ein ganz anderer Mensch als aus seinen Schriften. Und wenn man ihn aufgrund letzterer nun doch nicht in die historische Bedeutungslosigkeit fallen lässt, dann deshalb, weil eine neuerliche Annäherung auch an den Menschen Pfitzner über seine Musik möglich und wohl auch nötig ist.


(Marcus Erb-Szymanski)

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