Stele / Landscape – Neue Musik und Landschaft (Nico Thom)

02. Juni 2001 Schaubühne im Lindenfels

Stele / Landscape – Neue Musik und Landschaft

1. Konzert: sound of landscape

Steffen Schleiermacher, Klavier

Nicolaus Richter de Vroe „Grabbo“ (1997)
Steffen Schleiermacher „Zwölf Klanglandschaften“ (2001 UA)
Kazuo Fukushima „A Ring of the Wind“ (1968)
John Cage „In a Landscape“

2. Konzert: structur of landscape

Kairos-Quartett

Toshio Hosokawa „landscape I“ (1992)
Knut Müller „Thorn“
Chatschatur Kanajan „landscape X“ (2001 UA)
Julio Estrada „Canto mnémico“ (1973/83)

3. Konzert: view of landscape

John Cage „Imaginary landscape No. 1“ (1939)
Knut Müller „Topos 4“ (2001 UA)

Programmkonzeption: Knut Müller/Steffen Schleiermacher
Technik/Lichtdesign: Bernd E. Gengelbach

Musik und mehr

Daß Musik mehr ist als die bloße Aneinanderreihung von Tönen, das wußten wir bereits. Und daß Musik Affekte, Bilder und Emotionen beim Zuhörer auslösen kann, ebenso. Wie man es aber schafft, Stücke verschiedenster Komponisten so zu kombinieren und zu gestalten, daß daraus ein Gesamtkunstwerk entsteht, ist ein Geheimnis weniger Eingeweihter.

Nun hat Leipzig das Glück, einen dieser Könner in den eigenen Reihen zu wissen. Steffen Schleiermacher hatte wieder einmal seine Hände im Spiel und dies im wörtlichen wie übertragenen Sinne: Als Pianist und Komponist gestaltete er das erste Konzert – „sound of landscape“ – eines dreiteiligen Abendprogramms, das unter dem Motto „Stele / Landscape“ stand. Neben Werken von Richter de Vroe, Fukushima und Cage, spielte er seine: „Zwölf Klanglandschaften im Klavier“; eine Komposition, die sich aus zwölf kurzen Stücken zusammensetzt, wobei jedem Stück jeweils eine technische bzw. musikalische Frage zugrunde liegt. Laut Aussage des Komponisten möchte er mit diesem Opus vor allem junge Pianisten/innen an außergewöhnliche Klänge und Spielweisen heranführen. Die zwölf kurzen Meditationen, die beispielsweise mit „Auf dem Meer“, „Im Schiefergebirge“ oder „In der Höhle“ betitelt sind, verweisen in der Tat auf jeweils eigenständige Klangstrukturen, die den Hörer auf eine spannungsgeladene Reise durch imaginäre Räume und Landschaften einladen. Schleiermachers fesselnde Vortragsweise verführte das aufgeschlossene Publikum zum Träumen und inspirierte zu Gedankenausflügen.

Die Veranstalter, der musica nova e.V., hatten als adäquaten Aufführungsort zum assoziationsreichen Motto die Schaubühne im Lindenfels gewählt. „Stele / Landscape“ bezieht sich zum einen auf die von den alten Griechen aufgestellten freistehenden Grenz- bzw. Gedenkpfeiler (Stele) und zum anderen auf natürliche oder vom Menschen manipulierte Landschaften. Und wer die Schaubühne kennt, der weiß, daß sie sowohl Gedenkpfeilern wie auch Landschaften die optische Entsprechung zu geben vermag. Standen ihre alten Säulen im großen Saal symbolisch für die Stele, ließen sich die Veranstalter, um eine Verbindung zu den Landschaften herzustellen, etwas Besonderes einfallen: Sie leuchteten den Saal mit geschmackvoll und dezent eingesetzten Lichteffekten aus und erzeugten auf diese Weise virtuelle Landschaften.

Nun gehört aber zu einem gelungenen Konzert mehr als nur ein inspirierendes Ambiente. Die Initiatoren des Abends erstellten ein musikalisches Konglomerat, dem es an Facettenreichtum und Wirkungsintensität nicht mangelte. Dem bravourösen Solovortrag mit Schleiermacher am Flügel im ersten Programmteil folgte im zweiten ein nicht minder eindrucksvoller Beitrag des Kairos-Streichquartetts, der unter der Überschrift „structur of landscape“ stand. Dabei glänzte das Quartett mit unverkrampfter und entspannter Spielweise und entlockte so der durchaus anspruchsvollen Literatur sensible bis heitere Nuancen – der Komposition „Thorn“ etwa des Leipziger Komponisten Knut Müller mit ihrem Hang zum Grotesken (jammernde Geigen).

Neben Schleiermacher und Müller war Quartettmitglied Chatschatur Kanajan der dritte im Bunde der anwesenden Komponisten. Seine Komposition „landscape X“ bedient sich einer Kompositionstechnik, bei der die Noten der Spieler in der Anordnung auf dem Notenblatt ein X ergeben.

Nach dem bewegenden Auftritt des Streichquartetts waren im abschließenden dritten und letzten Teil des Abends zwei elektronische Werke zu hören. Die aus dem Jahr 1939 stammende Komposition „Imaginary landscape No. 1“ von John Cage läßt verschiedene Varianten der Aufführung zu. Die reine Darbietung vom Band schien das Publikum offenkundig verwirrt zu haben, da der Applaus nur zögerlich ausfiel, obwohl man bei allen Stücken zuvor nicht mit Anerkennung gespart hatte. Auch Müllers „Topos 4“ wurde allein vom Band abgespielt. Vier „Soundstationen“ ließen in unterschiedlichen Zeitabständen einen surrealen Sound entströmen, der Assoziationen mit fiktiven Landschaften weckte und einen merkwürdig entrückten Eindruck hinterließ.

Daß dieses Stück mit seinen ca. 45 Minuten dem Hörer angesichts der Fülle des Dargebotenen einiges abverlangte, ändert nichts am positiven Fazit. Freunden von Neuer Musik dürfte dieses anspruchsvolle Programm ein intellektuelles wie auch sinnliches Fest gewesen sein.

(Nico Thom)

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