Lars Norén „Dämonen” – Premiere (Marga Ursula Bré)

22. September 2001

Schauspiel Leipzig/Neue Szene

Lars Norén ?Dämonen? – Premiere

Aus dem Schwedischen von Angelika Gundlach

Regie: Markus Dietz
Bühne und Kostüme: Franz Lehr
Katarina: Constanze Becker
Frank: Christoph Hohmann
Jenna: Bettina Riebesel
Tomas: Tobias J. Lehmann

Rondo furioso

Auf dem nach drei Seiten offenen Bühnenpodest markiert ein Lichtstreifen den Grundriß einer Wohnung, die mit einer breiten Liege (Schlafzimmer), mehreren kleinen Glastischen, Sofa und Designersessel (Wohnzimmer) möbliert ist und an deren Schmalseite die Milchglasfront einer breiten Kabine vage Einsicht in Küche und Duschraum gewährt. Ein CD-Radiorecorder, verschiedene Lampen, Telefon, ein Aschenbecher, Gläser und Flaschen mit diversem Alkohol komplettieren den immer gleichen Spielraum, aus dem es für die vier Akteure zwei Stunden lang kein Entrinnen gibt. Genau genommen sind es fünf, denn im ersten Auftritt bringt Frank im Plastikbeutel einen stummen Gast mit nach Hause ? die Urne mit der Asche seiner Mutter. Sie schafft allein durch ihre Anwesenheit einen markanten Bezugspunkt. Nicht so die Meldung von einem Bombenterroranschlag mit vielen Verletzten, die flüchtig aus dem Radio dringt und die Frank weniger erschüttert als die Tatsache, daß Katarina trotz Absprache wieder nicht die Wohnung aufgeräumt hat. Katarina, Mitte dreißig, ist seine Frau. Kinder haben sie nicht. An diesem Abend erwarten sie Franks Bruder und Schwägerin, die an der Bestattung teilnehmen werden.

Als Lars Norén ?Dämonen? schrieb, war er 38, so alt wie Frank. Und das Stück erschien als erster Teil einer Trilogie, die mit ?Nachtwache? und ?Asche? ein Thema variierte, das den schwedischen Autor offenbar jahrelang nicht losließ: Anläßlich der Beerdigung ihrer Mutter kommt es zu einer endlosen quälenden Auseinandersetzung zwischen den beiden Brüdern und ihren Frauen (eine deutsche Aufführung der ?Nachtwache? brachte es auf mehr als 5 Stunden!), die in den Abgründen der Ehedramen die unbewältigten Konflikte der Mutter-Sohn-Beziehungen zum Vorschein bringt.

In ?Dämonen? sagt der Bruder seinen Besuch ab, weil er eine Fußballübertragung im Fernsehen nicht verpassen möchte. Frank und Katarina laden deshalb ? sie wollen den Abend auf keinen Fall allein verbringen ? ein Ehepaar aus dem Haus ein, das sie nur flüchtig kennen. Tomas und Jenna, jung, sympathisch, ein wenig befangen, reden über ihre beiden Kinder, erzählen ? bisweilen im parodistischen Duett ? die immer gleichen Geschichten von Krankheiten, Sorgen und den ewigen Kindersendungen im Fernsehen. Jenna klagt über den Alltagstrott, der sie so erschöpft, dass sie den kleinen Wolfgang schon zweimal hat fallen lassen. Doch das interessiert Katarina und Frank nicht wirklich, man erkennt es daran, wie Frank Namen und Fakten achtlos durcheinander bringt. Jenna und Tomas scheinen für sie nur strategische Punkte im fortdauernden ehelichen Stellungskrieg zu sein.

?Ich habe von dir geträumt?, ruft Katarina dem eintretenden Tomas zu und eröffnet eine erotische Attacke, die zugleich Frank aus der Reserve locken soll. Sie kämpft dabei weniger mit Worten als mit dem Einsatz von Körpergestik und Mimik und einem leise höhnenden Lachen, das auf der anderen Seite Verunsicherung und Wut auslöst. Wie ambivalent Katarinas Verhalten ist, zeigen andererseits ihre fast flehentlich vorgetragenen Friedensangebote, die immer wieder die hemmungsloser und zynischer werdenden Wortgefechte mit Frank unterbrechen. Der mimt den Coolen, Unabhängigen, Undurchschaubaren. Nur selten öffnet sich sein Visier, und seine Ausfälle erfolgen dann blitzartig, heftig, brutal. Das Partygespräch, unterwandert von Katarinas taktischem Spiel und von den Spannungen, die zwischen ihr und Frank bestehen, nimmt, vom Alkohol angeheizt, einen unvorhergesehenen Lauf…

Markus Dietz, der dies alles glänzend inszeniert hat, vertraut mit Recht Noréns Text und setzt vor allem auf die Musikalität der Dialoge. Er arbeitet präzise den bald beschleunigten, bald verlangsamten Rhythmus der Rede heraus und läßt ihren Ton an- und abschwellen bis zur Stille. Ein Höhepunkt dieser Arbeit ist zweifellos das hinreißende Quartett polyphoner Stimmen, das sich aus dem Doppelstreit der Ehepaare zu einen bestimmten Film und über das Anschaffen eines DVD-Players entwickelt. In diesem Furioso verflüchtigt sich hörbar der Sinn des Gesagten, es scheint so, als verteidigte jeder schreiend sein unteilbares Ich ? und dabei entlädt sich der blanke Haß. Jennas spätere Bemerkung: ?Ich finde, ihr seid schrecklich? meint wohl auch: weil ihr uns soweit gebracht habt.

Es gibt noch eine zweite, stumme Szene, die alle vier in einem Gefühl vereint: der Augenblick lähmenden Entsetzens, als Frank in hilflosem Zorn die Asche seiner Mutter über Katarinas Haupt ausschüttet. Doch dann erzählt Frank einen Traum: Er sitzt mit der Mutter und Katarina in einem Raum, während draußen ?etwas vorgeht?, vielleicht Krieg. Und er weiß, daß er Geschichten erfinden und reden muß ? wie Scheherezade ? um sein Leben, denn die Mutter hält heimlich einen Revolver im Anschlag, um ihn zu töten, sobald er schweigt. Er versucht zu fliehen und spürt, daß ihm alles entgleitet und nichts sich von ihm berühren läßt und alles ? auch er selbst ? nicht wirklich existiert. Von da an bewegt sich Frank wie ein Traumwandler oder wie ein Kind, das nicht weiß, wohin es gehen soll, und darum bleibt.

Das Schlußritual ? bei Norén eine mit Hammer und Nägeln begonnene Kreuzigung Franks als letzter Versuch Katarinas, die Liebe wiederzuerwecken ? hat Markus Dietz wohlweislich in die verbale Andeutung zurückgenommen. Das resignativ ausklingende Ende läßt offen, ob dies der endgültige Bruch oder nur der Ausdruck totaler Erschöpfung ist.

Lars Noréns 1982 geschriebenes, in Deutschland gleich danach oft gespieltes Drama ist von vielen Kritikern mit Edward Albees Erfolgsstück ?Wer hat Angst vor Virginia Woolf?? (1962) verglichen worden, und die Grundkonstellation der Stücke ? zwei Paare verbringen miteinander einen Abend und kommen sich über Kreuz näher ? ist ähnlich. Norén hat dagegen stets seine große Nähe zum ?Totentanz? seines Landsmannes August Strindberg betont. Was ?Dämonen? von ?Wer hat Angst vor Virginia Woolf?? grundsätzlich unterscheidet, ist der Verzicht auf die bewusste Täuschung des andern. Frank und Katarina sind ehrlich zueinander ? sie kennen sich einfach zu gut ? und so demütigen sie sich, hassen sich, möchten sich am liebsten umbringen und sind doch unfähig, die Leere ihres Lebens auszufüllen. Sie bleiben zusammen, ?weil der Genuß am Leid so stark ist? (Zitat von Norén).

Markus Dietz hat das Stück in die Gegenwart gestellt (siehe Rundfunkeinspielungen) und den mehrbödigen Text sehr aufmerksam auf aktuelle Schmerzpunkte abgehorcht.. Dank der ausgezeichneten Besetzung der vier Rollen entwickelt sich ein sehr bewegtes, teils komisches, teils atemberaubend spannendes Spiel. Doch was mich am tiefsten beeindruckt hat, ist die (hervorragend von Christoph Hohmann suggerierte) Verlorenheit, die seelische Not und Angst des einzelnen in der ihm entgleitenden Welt. Es sind die intensivsten Augenblicke der Inszenierung, wenn man die stummen Hilferufe zu hören glaubt wie den Schlag des Herzens beim Sprechen.

(Marga Ursula Bré)

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