Jacques Offenbach: „Orpheus in der Unterwelt” (Wolfgang Gersthofer)

13. November 2001 Musikalische Komödie Leipzig, Dreilinden

Jacques Offenbach: „Orpheus in der Unterwelt“

Mitwirkende: siehe Ende des Textes

Cancan gut – alles gut

Offenbachs „Orpheus“ an der Musikalischen Komödie

Nichts Neues im Westen Leipzigs, wäre man angesichts der herbstlichen Operettenpremiere im Haus Dreilinden versucht zu sagen. Der Intendantenwechsel am Augustusplatz scheint auf das künstlerische Leben in Lindenau kaum einzuwirken; man hat seinen (Operetten-)Stil, man hat sein Publikum. Und das ist vielleicht auch gut so. Gleichwohl: Offenbachs freche Parodie eines der großen antiken Mythen, welche die eigentliche Geburtsstunde der – abendfüllenden – Pariser Operette markierte, hätte wohl eine schärfere, bissigere Regiehandschrift (als sie jetzt an der MuKo sich manifestierte) vertragen können. Immerhin führt das Werk aus den späten 1850er Jahren Orpheus und Eurydike so vor, wie man sie, die von altersher Inbegriff der innig einander Verbundenen waren (auf der Musiktheaterbühne zeugen hiervon Monteverdi oder Gluck), nie kannte: als Ehepaar, das sich auseinandergelebt hat und dessen Hälften jetzt ihre eigenen (erotischen) Wege gehen: Orpheus, der städtische Musikbeamte, hat seine diversen Geigenschülerinnen ?; seine attraktive Gattin vergnügt sich mit dem charmanten Schäfer Aristeus, der sich unversehens als draufgängerisch-liebesbesessener Unterweltsfürst Pluto entpuppt. Auch die Götter auf wolkigen Höh’n werden von den Pariser Offenbach-Librettisten ähnlich respektlos gezeichnet; der Musikhistoriker mag ein gewisses Gegenstück dazu in Giovanni Legrenzis fast zwei Jahrhunderte zuvor zu Venedig (1675) aufgeführter (und von Thomas Hengelbrock vor einiger Zeit in Schwetzingen neu präsentierter) „Divisione del mondo“ erblicken, einem Werk, das man freilich um die Mitte des 19. Jahrhunderts an der Seine kaum kennen konnte.

Die in der Metropole Napoleons III. gewiß gewagte Satire – auf musikalischer Ebene wäre an Orpheus‘ Zitierung des berühmten Gluck-Schlagers „Ach, ich habe sie verloren“ zu denken – wollte nun an der Pleiße des Jahres 2001 nicht mehr recht ihrer Schärfe schneidenden Zahn zeigen. Mochte einem auch, als sich der Vorhang zur olympischen Szene des zweiten Bildes hob, die blonde Venus ein wenig wie ein Lilo Wanders-Verschnitt vorkommen, und mochte die dunkelhaarige Jagdgöttin Diana, berufsmäßig eigentlich mehr für die Keuschheit zuständig, im Verlaufe des Geschehens ein respektables Dekollete enthüllen, der Götterchef Jupiter agierte doch etwas sehr klamaukig-beschaulich. Und so war in dieser Aufführung Einiges zu „operettig“-gemütlich geraten anstatt wenigstens einen Hauch beißender Persiflage spüren zu lassen.

***

Man verzichtete in der Lindenauer Inszenierung auf die bekannte Ouvertüre, die freilich ohnehin erst für eine anderthalb Jahre nach der Uraufführung erfolgende Wiener Produktion des Werkes (in der deutschsprachigen Version Johann Nestroys) vom dortigen Kapellmeister Carl Binder arrangiert worden ist. Es konnte eine solide Ensemble- und Orchesterleistung – die bisweilen spritzig-geistreich funkelnde Partitur war in dieser Hinsicht allerdings nicht wirklich bis ins Letzte ausgelotet worden – verzeichnet werden. Um die Textverständlichkeit in den Gesangsnummern war es nicht immer zum besten bestellt (besonders eklatant: Merkurs Aufrittslied im 2. Bild).

Als besonderer Publikumsliebling erwies sich der alte Höllendiener John Styx, der mit rühriger Stimme (im dritten Bild) seinen Hit „Als ich noch Prinz war in Arkadien“ vortrug.

Eine hübsche Nummer ist – im gleichen Bild – immer wieder das (auch in der Leipziger Aufführung liebevoll realisierte) Verführungsduett zwischen dem in Plutos Reich eindringenden Olymp-Chef und der entführten Orpheus-Gattin. Wie im antiken Mythos bedient sich (der – auch stimmlich – mit etwas rauhbeinigem Charme verkörperte) „Jupi“ dabei seiner Verwandlungskünste. Aber bei Offenbach wird weder Stier noch Schwan bemüht: um bei Eurydike „landen“ (und ihren Bewacher überlisten) zu können, nimmt der oberste Gott kurzerhand die äußere Form einer Fliege an! Dergestalt darf er Eurydike von ihren langen Strümpfen befreien.

Und im Schlußbild dann endlich die berühmteste Musiknummer des Werkes: der Cancan der höllischen Ballettruppe, mit der Pluto seine (himmlischen) Gäste, die dieser Abwechslung gern sich hingeben, zu unterhalten beliebt. Das Dacapo verstand sich von selbst! Man hatte dem MuKo-Publikum – legitimerweise – das gegeben, was es sich erhoffte. So geizten die kessen Ballettdamen auch nach dem eigentlichen Schluß des Stückes nicht mit ihren „Höllenkünsten“: noch einmal wurden Röcke und Beine geschwungen. Hier war die Lindenauer Operettenwelt in Ordnung, das Auditorium zeigte sich so dankbar wie zuvor die olympischen Exkursionsteilnehmer; manchen älteren Herrn schien der Unterwelts-Cancan mächtig enthusiasmiert zu haben, sprang er doch glatt von seinem Sitz ?

(Wolfgang Gersthofer)


Dirigent: Roland Seiffarth
Inszenierung: Katja Drewanz
Choreographie: Monika Geppert
Bühne: Hermann Feuchter
Kostüme: Danielle Laurent
Choreinstudierung: Wolfgang Horn
Öffentliche Meinung: Angela Mehling
Eurydike: Christine Bath
Orpheus: Heinz Hartel
Aristeus/Pluto: Milko Milev
Jupiter: Folker Herterich
Juno: Margarete Junghans
Cupido: Katja Kriesel
Venus: Kriemhild Martens
Diana: Gunda Baumgärtner
Merkur: Andeas Rainer
Mars: Ralf Schlotthauer
John Styx: Karl Zugowski

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.