Kammerorchester der Hochschule für Musik und Theater mit Piazolla, Sarasate und Schostakowitsch (Gerhard Lock)

Kammerorchester der Hochschule für Musik und Theater mit Piazolla, Sarasate und Schostakowitsch

Leitung: Michael Köhler
Solist: Marian Kraew, Violine

Astor Piazolla (1921­1992) – Milonga del Ángel
Pablo de Sarasate (1844­1908) – Carmen­Fantasie für Violine und Orchester op. 25
Dmitri Schostakowitsch (1906­1975) – Symphonie Nr. 9 Es­Dur op. 70


Feurige Carmen-Fantasie ? ernst grotesker Schostakowitsch

Lassen wir uns überzeugen von einem souveränen Kammerorchester der Musikhochschule, das unter Michael Köhlers Dirigat zu allen Nuancen eines professionellen Orchesters fähig ist. Lassen wir uns von Marian Kraew in die Welt der Violinvirtuosen entführen, die mit ebenso brillanten wie sicheren Finessen als auch mit betörendem Schmelz ein Publikum fesseln können.

Es sei mir gestattet, meine Freude über dieses Konzert hier in Worte zu fassen. Man meinte, sich im Abonnement-Konzert eines renommierten Orchesters zu befinden. Alles war an diesem Abend vorhanden: vom warmen, gefühlvollen, fast Debussyschen Klang des mal melancholischen, mal elegischen ?Engelsmilonga? Piazzollas, über die feurig gespielte Carmen­Fantasie bis hin zur Neunten Sinfonie von Schostakowitsch mit ihrer grotesken Kapriziosität und der bei Schostakowitsch scheinbar allgegenwärtigen Militärtrommel. Der neue große Saal der Musikhochschule mit seiner erst kürzlich eingebauten, raumfüllenden Orgel versetzt den Hörer durchaus in die Atmosphäre eines ?Grossen Concerts?.

War der ?Milonga del Ángel? (ein dem argentinischen Tango eng verwandter afrikanischer Tanz, wörtlich ?fröhliche Veranstaltung? bedeutend) von Piazzolla eigentlich ein etwas zu melancholischer und wenig fröhlicher ?Engelsmilonga?, so überraschte der Dirigent das Publikum mit dem Einsatz mitten in den den Solisten empfangenden Beifall, welches die Carmen-Fantasie ungemein beflügelte. Die erst feurig-gespannte, später locker­befreite Interpretation Kraews zeigte grandiose Wirkung und gab dem populären Werk von Sarasate eine regelrechte Opernatmosphäre. Die Begeisterung des zahlreich erschienenen Publikums war für den Solisten Ansporn zu Höchstleistungen. Das Orchester hat sehr flexibel accompagniert und der Solist konnte seine ?Ketten? mit Souveränität ?ins Publikum werfen?. Mit seiner Technik und dem reinen, vollen Violinklang bewies Kraew seine Qualitäten. Da fiel es weniger ins Gewicht, dass er mit der Paganini­Capricce Nr. 17 Es­Dur als Zugabe ein wenig an Leichtigkeit verlor. Die ständigen Doppelgriffe sind wirklich eine Prüfung für jeden Geiger.

Dass Dmitri Schostakowitsch mit seiner gar nicht monumentalen Neunten Sinfonie sowohl das sowjetische ?Komitee für Kunstangelegenheiten?, als auch den über Hitlerdeutschland siegreichen Stalin schockte und das Leningrader Publikum zu Kriegsende 1945 mit seiner ironischen, grotesken Musik irritierte, ja heftigste Kritik erntete, ist in seinen Selbstzeugnissen eingehend dokumentiert. Er schreibt gar, dass ihm ?klar war vorauf ich mich einließ, als ich die Neunte schrieb?.

Die Musiker entwickelten einen großen Klang, der vergessen ließ, dass es der eines Kammerorchesters war. Unter Stabführung Köhlers entstand eine groteske, ironische und von der für Schostakowitsch typischen seltsamen Leichtigkeit geprägte Musik, welche auch den verschiedensten Instrumentalisten Möglichkeit gab, sich solistisch zu beweisen. Es herrschte eine hoch konzentrierte Atmosphäre, denn der durchsichtige Satz dieses Komponisten ist durchaus heikel. Die Intonation der Geigen hätte denn auch etwas sicherer sein können. Auch die Holzbläser klangen bei kammermusikalischen Passagen nicht ganz sauber, doch dieser Eindruck war wie weggeblasen, wenn das ganze Orchester sich zum Forte und dem wie gemeißelten Schostakowitschen Tuttiklang aufschwang. Es war bei solchen Stellen vielleicht auch die Erleichterung, nicht mehr in bedrückender Stille einsame brüchige Linien zeichnen zu müssen, die das Orchester zu solch einer überzeugenden Leistung trieb.

Das überhaupt sehr parodistisch überspitzte, zuweilen auch tänzerisch leichte Finale schloss mit einem fast heiteren ? ich sage ?fast heiteren?, denn die Musik konnte mir hier die seltsame Empfindung einer hintersinnigen, unfreien Heiterkeit doch nicht nehmen ? Allegretto in Tutti­Besetzung, um das Publikum mit entschlossener Geste aus dem Konzert zu entlassen.

Angesichts der engagierten und spielfreudigen jungen Musiker, denen die Freude am Tango, das Mitfiebern bei der Carmen­Fantasie und auch die gespannte Ernsthaftigkeit und erleichterte Heiterkeit bei Schostakowitschs Sinfonie richtig anzusehen war, muss einem um weitere begeisternde Konzerte an diesem Ort nicht bange sein.

(Gerhard Lock)

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