„Grosses Concert” mit Mozart und Schostakowitsch (Frank Sindermann)

„Grosses Concert“ mit Mozart und Schostakowitsch

Wolfgang Amadeus Mozart
-Adagio und Fuge c-Moll KV 546
-Klavierkonzert C-Dur KV 503

Dmitri Schostakowitsch:
-Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 47

Gewandhausorchester, Dirigent: Markus Stenz
Solist: Geoffrey Lancaster, Klavier


Australian Open

Musik von Mozart und Schostakowitsch in ein und demselben Konzert? Auf den ersten Blick wirkt eine solche Kombination recht skurril, trennen doch die beiden Komponisten nicht nur zweihundert Jahre, sondern auch völlig unterschiedliche Musikauffassungen. Was auch immer der Grund für diese ungewöhnliche Programmgestaltung war, sie sorgte jedenfalls dafür, dass der Abend ganz deutlich in zwei völlig unterschiedliche Teile zerfiel, die sich unvermittelt gegenüber standen. Nun ja, wenigstens wurden die Werke Mozarts vor denen Schostakowitschs zu Gehör gebracht und nicht umgekehrt (man erinnere sich dagegen z. B. an die Fälle, wo im Gewandhaus Beethoven nach Nielsen, Schubert nach Hartmann gegeben wurde, was nicht so recht funktionierte).

Den Anfang machte eine Komposition, die sehr selten im Konzertsaal zu hören ist, nämlich Adagio und Fuge c-Moll KV 546 von Mozart. Die Ausführung des Werks durch ein Streichorchester – wie in diesem Fall – ist nicht die einzige Möglichkeit: So lässt es sich auch sehr gut als Streichquartett oder an der Orgel spielen. Letztere bietet sich schon deshalb an, weil Mozart sich eindeutig an barocken Vorbildern (vor allem natürlich an Johann Sebastian Bach) orientiert hat. Das Adagio ist im Stil einer französischen Ouvertüre komponiert. Die für diesen Stil so typischen scharfen Punktierungen verlangten dem Orchester und dem Dirigenten einiges an Aufmerksamkeit und Konzentration ab. Zum Glück wurden die Musiker diesen Anforderungen meistens gerecht. Zwar gab es hier und da rhythmische Unebenheiten, diese blieben aber erfreulicherweise die Ausnahme.

Die sich unmittelbar anschließende Fuge verbindet in mustergültiger Weise polyphone Komplexität mit klassischen Klangvorstellungen. Aus traditionellen Mitteln der Fugenkomposition und Elementen des Sonatensatzes konstruierte Mozart ein Werk, das kompositorische Regelhaftigkeit und individuellen Ausdruckswillen in perfekter Balance hält, das sich der Tradition bedient, diese aber gleichzeitig in einen neuen Kontext stellt und damit überwindet. Die Ausführung durch die Streicher des Gewandhausorchesters konnte leider nicht restlos begeistern. Viele Themeneinsätze hätten noch deutlicher heraus gestellt werden können. Auch die vielen (überraschenden) Dissonanzen hätten noch offensiver ausgespielt werden können, anstatt sie verschämt zu überspielen. Bewunderung verdient allerdings der volle, runde Streicherklang, der in dieser Vollendung wohl nur wenigen Orchestern zur Verfügung steht.

Nach den notwendigen Umbauarbeiten betrat Geoffrey Lancaster das Podium, ein australischer Pianist, dem Selbstdarstellung alles, Werktreue nichts zu bedeuten scheint. Was Lancaster allein im ersten Satz des Klavierkonzerts KV 503 dem Notentext an willkürlichen (teils passenden, oft unpassenden) Diminutionen, Variationen etc. hinzu fügte, sprengte jedes gesunde Maß. Der Pianist behandelte Mozarts Komposition als bloße Vorlage für seine ausufernden Eskapaden, beschleunigte oder verlangsamte den Verlauf je nach Gutdünken, nahm sich jede erdenkliche Freiheit heraus. Man muss sich außerdem fragen, warum Lancaster auch die Orchester-Ritornelle ständig am Klavier verdoppelte. Wenn der Pianist selbst vom Klavier aus dirigiert, hat das ja durchaus seinen Sinn; da die Dinge hier aber anders lagen, wirkte der ständige Aktionismus Lancasters nur störend, zumal er und das Orchester es nicht einmal schafften, zu Beginn des ersten Satzes gemeinsam einzusetzen. Die Verwendung des Klaviers als Continuo-Instrument hatte auch zur Folge, dass einige wunderschöne Soli der Bläser durch unpassende Figurationen Lancasters erheblich ihrer Wirkung beraubt wurden. „Es kann nur einen geben“, mag der Pianist sich gedacht haben, jedenfalls degradierte er das Orchester letztlich zum Statisten für seine Ein-Mann-Show.

Doch manchmal gibt es ausgleichende Gerechtigkeit: Nach der (überraschend zurückhaltenden) Solokadenz Lancasters verschlief Dirigent Markus Stenz den Orchestereinsatz. Nach Beendigung des Satzes entschuldigte er sich beim Publikum und wies darauf hin, dass es aber doch trotzdem Spaß mache. Ihm vielleicht. Über den zweiten Satz ist nur zu sagen, dass Lancaster ihn gnadenlos mit Verzierungen überfrachtete, ihn gleichsam erstickte, so als hätte er sich vorgenommen, auch nicht eine Floskel so zu spielen, wie sie in den Noten steht. Die unmotivierten Temposchwankungen des Solisten führten gelegentlich zu Koordinationsproblemen mit dem Orchester, was den Gesamteindruck noch verschlechterte.

Für den Schlusssatz gilt das bisher Gesagte in ähnlicher Weise, die Entgleisungen hielten sich hier jedoch etwas in Grenzen. Der Finalsatz wurde als Zugabe wiederholt, wobei Lancaster die Improvisationen noch weiter ausweitete als zuvor. Im Gegensatz zur eigentlichen Aufführung störte das hier aber weitaus weniger, da eine Zugabe der angemessene Rahmen für derartige Spielereien ist. Insgesamt bot diese Interpretation des Konzerts KV 503 ein Beispiel dafür, dass ein schöner Klavierton und technische Brillanz für sich genommen nicht ausreichen, wenn sie in den Dienst einer eitlen pianistischen Selbstbespiegelung gestellt werden.

Nach der Pause galt es, umzudenken. Mit Schostakowitschs fünfter Sinfonie stand ein völlig gegensätzliches Stück Musik auf dem Programm. Von den einen wird das Werk als blasse Pflichtübung eines unterdrückten Komponisten gesehen, der sich aus politischen Gründen zwanghaft optimistisch gibt, die anderen halten es für ein hochinteressantes Gebilde, in dem sich der Komponist der vielen banalen und lärmenden Elemente nur bedient habe, um sie gleichzeitig, im Sinne einer „subversiven Anpassung“ (Clytus Gottwald) zu karikieren. Wie auch immer, die Sinfonie macht mächtig etwas her und man kann sicherlich seinen Spaß an ihr haben, auch ohne sich vorher mit der Theorie des sozialistischen Realismus beschäftigt zu haben. Eine wahre Freude waren die hinreißenden Soli. Ob Violine, Flöte, Oboe: Es blieben keine Wünsche offen. Die gut aufgelegten Blechbläser und der hervorragende Schlagzeugapparat trugen das Ihrige zum Gelingen der Aufführung bei. Stenz erwies sich als umsichtiger Sachwalter der Musik, hielt sich selbst im Hintergrund. Sparsame Bewegungen reichten ihm, um wahre Stürme zu entfesseln. Mit Geschick ließ er das Orchester die guten Seiten dieser Musik hervor treten. Insgesamt gab es eine Fünfte zu hören, die eher Bekanntes als Überraschendes bot, dieses dafür aber auf hohem Niveau.

(Frank Sindermann)

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