MDR Matineekonzert mit französischen Komponisten (Gerhard Lock)

10.02.2002 MDR Matineekonzert mit französischen Komponisten

Olivier Messiaen (1908 ? 1992)
Les offrandes oubliees (Meditation symphonique) (1931)

Maurice Ravel (1875 ? 1937)
Konzert für Klavier und Orchester G ? Dur (1932)

Alberic Magnard (1865 ? 1914)
Sinfonie Nr. 4 cis ? moll op. 21 (1913/18)

Interpreten:
MDR Sinfonieorchester
Michel Beroff (Klavier)
Toshiyuki Kamioka (Dirigent)

Französische Musik par excellence

Mit Musik vom Feinsten und als exzellentes Konzert verdient die am Sonntagvormittag im großen Saal des Gewandhauses erklungene Matinee höchstes Lob und größte Anerkennung. Das gilt vor allem auch für die Ausführenden: den vielgereisten Solisten Michel Beroff, den Dirigenten Toshiyuki Kamioka und das MDR­Sinfonieorchester.

Neben ihrer Herkunft ist den französischen Komponisten Messiaen (1908 ? 1992), Ravel (1875 ? 1937) und Magnard (1865 ? 1914) die Vorliebe für zauberhafte, entrückte Klänge und ein oft unkonventioneller und für seine Zeit radikaler Kompositionsstil gemein. Dabei haben alle drei Komponisten ihr Handwerk mit Akribie und bei den bekanntesten Lehrern ihrer Zeit am Conservatoire Paris erlernt. Dass alle drei (wie auch Debussy) sich von den ausgetretenen Pfaden der damaligen Tonsetzerkunst entfernten, konnte man in diesem Konzert sehr wohl hören und es sind durchaus glückliche Fügungen, dass sie auch gegen Widerstände in der konservativen Pariser Ausbildungsstätte ihre eigene Kompositionstechnik (Messiaen), einen persönlichen Stil (Ravel) und die unkonventionell aber handwerklich fundierte Ausformung spätromantischer Klangwelten durchgesetzt haben. Neben verschiedenen anderen Preisen in Harmonielehre, Kontrapunkt oder Komposition blieb sowohl Ravel, als auch Messiaen der in Frankreich so überaus wichtige Rom?Preis versagt.

Alberic Magnard ist ein in Deutschland leider fast unbekannter Komponist, der als Quereinsteiger jedoch ebenfalls kurze Zeit am Conservatoire und länger privat bei Vincent d?Indy studierte. Magnards Entscheidung für das Komponieren kam überraschend, denn der Sohn des Herausgebers der bekannten Zeitung Le Figaro wurde zunächst als Jurist ausgebildet. Doch nach einer Bayreuther Aufführung von Wagners Tristan und Isolde soll Magnard so begeistert gewesen sein, dass er beschloss, Komponist zu werden (R. Schuppert). Diese Begeisterung für Wagner ist seiner 1913 komponierten vierten Sinfonie durchaus anzuhören, obwohl man ihm Unrecht tut, wenn man seine Musik als epigonal abtut. Magnard ist zumindest in Deutschland nur unter Spezialisten bekannt. Dies ist schade, denn seine Musik offenbart eine mutige und überraschende Schaffensweise, die im Musikbetrieb zu seinen Lebzeiten schon als ungewöhnlich galt und heute wohltuende Frische ins Konzertleben bringt.

Das erste Werk des Vormittags ist zugleich das erste veröffentlichte Orchesterwerk Messiaens. Es wurde am 19. Februar 1931 in Paris uraufgeführt. ?Les offrandes oubliees? ? ?Die vergessenen Opfergaben? (Meditation symphonique) ist ein zweiteiliges Stück, das von der Gegensätzlichkeit seiner beiden (unbezeichneten), im Charakter grundverschiedenen Teile geprägt ist. Während man den ersten ?Satz? als ?schöne? Musik mit teilweise fast spätromantischen, aber dennoch messiaentypischen Steigerungsverläufen und einer kraftvollen Intensität beschreiben kann, stellt sich der zweite ?Satz? als ein vollendetes Bild der im weiteren Lebenslauf des Komponisten unverwechselbaren akkordischen Klanglichkeit und der meditativen, besonders von Tritoni geprägten ?abstrakten? Melodienverläufe dar. Es ist entrückte Musik, die wie aus weiter Ferne in fast mystischer Ruhe erklingt. Das von Messiaen seiner Partitur vorangestellte Gedicht ist für ihn Inspiration. Die zweifach wiederkehrenden Verse ?Du liebst uns, süßer Jesus,/ wir hatten es vergessen? sind nur ein Beispiel für Messiaens intensive Religiosität.

Das sich vor der Pause anschließende berühmte Ravelsche Klavierkonzert G?Dur wurde vom als Messiaen?Interpret bekannten französischen Pianisten Michel Beroff locker, charmant und besonders im dritten Satz (Presto) mit lässiger Leichtigkeit dargeboten. Auch wenn das Orchester im Finale hinter dem flinken Beroff zurückzubleiben drohte, konnte Kamioka beide ansonsten gut harmonierenden Parts wieder zusammenführen. Denn Beroff spielte mit wachem Ohr für das Orchester. Nicht nur, wenn er die hervorragenden Orchestersolisten mit seinen perlenden Läufen der rechten und schlichten Akkorden der linken Hand begleitete, sondern auch bei seinen eigenen solistischen Passagen. Angesichts langausgedehnter solistischer Abschnitte, sowohl im Orchester als auch beim Klavier (im zweiten Satz spielt das Klavier die meiste Zeit allein), konnte so eine ungewöhnlich intime Kammermusikatmosphäre entstehen. Im dritten Satz muss schließlich die rhythmische Präzision Beroffs hervorgehoben werden.

Nach der Pause dann präsentierten der in Tokio geborene und schon seit 1984 in Deutschland weilende Kamioka und das hervorragend musizierende MDR Orchester die vierte und auf Grund des tragischen Todes 1914 letzte Sinfonie des ursprünglichen Juristen und Journalisten Magnard. 1890 schrieb dieser seine erste und 1913 die vierte Sinfonie, die auch auf Grund der Kriegswirren erst 1918 uraufgeführt werden konnte.

Kamioka lässt den Beginn, dessen pochende Motivik besonders im zweiten und vierten Satz wiederkehrt, voller Impulsivität dahinbrausen,. Ein Steigerungsverlauf schließt sich an den anderen und der Hörer kommt zunächst einmal nicht zur Ruhe. Erst im dritten Satz (Sans lenteur et nuance, Ohne Langsamkeit und Abstufungen), der sich unmittelbar an den zweiten Satz (Vif, lebendig, frisch) anschließt, kann man die atmosphärische Stimmung und ruhige Melodik genießen, in die Magnard jedoch immer wieder Dissonanzen und sperrige, überraschende melodische und harmonische Wendungen einflicht. Auch kann er diese Ruhe nicht halten und treibt das Orchester nach kurzer Zeit zu einer opernhaften Dramatik und Spannung, die vielfältig an Wagner erinnert. Aber nicht nur Wagner lässt sich in Magnards Sinfonie wiedererkennen, sondern auch Cesar Franck, Saint?Saens, vielleicht auch Berlioz. Aber man hat dennoch immer das Gefühl, vor einer eigenständigen Musik zu stehen, die voller Überraschungen ist und erfreulicherweise nicht gleich in eine Schublade gesteckt werden kann.

Besonders die zuerst im zweiten Satz auftauchenden Volksmusikklänge geben Anlass zum Aufhorchen. Denn mitten aus der romantischen, aber mit modalen Kadenzen, Ganztonreihen und raschen Tonikafeldwechseln angereicherten Klangfülle heraus ertönen solistische Quintfiguren mit schlichter, modaler Melodie ? ähnlich einer Dudelsackweise. Zwar wirkt dies inmitten des romantischen Klangwustes zunächst wie ein Fremdkörper, doch wenn es im vierten Satz erneut ertönt, erfüllt es seinen Sinn innerhalb der als ?zyklischen Form?. Am Ende des vierten Satzes, nach einer mustergültigen (trotzdem melodisch sperrigen) Fuge finden sich die vielfältigen musikalischen Gedanken der Sinfonie zusammen und münden in einen prachtvollen Choral, um dann in einem atmosphärischen, Mahlers entrückter Klanglichkeit nahestehenden Klang der hohen Streicher zu ?verglühen? (R. Schuppert).

(Gerhard Lock)

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