Verdi: Don Carlo, Premiere (Wolfgang Gersthofer)

15. Februar 2002 Oper Leipzig (Premiere)

Giuseppe Verdi: ?Don Carlo?

Dirigent: Mario Venzago
Inszenierung: Wolfgang Engel
Bühne: Horst Vogelgesang
Kostüme: Katja Schröder
Choreinstudierung: Anton Tremmel

Philipp II.: Jaako Ryhänen
Don Carlos: Rafael Rojas
Rodrigo, Marquis von Posa: Andrzej Dobber
Großinquisitor: James Moellenhoff
Ein Mönch: Ain Anger
Elisabeth: Svetlana Katchour
Prinzessin Eboli: Cornelia Helfricht
Tebaldo: Ainhoa Garmendia
Graf von Lerma: Torsten Süring


Zwischen Machtpolitik und Melancholie

Jaako Ryhänen als prachtvoller Philipp in Verdis letzter Schillervertonung am Augustusplatz

Mit der zweiten großen Opernpremiere konnte sich die neue Intendanz gegenüber dem wenig glanzvollen ?Hoffmann? deutlich steigern, wozu vor allem die gut besetzte Männerriege beitrug. Man hatte ? der Herkunft des neuen Opernchefs zum Trotz ? die auf den heutigen Opernbühnen weitaus öfter gespielte vieraktige italienische Fassung von Verdis ?Don Carlos? gewählt, die 1884 erstmals an der Scala gegeben wurde, 17 Jahre nach der ? natürlich fünfaktigen (grand opéra-Tradition!) ? Pariser Uraufführung. Gleichwohl bediente sich die Leipziger Produktion zu Beginn des 2. Aktes für etwa anderthalb Minuten musikalischen Materials, wie es nur in der französischen Fassung enthaltenen ist. Daß dies nirgends im schmalen (originalbeitragslosen) Programmheft vermerkt wurde, mag nur puristische Musikwissenschaftler stören.

Mit Spannung war das Leipziger Operndebut des hiesigen Schauspielchefs Wolfgang Engel erwartet worden. Sehr heiß wurde dann freilich doch nicht gegessen. Am ehesten konnte noch das Stadionatmosphäre verbreitende Autodafé mit am Szenenende rotaufglühenden ?Marterpfählen? und gotisierend-spruchbandtragenden opulenten Schwebe-Engeln ein verstörendes Potential entfalten. Hier wollte Engel vielleicht das Phänomen Massenspektakel von antiken Gladiatorenspielen bis zu modernen Hooligan-Tumulten umreißen. Insbesondere das wilde Aufschreien vor Aktschluß dürfte einige Premierenbesucher zu spontanen Pausen-Buhs provoziert haben. Hier wie an einigen anderen Stellen der Inszenierung (wie dem ewig sich drehenden Rundlabyrinth des 2. Aktes) arbeitete Engel ein wenig sehr plakativ. Warum Philipp am Ende des dritten Aktes in Begleitung eines Mafia-Trupps seinen eingekerkerten Sohn aufsucht, erschien nicht plausibel, traten doch z. B. die Hofdamen im ersten Akt in klassisch-spanischer Tracht auf (wobei die dortige Bühne auf der Bühne-Anspielung ein Moment des ?Inszenierten? ? Stück im Stück? ? einbrachte, wozu auch das manieristische Fächerschwingen des Damenchors stimmte). Wohl wollte Engel mit dem Changieren zwischen historischem und modernerem Kostüm auf die Dichotomie von Zeremoniell und Intimität, die sicherlich zum inneren Kern des dramatischen Sujets gehört, verweisen, aber man darf darüber diskutieren, ob dieses Ansinnen sich wirklich in einem zwingenden Konzept manifestiert hat. Irgendwie wirkte das Ganze trotz einiger respektabler Ideen (der einsame Stuhl auf dem erhöhten hinteren Bühnenteil in der Philipp-Posa-Szene z. B.) etwas unausgegoren. Letztlich blieb der Eindruck einer wenig spektakulären, eher gediegenen Inszenierung zurück.

Die Enttäuschung des Abends war ? leider ? Mario Venzago, der sympathische Schweizer am Pult des Gewandhausorchesters: Ein sprödes Dirigat, das weder den leidenschaftlichen Akzenten der meisterlichen Partitur so richtig gerecht wurde noch das Orchester zu ?poliertem? Spiel (wie man es eigentlich am Premierenabend eines großen Opernhauses erwarten dürfte) animieren konnte; da nützte auch der auf Wiener bzw. Mailänder Niveau hochgefahrne Orchestergraben kaum etwas (durch welchen nur der bei starker Blechbeteiligung bisweilen fast klobig wirkende Tuttiklang direkter herüberkam). So ließ der Orchesterpart in Ebolis Schleierlied den rechten Pep vermissen, hätte das folgende Konversations-Terzettino vom Orchester noch gezierter, französischer intoniert werden können. Carlos‘ großem Ausbruch im anschließenden Duett mit Elisabeth mangelte es an adäquater orchestraler Unterstützung und ganz am Schluß jenes Duetts, da Verdis musikdramatisches Genie nach des Infanten verzweiflungsvollem Davonstürzen der Königin noch einen im Piano aufblühenden Vokalbogen zuteilt, hätte man sich ein bewußteres Auskosten der bebenden (Tremolo-)Spannung gewünscht. Im zweiten Akt könnte bei Posas nächtlichem Auftritt wohl ein stärkerer ?Ruck? die Musik erfassen ? Auch der große orchestrale Schluß des Werkes wollte nicht unter die Haut gehen. Rezensent hat das alles in manchem (deutlich) kleineren Haus schon eindringlicher gehört.

***

Für den einsam-machtfestigenden König Philipp, eine der attraktivsten Baßrollen des Opernrepertoires, war Jaakko Ryhänen engagiert worden, ein wahrlich würdiger Vertreter der großen finnischen Baßtradition! Zuvörderst er gab dieser Premiere vokalen Glanz. Nicht nur erfreute er uns mit königlich-voluminöser Stimmpracht sowie versonnener Melancholie in der berühmten Szene nach der Pause (hier hatte Engel das Cellosolo auf die Bühne geholt), auch im A-quattro-Ensemble des 3. Aktes wußte er durch schön geführte Vokallinien zu bestechen. Gegen einen solchen Philipp hat es der Großinquisitor nicht leicht. James Moellenhoff konnte jedoch dem greisen, starr-dogmatischen Kirchenmann ? in der schwärzesten, meyerbeersches Klangkolorit aufbietenden Szene des Werkes (vielleicht das schauerlichste Baß?duett? der Opernliteratur) ? durchaus Kontur geben und stellenweise mit entsprechend fahl-bedrohlichem, ?knorrigen? Timbre aufwarten, besonders impressibel präsentierte sich sein gedehntes ?forse? am Ende der Szene.

Andrzej Dobber verlieh dem Marquis von Posa (der im Laufe des Stückes zum Herzog aufsteigt) die sonore Vokalflut seines Baritons. Die Solopassagen innerhalb des Terzettinos aus dem 1. Akt wurden ihm zu geschmackvollen Kantilenen. Schade, daß er ? in Leipzig bereits als Macbeth und Rigoletto gefeiert ? nicht ganz seine gewohnte Form erreichte, wovon wenige Stellen in seiner 3. Akt-Arie Zeugnis ablegten. Beeindruckend freilich, wie Dobber kurz vor seinem Bühnentod noch einmal alle (stimmlichen) Kräfte mobilisierte.

Nicht nur in den Auseinandersetzungen mit ihrem Gatten blieb die Elisabeth Svetlana Katchours etwas blaß. Ein wenig zu grade führte sie ihren an sich schönen ? hin und wieder kleine Probleme im Detail offenbarenden ? Sopran; die Stimme wollte nie so richtig aufblühen. Mithin vermißte Rezensent die unter der Oberfläche höfischer Contenance brodelnde Glut dieser starken Frauenfigur.

Sichtlich ihre Mühe mit der Eboli hatte Cornelia Helfricht, langjähriges verdienstsvolles Ensemblemitglied unserer Oper. Bereits im Schleierlied gerieten die maurischen Koloraturen zu aufdringlich, es fehlte ihnen die (hintergründig-erotische) Dezenz. Im dritten Akt trübten einige Intonationsungenauigkeiten in den höheren Regionen das stimmliche Bild, und als Eboli, ihr Selbstmitleid hintanstellend, zur Rettung Carlos‘ sich aufzuraffen versucht, war die hier nötige dramatische Intensität noch nicht richtig spürbar.

Aus dem Ensemble ragte Ain Anger mit satt-strömendem Baß als Mönch heraus (schon im ?Hofmann? fiel er als Crespel auf; man wünscht dem jungen Sänger fürderhin auch in größeren Partien zu begegnen). Und der (labile) Titelheld? Rafael Rojas gab einen stimmlich sicher-verläßlichen Carlos. In der Höhe stellenweise ein bißchen eng, verfügt er vielleicht nicht über das allergeschmeidigste Organ, läßt aber immer wieder durchaus kraftvoll-kernigen Schmelz hören. Obzwar Rojas ? auch in Spiel und Gestik ? zu manchen tenoralen Stereotypen tendierte, bot er gleichwohl insgesamt eine gute, freilich keine exzeptionelle Leistung. So blieb es für diesmal der Abend Philipps.

(Wolfgang Gersthofer)

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