„Zauber der Musik”, MDR Sinfonieorchester mit Henze und Mozart (Gerhard Lock)

17.02.2002 „Zauber der Musik“

Hans Werner Henze (geb. 1926)

Moralitäten (1967)
Drei szenische Spiele von Wystan Hugh Auden nach Fabeln des Aesop für Soli, Sprecher, Chor und kleines Orchester

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)

Chorszenen und Arien aus der Oper ?Idomeneo? (1780/81)


MDR Sinfonieorchester, MDR Rundfunkchor, Dirigent: Howard Arman

Solisten:
Turid Karlsen (Sopran, Elettra),
Jerry Hadley (Tenor, Idomeneo),
Oliver Trautwein und Georg Clementi (Sprecher)

(Detailliertes Programm am Seitenende)


Neptun, du starker, bann dies enthemmte Rasen…

Dieser Schreckensruf des Chores aus dem dritten Stück der ?Moralitäten? (?Ein Schiff stach in See?) von Hans Werner Henze drückt trefflich aus, wie Menschen in einem Angst und Schrecken bringenden Meeressturm um Erbarmen flehen. Auch in Mozarts ?Idomeneo? ist der Sturm Unheil auslösender Faktor: ?Welch neues Entsetzen! Welch rauhes Gebrülle! Das Zürnen der Götter hat das Meer aufgebracht durch die Macht des Neptun! Welchen Hass, welchen Zorn zeigt uns Neptun!?

So weit entfernt voneinander Mozart und Henze zeitlich und gerade musikalisch auch erscheinen mögen, es gibt trotzdem ein verbindendes Element zwischen beiden in den an diesem Abend erklungenen Werken. Beide Komponisten haben in Zusammenarbeit mit ihren Librettisten (?Idomeneo?: G. Varesco, ?Moralitäten?: W. H. Auden) antike griechische Stoffe verarbeitet. Auch das Programmheft bietet mit dem Abdruck des Textes ?Ein Gedanke an Mozart? von Hans Werner Henze aus dem Jahr 1960 einen Verbindungspunkt. Im Weiteren jedoch ist die Musik beider Tonschöpfer stilistisch ganz verschieden voneinander und daher in ihrer Zeit zu betrachten.

Herrlich einprägsam wird dem Konzertbesucher in Henzes hier konzertant dargebotenen ?Moralitäten? (1967) der durch den Sprecher rezitierte Beginn gewesen sein: ?In Urzeiten lebten friedlich die Frösche im Teich: …?. Henze selbst charakterisiert seine Kurzopern wie folgt: ?Das erste Stück handelt von der Schwierigkeit, die Vorzüge anarchistischer Lebensweise zu erkennen, das zweite vom Modernismus und das dritte vom schnellen Vergessen einer Gesellschaft, die glaubt, noch einmal davon gekommen zu sein. Jedes der drei Operchen ist in Nummern aufgeteilt, es sind Kurzformen, kleine Arien, Rezitative, Chorensembles…?. Alle drei Fabeln von Äsop wurden von Auden nachgedichtet. Ihr Witz besteht in ihrer pointierten Moralität und Zeitbezogenheit. Henze vermochte die Textvorlage wunderbar bildhaft und naturalistisch zu vertonen und die MDR-Klangkörper haben dem Publikum unter dem erfrischenden und animierenden Dirigat Howard Armans diese humorvollen ?Lehrstücke des Mittelalters? sehr schön und verständlich nahegebracht.

Mozarts ?Idomeneo? (1780/81) ist eine wunderbar ergreifende und dramatische Kunst. Man kann sich dieser Musik und ihrer plastischen Wirkung kaum entziehen, wenn sie so dargeboten wird. Sowohl der Chor als auch das Orchester erwiesen sich als vollkommen diszipliniert und trotzdem nicht starr unter der packenden Leitung Armans. Die Gesangssolisten konnten durchweg überzeugen, obwohl der Idomeneo (Tenor) in höheren Lagen manchmal leichte Intonationsschwierigkeiten hatte.

Das Grundmotiv des mythologischen Idomeneo-Stoffes ist das Versprechen Idomeneos (des Königs von Kreta), Neptun aus Dankbarkeit für seine Rettung das erste ihm auf Kreta begegnende lebende Wesen zu opfern, um so den Zorn des stürmenden Meeresgottes zu besänftigen. Dass es gerade sein leiblicher Sohn Idamante sein wird, den er (dies nicht ahnend) damit dem Tode weiht, ist die Tragik in dieser Oper. Hieraus resultiert die Seelenpein Idomeneos. Die Handlung spinnt sich fort, wobei mit der von Idomeneo nicht gewollten Liebe zwischen Idamante und Ilia und der Eifersucht Elektras ein Nebendrama entsteht, doch endlich findet sie ihre Auflösung während der Opferung Idamantes, als überraschend eine Stimme (?aus dem Off?) ertönt: ?Idomeneo sei nicht mehr König, König sei Idamantes und Ilia seine Gemahlin.? So endet die Oper, wie sie begonnen, mit einer Lobpreisung Amors.

Das erfrischend Andere an dieser konzertanten Leipziger Aufführung ist, dass zwischen die Szenen rezitierte Texte geschoben wurden, die aus Briefen Mozarts im Umfeld der Uraufführung der Oper (von Howard Arman und der Dramaturgin Claudia Zschoch) zusammengestellt wurden. Diese Idee ist originell, auch fügt sie sich an die bei Henze schon in der Grundkonzeption enthaltenen Rezitationen gut an. Allerdings hatten die Rezitationen bei Mozart eine gänzlich andere Wirkung. Einmal sollten sie über die Handlung der (ja nicht szenisch dargebotenen) Oper informieren und zweitens Mozart selbst in seiner witzigen, österreichisch-charmanten Ausdrucksweise zu Wort kommen lassen. Zum Dritten boten sie einen Blick hinter die Kulissen der nicht immer idealen Umstände der Uraufführung in München.

Dass Arman in seiner Aufführung so etwas wagt, daran können sich die Geister scheiden. Man bekommt zwar Auflockerungen durch Mozarts humorvolle Briefe, ein Zeitkolorit öffnet sich bildhaft vor dem inneren Auge und die Lebendigkeit des Stoffes und der Kompositionsumstände wird erhöht, aber besonders der erste Rezitationsabschnitt nach dem dramatischen Auftritt Idomeneos durchbricht jäh die herrliche Musik und zieht sich dann zu sehr in die Länge. Auch alle anderen Rezitativeinwürfe zerstören Mozarts Musik, konterkarieren sie und zersplittern die durch fehlende Szenerie ohnehin schwerer erfassbare Aufführung. Mozarts ergreifende Musik zu unterbrechen, ist sehr schmerzhaft. Dadurch bekam die Aufführung eine Art Werkstattcharakter. Diesen Verlust wog der Spaßfaktor, der in Henzes ?Moralitäten? wesentlich dazugehört und den die heutige Aufführung des ?Idomeneo? durch Mozarts unschlagbaren Humor nun ebenfalls erhielt, leider doch nicht auf.

So kann dieses Konzert allenfalls ein interessantes und durch rauschenden Beifall des Publikums im fast ausverkauften Gewandhaus gut honoriertes Experiment genannt werden.

(Gerhard Lock)

Detailliertes Programm:

Hans Werner Henze

Moralitäten (1967)
Drei szenische Spiele von Wystan Hugh Auden nach Fabeln des Aesop für Soli, Sprecher, Chor und kleines Orchester

I. In Urzeiten lebten friedlich die Frösche im Teich
II. Ehe Zeit war, zu des Anfangs Beginn
III. Ein Schiff stach in See

(Aufführung in deutscher Sprache)

Wolfgang Amadeus Mozart

Chorszenen und Arien aus der Oper ?Idomeneo? (1780/81)
Text: Giambattista Varesco
Zwischentexte (mit Briefzitaten Mozarts): Howard Arman und Claudia Zschoch

(Aufführung in italienischer Sprache)

weitere Ausführende:

Chorsolisten (Henze):

Kerstin Klein, Sopran
Shira Thal, Alt
Nico Eeckert, Tenor
Hanns-Jürgen Ander-Donath, Bass
Ekkahard Pansa, Bass (Kapitän)

Chorsolisten (Mozart):

Gisela Burandt, Sopran (Cretesa)
Bettina Reinke-Welsh, Alt (Cretesa)
Nico Eeckert, Tenor (Troiano)
Albrecht Sack, Tenor, (Gran Sacerdote)
Hanns-Jürgen Ander-Donath, Bass (Troiano)
Ekkahard Pansa, Bass (La voce)

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