Manfred Trojahn: „Was ihr wollt”, Opernpremiere (Oliver Huck)

09. März 2002, Deutsches Nationaltheater Weimar

Manfred Trojahn: ?Was ihr wollt?
Oper von Claus H. Henneberg nach William Shakespeares „Twelfth Night“

Inszenierung: Michael Schulz
Musikalische Leitung: Gregor Bühl


Das Konzept Oper oder Was wollt ihr?

Unter der Prämisse, dass Oper noch möglich ist, war die Premiere von Manfred
Trojahns „Was ihr wollt“ein vergnüglicher Abend, dem ein dankbares
Premierenpublikum seinen Beifall nicht versagte. Nachdem der nachtblaue
Meervorhang der Eröffnungsszene gehoben war, setzte sich das Rad der Geschichte
als rotierendes Imitat des Castel del Monte (Bühne: Dirk Becker) in Bewegung und die
wohlbekannten und von Martina Feldmann fantasievoll ausstaffierten Figuren wurden
von Michael Schulz, dem designierten Operndirektor des Deutschen Nationaltheaters
Weimar, in einer differenzierten Personenregie geführt. Seine Inszenierung setzte das
Stück in vorteilhaftester Weise in Szene und berechtigt für die nächste Spielzeit zu
den schönsten Hoffnungen.

Das Ensemble der Solisten präsentierte sich in hervorragender Verfassung und nahm
die stimmlichen Angebote, die ihnen Trojahns Partitur macht, dankbar an. Wendy
Waller ist eine technisch perfekte Koloratursopranistin, die die halsbrecherische Partie
der Viola nicht nur makellos bewältigte, sondern auch deren lyrischen Ausdruck zur
Geltung brachte. Alexander Günther als Malvolio beeindruckte durch bestechend klare
Diktion und subtiles Spiel. Lisa Griffith als Gast von der Deutschen Oper am Rhein
hatte die Partie der Maria kurzfristig für die erkrankte Silona Michel übernommen.
Souverän beherrschte sie nicht nur ihre Partie, sondern fügte sich nahtlos in die
Inszenierung ein. Das Quartett der Rüpel wurde durch Volker Schunke (Sir Toby
Belch), Frieder Aurich (Sir Andrew Aguecheek) und Damon Nestor Ploumis (Narr)
komplettiert, die mit viel Laune spielten und in den Ensembles auch stimmlich zu
überzeugen wussten. Auch Catherine Foster (Olivia) und Mario Hoff (Sebastiano), die
als seriöse Charaktere weniger dankbare Aufgaben hatten, sowie Hayk Déinyan
(Antonio), Matthias Purdel, Marco Kürsten, Detlef Koball und Oliver Luhn (Vier Männer)
erhielten verdienten Beifall. Als Fehlbesetzung für den Herzog Orsino war hingegen
David Lee Brewer anzusehen; statt lyrischer Cantilene weckte sein Gesang eher die
Erinnerung an von den Rüpeln beschworenen (thüringischen?) „Motzknödel“.

Die Bemühungen des Komponisten und der Sänger um Textverständlichkeit wurden
durch die Leuchtschrift unter der Bühne, auf der der gesamte Text mitzulesen war,
leider ad absurdum geführt. Oper ist von allen Spielarten des Musiktheaters diejenige,
die das Wissen um Text, Kontext und Tradition am dezidiertesten voraussetzt. Das
Libretto als Leuchtreklame für ein nicht mehr gebildetes Bürgertum seit einigen Jahren
ein stetes Ärgernis, mit dem die Aufführung in der Originalsprache erkauft wird. Wenn
nun auch noch der deutsche Text simultan projiziert wird (die kleine Handvoll
eingestreuter lokaler Anspielungen wird wohl niemand ernsthaft als multimedialen
Kontrapunkt verkaufen wollen), wird damit unfreiwillig das Konzept Oper insgesamt in
Frage gestellt. Denn während in einem Rossinischen Ensemble trotz des flimmernden
Librettos das Interesse nicht dem Text, sondern der Musik gilt und diese sich damit
als tragfähig erweist, wäre Trojahns am Text entlang illustrierte Partitur bei einer
Aufführung in einer fremden Sprache zum Scheitern verurteilt.

Trojahn, der mit dem Etikett des Epigonentums kokettiert, benennt als Vorbilder Hans
Werner Henze und Benjamin Britten (vgl. Die Deutsche Bühne März 1998). Trojahn
übernimmt deren Bekenntnis zur Opera buffa. Während Henze bei aller Neigung zu
Shakespeare als Dichter in seinen Bühnenwerken respektvollen Abstand zu dessen
Stücken hielt und Britten sich erst nachdem er umfangreiche Erfahrungen mit der Oper
gesammelt hatte an „A Midsummer Night’s Dream“ wagte, macht Trojahn sich jedoch
unbekümmert über einen Stoff her, bei dem der Komponist unvermeidlicherweise an
der Qualität des Dichters gemessen werden wird. Eine Figur wie Sir Andrew
Aguecheek erfährt in Henzes Royal Winter Music eine subtile Charakterzeichnung, bei
Trojahn erstarrt sie jedoch zum Typus, und im Monolog des Herzogs Orsino, in dem
dieser den Schlaf herbeiwünscht, spielt Trojahn zwar mit Allusionen zur Musik aus
Shakespeares Zeit, ohne jedoch das Gestaltungsvermögen Brittenscher
Variationstechnik (etwa über Dowlands „Come heavy sleep“ im „Nocturnal“) zu
erreichen. Trojahn komponiert seinen Shakespeare unbeschwert von Bachtins
Theorem der Karnevalisierung und seinen ästhetischen und sozialen Implikationen.
Illyrien erweist sich so als ein Refugium der musikalischen Tradition und der
theatralischen Konvention. Die Fallhöhe zwischen den schulmäßigen Zitaten der
Pavane und Folia in Aguecheeks Auftritt zu Bernd Alois Zimmermanns „Musique pour
les soupers du roi Ubu“ ist beträchtlich.

„Wenn Musik der Liebe Nahrung ist, ist die Melodie der Branntwein der Verdammten“
? und Trojahns Epilog des Narren kein Digestif, sondern ein schal schmeckender
Fusel. Dass der Monolog in englischer Sprache gesungen wird, ist vielleicht eine finale
Legitimation der Textbanderole (MTV mutet seinem Publikum jedoch dergleichen
Ergänzungen zum schulischen Lehrplan nicht zu). Die Geburt der Komödie aus dem
Fiddle-Tune ist keine Alternative zu ambitionierten Konzepten zeitgenössischen
Musiktheaters. Der Mehrwert von Opera buffa gegenüber reinem Unterhaltungstheater,
der gesellschaftskritische Stachel, bedarf auch einer musikalischen Zuspitzung.
Vielleicht ist Trojahns „Was ihr wollt“ derzeit gerade deshalb so erfolgreich, weil sie
darauf weitgehend verzichtet.

(Olilver Huck)

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