10.03.2002
Georgette Dee und Terry Truck im Schauspielhaus Leipzig
Der Bühnenhintergrund erstrahlt in warmem Blau ? die Bühne selbst ? schmucklos. Drei Monitorboxen, ein Flügel. Licht aus. Aus dem Dunkel heraus füllt eine Folge alterierender Akkorde die erwartungsvolle Stille. Ein Lampion tänzelt vom linken zum rechten Bühnenrand, zurück zum linken und verharrt schließlich in der Mitte. Spot auf eine große, zerbrechlich wirkende Gestalt in schwarzem Abendkleid. Die Klavierakkorde formieren sich langsam zur Melodie und die Gestalt fängt an zu singen ? ?Die Gedanken sind frei?.
Der Auftakt zum Gastspiel von Georgette Dee & Terry Truck im Leipziger Schauspielhaus am vergangenen Sonntag steht exemplarisch für das komplette folgende Programm der Chanteuse. Ein Programm, in dem nichts dem Zufall überlassen bleibt, in dem jede Pointe, jede Geste, jede angezündete und ausgedrückte Zigarette einem perfekten Timing gehorcht. Professionalität zeichnet sich dadurch aus, daß dem Publikum der Eindruck vermittelt wird, als sei das auf der Bühne Gezeigte das Natürlichste und Einfachste der Welt. In dieser Hinsicht hat das Duo die Welt der Kleinkunst weit hinter sich gelassen. Georgette Dee führt uns gekonnt durch die Tücken des Singlealltags, umschifft die gefährlichen Klippen aus One-Night-Stands, einsamen Kakao-Exzessen, rutschenden Slips ? pardon, ?Schlüpfern? ? und garniert das Ganze mit dem einen oder anderen musikalischen Sahnehäubchen von Brecht bis Jagger/Richards. Alltagsphilosophie ? la Dale Carnegie wird frei Haus mitgeliefert (?Du sollst nicht fragen ?Warum passiert mir das?‘ sondern ?Wie kann ich verhindern, daß mir das passiert‘?).
Gut ist, was gefällt und gemessen an den Reaktionen des Publikums war der Abend mit Dee/Trucker ein voller Erfolg. ?Innovativ?, ?mutig?, ?provokativ? sind die Adjektive, die die Ankündigungen oder Rezensionen des Duos mit verläßlicher Regelmäßigkeit garnieren, von denen jedoch im Programm selbst nicht eine Spur zu entdecken ist. Während der ersten Hälfte der Show ertappen sich die Rezensenten noch bei der verzweifelten Suche nach dem Neuen, dem Mutigen, dem Innovativen, und ließen letztendlich kurz vor der Pause alle Hoffnung fahren. Eigentlich wollten sie diese Pause nutzen, um unbemerkt zu verschwinden, aber die Begeisterungsstürme ihrer Begleiterin (im Einklang mit dem restlichen Publikum) ließen sie ihren Standpunkt überdenken. Vielleicht sind sie ja von der falschen Warte ausgegangen, vielleicht darf man das Neue, Mutige, Provokative nicht suchen, sondern muß es kommen lassen…
Betrachten wir also den Rest der Vorstellung völlig unbedarft, ohne hohe Erwartungen und ohne Vorurteil. Wir sehen eine sicher inszenierte, dem Zeitgeist entsprechende, mundgerechte, nette, amüsante Mischung aus Bridget Jones, Lilo Wanders und ?Nur der Wischmop hört mein Klagen?. Manchmal werden wir sogar an Dee’s fester Hand über die gefährliche Grenze der political correctness hinausgeführt, in eine abenteuerliche Welt, in der ganze Reihen von Briefkästen dem präkoitalen Bewegungsdrang weichen müssen und finden es innovativ, mutig, provokant. Bei ?Wa(h)re Liebe? schalten wir um, aber das ist ja auch ? profan…
Im Programm von Georgette Dee jedoch erhält das Profane einen Rahmen, der es einem Kunstprinzip unterordnet. Dabei steht ihre musikalische Qualität völlig außer Frage, ihre Fähigkeit zur Gratwanderung zwischen Popsong und ?ernstem? Chanson, die sie spielerisch und mit eindrucksvoller Stimme meistert. Als kabarettistisches Programm jedoch mit Klavierbegleitung verkaufen sie und ihr Partner sich mit dem falschen Wort. Das mag bisweilen dem nahe kommen, was wir heute auf gut neudeutsch ?Comedy? betiteln, tiefgründiges, heiter-melancholisches Kabarett ist es keinesfalls.
Aber halt! Wir sprechen hier von einer Weiterführung des Diva-Mythos, einer neuen Zarah Leander! Vielleicht sollte wir uns im Zuge dessen langsam daran gewöhnen, Dieter Hüsch in Zukunft ?John Wayne? zu nennen.
(B. Brandnder / R.Leithäuser)
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