12. März 2002,
Gewandhaus, Großer Saal
Giacomo Puccini: ?Tosca?, konzertante Aufführung
MDR Sinfonieorchester
MDR Rundfunkchor
Dirigent: Fabio Luisi
Tosca: Nelly Miriciou
Cavaradossi: Ki-Chun Park
Scarpia: Sherill Milnes
Angelotti: Karsten Mewes
Mesner: Ude Krekow
Spoletta: Helmut Henschel
Jeder Zoll ein Scarpia
Die amerikanische Baritonlegende Sherill Milnes in Luisis konzertanter ?Tosca?
Eigentlich hätte es ja ganz anders kommen sollen. Die (konzertante) Begegnung mit einem zu Unrecht vernachlässigten interessanten Opernwerk des 20. Jahrhunderts wollte Fabio Luisi uns ermöglichen. Ermanno Wolf-Ferraris ?Sly? ist ein beklemmendes Stück, das zeigt, wie ein sensibler Mensch an einer identitätsverwirrenden ?Spielanordnung?, welche zum Amusement einer aristokratischen Gesellschaft inszeniert wird, zerbricht.
Aber dann hat wohl Startenor Alberto Cupido ? so ließ Luisi in einem LVZ-Interview unlängst mehr oder minder deutlich durchblicken ? fast im letzten Moment Respekt vor der Titelpartie bekommen ? Man disponierte kurzerhand um: Da in Sherill Milnes, der gewiß eine imposante Charakterstudie des Grafen von Westmoreland hingelegt hätte, einer der profilierten Scarpia-Interpreten zur Verfügung stand, ist es leicht nachvollziehbar, daß die Wahl dabei auf Puccinis schlagkräftigen römischen ?Reißer? fiel.
Eine konzertante ?Tosca?, was soll nun dies? mochte man sich im Vorfeld fragen. Man könne sich z. B., verlautbarte der Maestro in besagtem Interview, besser auf die Musik konzentrieren. Und er hatte schon irgendwie recht. So opulent, wie die prächtige Partitur an jenem Abend im Gewandhaus vom glutvoll-dramatisch agierenden MDR-Orchester präsentiert wurde, wird man sie kaum je in einem Opernhaus serviert bekommen (was einfach auch an den unterschiedlichen akustischen Gegebenheiten liegt). Schon die monumentalen, in einem satten E-Dur-Akkord gipfelnden Anfangstakte standen wuchtig im Raum, gaben gleichsam ein akustisches Portal (durch das man ins nachfolgende Drama tritt) ab. Später durfte man in manch schwelgerischen (z. B. Liebesduett 1. Akt, ?Mia Tosca idolatrata ??) oder schwermütigen Streicherbögen (etwa nachdem es Scarpia ? was für Jago das Taschentuch, ist für ihn der Fächer ? gelang, Toscas Eifersucht von neuem anzustacheln) baden.
Viele Details der Partitur kamen ausnehmend gut zur Geltung, wie die Viola-Akzente vor Scarpias begehrlichem Ausbruch am Ende des 2. Aktes, da er die Beute Tosca sicher in seinen Händen glaubt, oder die vom so temperamentvoll musizierenden Solocellisten angeführte herrliche Cello-Kammermusik im Vorfeld von Cavaradossis 3. Akt-Arie. Und, um sich noch auf ein Einzelbeispiel einzulassen, besonders eindrücklich, wie Luisi, dessen Mitgehen mit den Sängern hier im übrigen auch gebührend hervorgehoben werden muß, nach Toscas letztem Abgang des 1. Aktes die Streicherlinie beim plötzlichen Piano ungemein zart abzufangen wußte; das lebte!
Einzig hätte man sich in den zurückgenommenen Dynamik-Bereichen (einige Pianissimi waren Rezensentem zu laut) vielleicht bisweilen noch mehr ?Hintergründigkeit? eines gepreßten Atems vorstellen können. Ich denke da etwa an die fahlen Piano-Holzbläserakkorde (teils über ppp-Paukenwirbel) in der zweiten Angelotti-Cavaradossi-Szene, wo die Rede plötzlich auf Scarpia kommt. Der gespenstische ppp-Schluß des zweiten Aktes, der mit der nun in einen Moll-Klang mündenden Scarpia-Akkordfolge gewissermaßen die Negativ-Version des pompösen 1. Akt-Endes darstellt, geriet allerdings mit aller nur wünschenswerten Schaurigkeit.
Angesichts dieser starken orchestralen Präsenz wurde einem wieder einmal bewußt, welch musikdramatisch geniale Partitur der Luccheser hier geschaffen hat. Mit bewunderswerter Stringenz sind hier die Regungen der Leidenschaft musikalisch eingefangen, Toscas auflodernde Eifersuchtsanfälle ebenso wie Cavaradossis sanft-beschwichtigende Liebesbeteuerungen (die freilich nur kurzfristig Erfolg haben) etc. etc. Und der Mittelakt darf gewiß zu den dichtesten, atemberaubendsten Akten der Opernliteratur zählen: ein nicht nachlassender Spannungsbogen voll berstender Dramatik.
Kaum fehlte einem da die Bühne, zumal die Sänger sie teils implizit mitbrachten, wie der rollengerechtes mimisches (Buffo-)Spiel offerierende Messner (köstlich das devot-verlegene Verhalten gegenüber Scarpia); nur am Ende des ersten Aktes vermißte Rezensent den ? aus der uralten Wiener Wallmann-Inszenierung so gewohnten ? Weihrauchduft!
Mit Auftrittsapplaus wurde sein Erscheinen in S. Andrea delle Valle ? einem im übrigen keineswegs am Rande Roms, wie das Programmheft vermerkt, gelegenen frühbarocken Sakralbau ? bedacht: Auch ohne großes Bühnengefolge umgab Sherill Milnes von Anfang an die Aura des schurkischen Triumphators.
Es ist natürlich auch ein genial auskomponierter Auftritt einer mit großer Autorität ausgestatteten Bühnenfigur (die mächtig-aufstrebenden Posaunen-Dreiklangszerlegungen kündigen den entschiedenen Schritt des Polizeichefs bereits von weitem an, bevor er dann mit seinen drei wuchtigen, auf den Aktanfang rekurrierenden Akkorden ? B-Dur, As-Dur, E-Dur ? leibhaftig-dominant dasteht); als ein gewisses Gegenstück mag man das Erscheinen der Küsterin im ausgelassenen Massengetümmel des ersten Aufzuges der nahezu zeitgleich komponierten ?Jenufa? betrachten.
Bei Milnes zeugte jede kleine Geste, jeder Handgriff von langjähriger Bühnenerfahrung und intimer Vertrautheit mit dieser Paraderolle des (heldischen) Baritonfachs. Welch‘ straff-gespanntes, waches Auftreten, welche Ausstrahlung! Seit vier Jahrzehnten ist der Amerikaner auf den bedeutenden Opernbrettern dieser Welt zuhause (sein MET-Debut datiert von 1965!). Wenn er sich zu den letzten bombastischen Orchestertakten des Eröffnungsaktes süffisant bekreuzigt, steht er einem J. R. Ewing ? jenem Inbegriff des amerikanischen Fieslings ? in nichts nach, und unmittelbar wird spürbar: Dieser Scarpia ist jemand, der um die enorme Machtfülle und um die Wirksamkeit seiner intriganten Einfädelungen weiß.
Genauso differenziert und facettenreich ging der Bariton-Altmeister stimmlich zu Werke. Sein Organ ist präsent wie je; von der Indisposition, die Milnes ansagen ließ, war nicht wirklich etwas wahrzunehmen. Wo die Rolle es erheischte, stand ihm überzeugendes vokales Auftrumpfen zu Gebote. Und: Auch mit den Mitteln gesanglicher Biegsam- und Modultionsfähigkeit vermochte Sherill Milnes die Zwischen- und Untertöne im durchaus subtilen (verbalen) Ränkespiel eines der klassischen Bühnen-Bösewichter auszuloten. Respekt vor diesem reifen Künstler von Weltformat, mit dem uns der Gewandhausabend eine zutiefst beeindruckende Begegnung erlaubte. Das zeichnet die ganz Großen im Business aus, daß sie über einen langen, langen Zeitraum auf dem gleichen (Höchst-)Niveau ihre Kunst auszuüben imstande sind!
Auch die anderen Protagonisten konnten sich hören lassen. Nelly Miricioiu ist eine erfahrene Diva, die noch immer durch intensiv leuchtende Phrasen und berührende Momente einzunehmen weiß. Der noch relativ junge koreanische Tenor Ki-Chun Park steigerte sich ? so schien es Rezensentem ? von Akt zu Akt immer noch etwas. Vor allem die dramatischen Ausbrüche des zweiten Aktes (?Vittoria ??) und ein mit innigem Schmelz wunderbar gesungenes ?E lucevan le stelle? blieben in Erinnerung. So durfte man letzten Endes auch mit dieser konzertanten ?Tosca? hochzufrieden sein.
(Wolfgang Gersthofer)
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