MDR Sinfonieorchester mit Schubert und Schmidt (Frank Sindermann)

17. März 2002
Gewandhaus, Großer Saal


MDR Sinfonieorchester
Andreas Scheibner, Bariton
Dirigent: Fabio Luisi


Franz Schubert (1797-1828):
Sinfonie h-Moll D 759 „Unvollendete“

Franz Schubert / Max Reger (1873-1916):
1. Gruppe aus dem Tartarus; 2. Greisengesang; 3. An die Musik; 4. Memnon; 5. Prometheus

Franz Schmidt (1874-1939):
Sinfonie Nr. 4 C-Dur


Musik, die man ins Jenseits mitnimmt

„Ehrlicher als Richard Strauss, einfallsreicher als Reger und formvollendeter als Bruckner.“ Wer ist der Mann, von dem Hans Pfitzner in solch überschwänglichen Worten sprach? Die Antwort auf diese Frage überrascht. Wer mit einem der großen Namen rechnet, hat sich gründlich getäuscht. Pfitzner sprach von Franz Schmidt, einem zu Lebzeiten sehr renommierten und geschätzten Komponisten, der aber heute nur noch einigen wenigen Experten bekannt ist. Welch eine Ungerechtigkeit! Fabio Luisi und das MDR Sinfonieorchester bewiesen, dass Schmidts Musik alles andere als das Werk eines „Kleinmeisters“ ist. Bis sie diesen Beweis antreten konnten, wurde jedoch Altbewährtes hervorgekramt: Schuberts „Unvermeidliche“ und fünf seiner Lieder in der immerhin selten gehörten Orchestrierung Max Regers.

Die „Unvollendete“ ist dermaßen bekannt und populär, dass man schon etwas mehr bieten muss, als nur sinfonische Hausmannskost. In Ansätzen gelang das Luisi auch, insgesamt gab es aber dennoch wenig Neues zu hören. Durchschnitt im langweiligen Sinn, mit originellen Lichtblicken hier und da. Alles in allem nicht gerade umwerfend. Im Vergleich zur nachfolgenden Katastrophe allerdings durchaus vertretbar; denn was Bariton Andreas Scheibner bot, war schlichtweg peinlich. Unglücklich geriet schon die Wahl der Tempi: So hetzten die Musiker bereits durch das erste Lied, als würden sie verfolgt, eine Tendenz, die sich fortsetzen sollte. Die „Ewigkeit“ des Textes verkam da zum Augenblick, das Orchester stolperte vor sich hin: ein Trauerspiel. Nach drei weiteren quälenden Liedern dann der „Höhepunkt“ mit einer ans Lächerliche grenzenden Deklamation des „Prometheus“. Danach war es aber auch genug, die Pause: eine ersehnte Rettung.

Franz Schmidt schrieb seine vierte Sinfonie als „Requiem für meine Tochter“, die kurz nach der Geburt ihres Kindes gestorben war. Dieses Werk ist aber noch mehr als das: Es ist Schmidts Schwanengesang auf das eigene Künstlerleben, abgerungen seiner durch ein schweres Herzleiden geschwächten Gesundheit. Das Ergebnis dieser musikalischen Trauerarbeit ist eine Komposition, die ohne Zögern zu den bedeutendsten sinfonischen Werken des 20. Jahrhunderts gezählt werden kann. An Brahms, Wagner und Bruckner orientiert, schuf Schmidt eine ganz individuelle, unverwechselbare Tonsprache. In der „Vierten“ gelang ihm in beeindruckender Weise die Verbindung von Tradition und Innovation, von Altem und Neuem.

Besonders auffällig ist die formale Anlage: Schmidt lässt die vier Sätze nahtlos ineinander übergehen, wobei die einzelnen Sätze die Teile eines großen Sonatensatzes vertreten. Außerdem ist das Werk symmetrisch gebaut. Es beginnt und endet mit einem ergreifenden Trompetensolo, von dem alle weiteren Themen abgeleitet sind. Schmidt bezeichnete es als „die letzte Musik, die man ins Jenseits mitnimmt, nachdem man unter ihren Auspizien geboren und das Leben gelebt hat“. Innerhalb dieses thematischen Rahmens zentriert sich das Geschehen um einen Adagiosatz, dessen kantables Hauptthema zu Anfang und Ende vom Solocellisten vorgetragen wird. In der Mitte dieses neuerlichen Rahmens liegt dann das Herzstück der Sinfonie, ein Trauermarsch, in dem die Klage um das tote Kind ihren Höhepunkt erreicht. Eine große Steigerung führt zum Kulminationspunkt höchsten Schmerzes, dann entschwindet der Trauerzug nach und nach in der Ferne. Wenn am Ende des Finalsatzes das Trompetensolo abschließend erklingt, dann ist es wie das Ende einer langen Reise – der letzten.

(Frank Sindermann)

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