Gedenkkonzert zum 129. Geburtstag von Max Reger (Enrico Ille)

19. März 2002
Großer Saal der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“

Gedenkkonzert zum 129. Geburtstag von Max Reger

Markus Tomas – Klavier
Arvid Gast – Orgel

Max Reger (19.03.1873 – 11.05.1916)

Choralfantasie op. 52 Nr. 1 „Alle Menschen müssen sterben“ für Orgel (1900)
Variationen und Fuge über ein Thema von Johann Sebastian Bach op. 81 für Klavier
Symphonische Phantasie und Fuge d-Moll op. 57 für Orgel


Hand in Hand

„Was an uns Original ist, wird am besten erhalten und belobt, wenn wir unsre Altvordern nicht aus den Augen verlieren.“ Was auch auf Max Reger zutreffen könnte, wurde geschrieben von Johann Wolfgang von Goethe. Es ist nur einer von vielen Gedanken, die zu den Werken dieses Abends gepasst hätten. Doch Reger ist nicht unbedingt leicht zu hören, wie auch ein Student nach dem Konzert ironisch anmerkte: „Das bisschen Polyphonie!“ Erfüllende, aber anstrengende Gedankenfülle. Dabei waren es nicht die geistigsten Stücke des Komponisten, sondern auch Bravourstücke voll romantischer Affekte und Virtuosität, die immer wieder herausrissen aus den polyphonen Wirrungen.

Der Tod ist eine ungewöhnliche Thematik für ein Geburtstagskonzert, selbst wenn er als freudvolle Erlösung vom trüben Erdendasein erscheint. Eben dieser Aspekt machte die Choralfantasie „Alle Menschen müssen sterben“ zu einem strahlenden Klangfeuerwerk, das mit den hellsten Registern viel Licht in den abgedunkelten Raum brachte. Die Hörer wurden zunächst herabgezogen von der lakonischen Erkenntnis der Vergänglichkeit, ausgedrückt in hart abgerissenen Akkorden und den dröhnenden Voraussagungen tiefster Töne, später dann emporgehoben in den Glanz eschatologischer Seligkeit. Man sah die Seele regelrecht fortschweben, denn durch das fantastische Verhältnis zwischen Raumakustik und Orgel blieben selbst die leisesten Stimmen noch deutlich vernehmbar und das piano erschien weit weg, wie ein forte aus der Ferne. Die Freuden der Seligkeit erfassten bei den machtvollen Akkorden der Abschlusskadenz schließlich auch das Auditorium. Es wirkte wie ein Nachruf.

Das Klavier im zweiten Stück des Abends klang demgegenüber wie der kleine Bruder der Orgel, doch zeigte sich bald schon seine orchestrale Wirkung. Im schlichten Thema herrschte zunächst eine gewisse statische Ruhe, darin versteckt eine leichte Tendenz zur Bewegung. Diese Tendenz schaffte Zugkraft für die ersten Variationen, in denen das Thema in fließende Achtelbewegungen langsam aufgelöst wurde, erst einstimmig, dann in Terzen. Über vielzählige Beschleunigungen und Erweiterungen des Tonumfangs gelangten die motivischen Überreste des Themas in die erste Welle eines emotionellen Ausbruchs. Doch plötzlich innehaltend, als ob der Komponist die Falschheit dieses Weges erkannt hätte, beginnt der Weg von vorn, angefangen bei den einfachen Strukturen des Themas bis zur nächsten Ansammlung virtuoser Tobereien. Diese Entwicklung wiederholte sich in einem fort, in immer wilderen Klavierpassagen, die mit ihrer selbstnährenden Virtuosität bei Reger überraschten und neben Bach auch das Vorbild Beethoven erkennen ließen.

Doch plötzlich wurde die Fortspinnung nicht mehr mit homophonen Anklängen eröffnet, sondern mit der polyphonsten Form überhaupt, der Fuge. In streng organisierter Entwicklung fand das Thema endlich einen Weg, sich in sich stimmig zu entfalten. Die Reminiszenz an Bach war damit perfekt: Reger hatte versucht, ein Thema von ihm zu variieren, war aber erst an der Stelle zu einem zufriedenstellenden Ergebnis gelangt, als er nicht mehr die spätklassischen und romantischen Formen, sondern Bachs ureigenstes Element verwendete.

In der Symphonischen Phantasie waren wieder die Vorlieben für plötzliche Lautstärkenwechsel, chromatische Vorwärtsbewegungen und helle strahlende Akkorde bezeichnend. Damit verband sich eine bestimmte Form der Klangebenengliederung: die kontrapunktischen, oft choralartigen Melodien im Diskant und Bass wurden von bewegungsreichen Mittelstimmen umspielt. Die vierstimmige Fuge entwickelte noch einmal eine weite Registervielfalt in voneinander abgegrenzten Teilen, in denen sich der Charakter des Themas völlig verändert: Auf der Königin der Instrumente erschien das Werk des kleinen Bruders wieder.

Ein neuerlicher Gedanke: Bei Reger – in seinem Werk wie auch an diesem Abend – vereint sich Geistliches und Weltliches, ohne sich zu behindern. Weltliche Leidenschaftlichkeit drückt geistliche Vorstellungen aus, geistliche Formen zügeln weltliche Ausdruckswütigkeit. So wie sich am Ende der Leiter des Kirchenmusikalischen Instituts und der Hochschulprofessor für Klavier Hand in Hand verbeugten, so war ihre Musik gleiche Wege gegangen.

(Enrico Ille)

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