Designierter Gewandhauskapellmeister Chailly offiziell vorgestellt (Steffen Lehmann)

25. März 2002
Gewandhaus, Mendelssohn-Saal
Harmonie pur

Designierter Gewandhauskapellmeister Riccardo Chailly offiziell in Leipzig vorgestellt

Die Szenerie erinnerte an das Prozedere, wenn große Fußballklubs einen prominenten Trainer der Öffentlichkeit vorstellen. Blitzlichtgewitter, Scheinwerferlicht, laufende Kameras, Honoratioren, die sich ins Bild drängen, Bekundungen darüber, wie stolz und glücklich man sei. Nun, einen „prominenten Trainer“ präsentierte auch das Gewandhaus am vergangenen Dienstag: Riccardo Chailly, designierter Gewandhauskapellmeister, wurde auf einer Pressekonferenz im Mendelssohn-Saal vorgestellt.

Riccardo Chailly musste, eingerahmt von Orchestervorstand, Gewandhausdirektor, Oberbürgermeister, Opernintendant und Thomaskantor, eine Flut von Danksagungen, Lobeshymnen und Willkommensgrüßen über sich ergehen lassen. Selbst Herbert Blomstedt, der im Augenblick mit dem San Francisco Symphony Orchestra konzertiert, hatte einen Brief geschrieben, in dem er seinen Nachfolger begrüßte.

Eine Frage interessierte alle. Was bringt einen angesehenen Dirigenten, der einem der renommiertesten Orchester der Welt vorsteht, dazu, sich von diesen paradiesischen Zuständen zu verabschieden? Chailly beantwortete diese Frage ohne Umschweife. „Der Wille und der Glaube an die Zusammenarbeit, wie er von Gewandhausorchester und Stadtverwaltung geäußert worden ist, seien sehr stimulierend für ihn gewesen.“

Es wäre „sehr einfach und vorhersehbar gewesen, wenn ich bis 2008 in Amsterdam unterschrieben hätte“, sagte der italienische Dirigent. Am Ende war die Aussicht auf ein neues Abenteuer ausschlaggebend. „Ich wollte keine Replica von Amsterdam“, sagte Chailly. Denn „ich denke auch immer über neue Chancen und Möglichkeiten nach, mich zu entwickeln.“ Und das ist vielleicht der entscheidende Punkt gewesen. Die Möglichkeit, nicht nur ein Orchester zu übernehmen, das schon eine hervorragende Position im internationalen Konzertbetrieb einnimmt, sondern auch eine Perspektive zu sehen, zusammen mit den Musikern etwas zu entwickeln.

Dabei dürfte ein wirklicher Trumpf, der vielleicht das Pendel in Richtung Leipzig ausschlagen ließ, gewesen sein, dass Chailly auch Generalmusikdirektor der Leipziger Oper wird. So findet Chaillys Amsterdamer Arbeit eine hoffentlich erfolgreiche Fortführung an der Leipziger Oper, die während der vergangenen Jahre in dieser Hinsicht arg gebeutelt gewesen ist. Deswegen war die Freude von Intendant Henri Maier glaubwürdig, der Chailly in sehr herzlichen Worten begrüßte. „Es ist wichtig für die Oper, dass es einen GMD gibt, der sich Zeit nimmt, um zu kommen, der Produktionen dirigiert und der sich mit dem Intendanten versteht“, sagte Maier. Das es beim letzten Punkt Schwierigkeiten geben wird, scheint fast ausgeschlossen. Maier betonte, dass „es nicht um das Ego gehe, sondern nur darum, schöne künstlerische Projekte zu machen.“ Und Chailly dürfte erfreut zur Kenntnis genommen haben, dass das Leipziger Publikum besonders italienische Opern zu schätzen weiß, wie Maier versicherte. Mit Chailly wird es 2004 eine Verdi-Aufführung geben und 2005 eine Puccini-Oper.

Tradition und Gegenwart. Diese beiden Worte fielen häufiger an diesem Nachmittag. Sie sind für Riccardo Chailly Grundessenzen seines Arbeitens. Tradition ist wichtig, weil sie das Fundament eines Orchesters ist. Insofern kann das Gewandhausorchester auf eine noch längere Geschichte zurückblicken als das Amsterdamer Concertgebouw-Orkest. Bei aller Verpflichtung dem historischen Erbe, der Blick in die Gegenwart darf dabei nicht verstellt werden. Ein Aspekt, dem das Leipziger Publikum bekanntlich nicht sehr aufgeschlossen gegenübersteht. Für Chailly ist es wichtig, „dass man sich entwickelt, dass man die großen Komponisten auch in Kombination mit neuen Ideen spielt.“ Da dürfte sein Konzert im September 2002 mit Werken von Rossini, Respighi und Strawinsky bereits einen kleinen Vorgeschmack geben.(Steffen Lehmann)

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