„Chorsinfonik” 4. Konzert, MDR (Gerhard Lock)

29. März 2002 Gewandhaus, Großer Saal
„Chorsinfonik? 4. Konzert, MDR

MDR Sinfonieorchester
MDR Rundfunkchor

Solist: Christopher Bowers-Broadbent, Orgel
Chorsolisten: Mitglieder des MDR Chores

Leitung: Howard Arman

Programm am Ende des Artikels

Christopher Bowers-Broadbent (*1945) UA
Krzysztof Penderecki (*1933)
Orazio Benevoli (1605-1672)
Antonio Lotti (1666-1740)
Antonio Caldara (1670-1742)
Giacomo Carissimi (1605-1674)


Bowers-Broadbent – Gastspiel wird zur Farce

Der Name des 1945 geborenen Engländers Christopher Bowers-Broadbent ist sicherlich ein klangvoller, aber der Komponist hat sich am heutigen Abend im vierten „Chorsinfonik?-Konzert des MDR sicherlich keinen Gefallen getan mit der Uraufführung seiner „7 Words for organ solo“.

Konzipiert hat das Konzert im Ganzen Howard Arman (der auch Broadbent zu dessen Stück angeregt hatte), eine Durchflechtung von fünf aus unterschiedlichen Jahrhunderten stammenden Chorwerken mit inhaltlichem Bezug zur christlichen Passionszeit. Broadbents sieben Stücke sollten nun eine Verbindung zwischen ihnen herstellen. Dies ist dem Komponisten gründlich missglückt. Broadbent hat aus der englischen Übersetzung der „Sieben letzten Worte Jesu Christi am Kreuze? jeweils ein Kernwort entnommen und mit deren Hilfe versucht, sowohl eine Einheit in seinem Stück als auch eine Verbindung zu den anderen Werken des Abends zu erreichen. Diese an sich gutgemeinte Idee wurde jedoch durch das kompositorische Ergebnis konterkariert. Es gibt Künstler, die vermögen mit spontanen Improvisationen die Zuhörer zu ergreifen und wirkliche Verbindungen zwischen verschiedenen Werken zu schaffen, Broadbents Tönejongliererei erreicht jedoch nur das Gegenteil, und die Zwischenspiele sind von „Wort? zu „Wort? schwerer zu ertragen.

Schon vor der Pause beginne ich zu leiden unter den sich immer wieder nahtlos anschließenden Broadbent-Stücken, die keine Möglichkeit lassen, die anderen Werke zu verarbeiten. So beginne ich ab dem zweiten „Wort? von Broadbent langsam am Sinn dieser zunächst befremdlichen, später wie improvisiert und letztendlich infantil wirkenden Tonzusammenstellung zu zweifeln. Die Konzeption des Konzertes geht nicht auf, denn sie verursacht entweder Langeweile oder Stress. Krysztof Pendereckis erstes und sehr erfolgreiches Chorwerk „Aus den Psalmen Davids? für gemischten Chor und Instrumentalensemble (inklusive Penderecki-typischer Schlagwerkbatterie) wird völlig seiner Wirkung beraubt, die schönen und ergreifenden Renaissancekompositionen von Benevoli (Regna terrae), Antonio Lotti (Crucifixus) und Antonio Caldara (Crucifixus) sind lediglich Oasen der Erholung. Das vierte „Wort“, „Why?, stellt dann schließlich von selbst die Frage nach dem Sinn…

Nach der Pause erwarte ich nichts Gutes mehr und tatsächlich steht das sechste „Wort?, „Is“, den anderen „Worten? an „Qualität? in nichts nach. Das dann folgende Jephte-Oratorium von Giacomo Carissimi in der modernen und sehr frischen Instrumentierung Hans Werner Henzes ist ein inhaltlich hochdramatisches Werk, das die Kompositionskunst des Italieners ausdrucksstark und bildhaft unter Beweis stellt.

Der aus dem alten Testament genommene Historienstoff erzählt von dem Kampf Jephtes und des Volkes Israel gegen den König Ammon. Dieser für Jephte siegreiche Kampf endet jedoch tragisch, weil er Gott vor der Schlacht das erste lebende Wesen, das ihm nach dem Sieg aus seinem Hause entgegenkomme, zum Opfer versprochen hat. Dass dies seine ihm freudig entgegenlaufende Tochter ist, macht den Sieg zur Tragödie, die Carissimi wahrhaft wirkungsvoll mit seiner Musik beschreibt.

Die Sorge, dass nach dieser dramatischen Musik Broadbents abschließendes „Wort?, „Father?, zu einer Katastrophe führen könnte, bestätigt sich zum Glück nicht. Hier wird die Komposition des britischen Organisten endlich zu Musik, die mit abwechslungsreicher Registrierung und Auslotung der klanglichen Möglichkeiten der Orgel die Stimmung des „Jephte? unterstützt. Die Musik Carissimis wird nicht zerstört, sondern wirkungsvoll in die Gegenwart getragen. Dieser Abschluss des Karfreitagskonzerts ist ein versöhnlicher, der jedoch meine generelle Enttäuschung nicht gänzlich zu tilgen vermag.

(Gerhard Lock)

Programm

Christopher Bowers-Broadbent (*1945)
7 Words for Organ solo (Sieben Worte für Orgel solo) 2002, UA
1. Forgive, 2. Paradise, 3. Behold, 4. Why, 5. Thirst, 6. Is, 7. Father
(jeweils zwischen die fünf unten genannten Werke geschoben)

Krzysztof Penderecki (*1933)
Aus den Psalmen Davids
für gemischten Chor und Instrumentalensemble (1959)

Orazio Benevoli (1605-1672)
Regna terrae
für sechsstimmige Sopranchöre und Orgel

Antonio Lotti (1666-1740)
Crucifixus (Passionsmotette)
für achtstimmigen gemischten Chor a capella

Antonio Caldara (1670-1742)
Crucifixus
für sechzehnstimmigen Chor und Orgel

Giacomo Carissimi (1605-1674)
Jephte (Oratorium)
(Instrumentierung von Hans Werner Henze)

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