„Grosses Concert” mit Wagner, Debussy und Schönberg (Steffen Lehmann)

4. April 2002, Gewandhaus, Großer Saal

Gewandhausorchester, Dirigent: Jukka-Pekka Saraste

Richard Wagner, Vorspiel zum Musikdrama ?Parsifal?
Claude Debussy, La Mer. Drei sinfonische Skizzen
Arnold Schönberg, Pelleas und Melisande. Sinfonische Dichtung für Orchester op. 5


Wagners Fußstapfen

Richard Wagners Opern verlangen bekanntlich einiges vom Publikum. Vor allem Ausdauer und eine kräftige Gesäßmuskulatur. Wie gut. dass es noch andere Wege gibt, um mit der Musik des Titanen aus der Villa Wahnfried Bekanntschaft zu schließen. Beispielsweise mit einem Vorspiel, statt der eigentlichen Oper. Sich umschauend, fast schlendernd betritt der Dirigent Jukka-Pekka Saraste das Podium. Keine Spur von übertriebenen Aktionismus oder gar Eile. Genau die richtige Einstellung, um den richtigen Ton für den ?Parsifal? zu finden.

?Mit dem Buche unter dem Arm vergrub ich mich in die nahen Waldungen, um am Bache gelagert mit Titurel und Parzival in dem fremdartigen und doch so innig traulichen Gedichte Wolframs zu unterhalten?, hat später Richard Wagner in seiner Autobiographie ?Mein Leben? geschrieben. Die Violinen beginnen leicht und sehnsuchtsvoll. Eine weihevolle Stimmung breitet sich aus, die auch sofort Besitz vom Publikum ergreift: entrückte Gesichter auf der Orchesterempore. Fast meint man, den Meister unter seinem Baum liegen zu sehen. Die Ruhe wird nur durch kräftige Stöße des Horns unterbrochen, als würde eine Treibjagd angekündigt, die jeden Augenblick durch den Großen Saal toben könnte. Gerade als die Violinen gemeinsam mit Flöten, Klarinetten und Oboen dabei
sind, die Stimmung wieder zu beruhigen, wird das Publikum der besondern Eigenart eines Vorspiels gewahr: Sie sind immer so schnell vorbei.

Doch damit war es mit den Klang-Abenteuern ? la Wagner noch nicht vorbei. Mit Claude Debussy hatte man zwar einen Komponisten in das Programm genommen, der nicht gerade zeitlebens ein Anhänger der Musik Wagners gewesen war, der sich aber zumindest bei seinem ersten Besuch in Bayreuth noch als ?fanatischen Wagner-Verehrer? bezeichnete. Umso weniger überrascht es, wenn in Debussys ?La Mer? Versatzstücke
Wagner?scher Klangabenteuer wieder zu finden sind. Einmal aus dem Wald des Parsifals heraus, galt es nun, dem Spiel von Wind und Meer seine Aufmerksamkeit zu schenken. Allein der Titel ?La Mer? ist etwas irreführend. Wollte doch Debussy nicht das Meer beschreiben, sondern die Eindrücke, die es auf ihn hinterlassen hat. Denn so schrieb Debussy 1903 in einem Brief: ?Sie wussten vielleicht nicht, dass ich für die schöne Laufbahn eines Matrosen ausersehen war und dass nur die Zufälle des Daseins mich auf eine andere Bahn geführt haben.?

In der Skizze ?Von der Morgendämmerung bis zum Mittag am Meer? tanzen die Akkorde der Violinen wie Drachen im Wind. Auf und ab, immer wieder Kapriolen schlagend. Fast könnte man meinen, eine chinesische Melodie zu vernehmen. Aber gerade das Spiel der Wellen (zweite Skizzen) blieb von kurzen Ausbrüchen abgesehen seltsam ruhig. War mehr ein geruhsames Plätschern. Ob es am mangelnden Wind gelegen hat? Der frischte dann in der letzten Skizze ?Zwiegespräch zwischen Wind und Meer? auf. Saraste auf den Fußspitzen wippend, stellte sich der Brise entgegen. Die Bögen der Streicher schaukelten gleichmäßig. Beim lauten Zupfen musste einem gar um die Saiten bange werden. Immer wieder brachen die Blechbläser aus. Man spürte,
Wind kommt auf, es wird kühler. Eine letzte Steigerung im fulminanten Finale, wo Saraste seine Zurückhaltung endgültig aufgab.

Bei Schönbergs ?Pelleas und Melisande? sind die Parallelen sowohl zu Wagner als auch zu Debussy deutlich. Debussy komponierte eine Oper nach diesem Drama von Maurice Maeterlinck. Mit dem gleichen Gedanken trug sich auch Schönberg eine Zeitlang, verzichtete dann aber und wandte sich der sinfonischen Bearbeitung zu. Obwohl Schönberg später einmal bedauerte, die Opernpläne nicht weiterverfolgt zu haben, stellte er fest, dass
die sinfonische Dichtung ihm geholfen habe ?Stimmungen und Charaktere in genau formulierten Einheiten auszudrücken.?

Der Motor des vollbesetzten Orchesters läuft von Beginn an auf vollen Touren. Trommelwirbel und dunkle Akkorde von Bläsern und Bratschen lassen nichts Gutes ahnen. Saraste stößt mit seiner Hand wie ein Adler in Richtung Partitur. Einer der zweiten Violinisten ist mit solcher Verve dabei, dass er seiner Nachbarin mit dem Bogen fast das Augenlicht geraubt hätte. Dass es dazu nicht gekommen ist, ist allein der Tatsache zu verdanken, dass sie eine Brille trug. Bei all diesen Turbulenzen ist es Aufgabe der Harfe, immer wieder das Tempo rauszunehmen. Schon bei diesem frühen Stück Schönbergs klingen seine späteren Expedition in die Atonalität an. Da sind die Soli von Klarinette und Fagott ein wahres Labsal. Wie bei einem Luftballon, dem die Luft langsam entweicht, geht das Stück schließlich unspektakulär zu Ende.

(Steffen Lehmann)

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