Menschenskinder!

Schleiermacher, Starke und Kreher spielen Kammermusik mit „Klassikern der Moderne” im Gewandhaus

Trotz eines verregneten und doch etwas grauen Sonntagnachmittags lockte ein ganz besonderes Konzert mehr als 50 Besucher in den Mendelssohnsaal des Gewandhauses. Das Publikum, in welchem vom Studenten bis zum Rentner alle denkbaren Altersklassen vertreten waren, wartete auf die „Klassiker der Moderne“, auf berühmte Werke aus den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts, teilweise für die spezifische Triobesetzung bearbeitet.

Im Saal gab es viele erwartungsvolle Gesichter, Gesichter, aus denen man Spannung und vielleicht auch etwas Unsicherheit las. Doch Freude zog mit dem Applaus in die Reihen, als die Interpreten die Bühne, die von allen Seiten zugänglich schien, betraten.

Klavierakkorde, untermalt von synchronen Violintönen, bestimmen den Marsch, den ersten Satz aus Igor Strawinskys Kleiner Suite aus „Die Geschichte vom Soldaten“. Wenn die Klarinette mit ihren klaren und fast naiven Melodien hinzukommt, entwickelt sich – trotz der untermalenden Funktion im Hinblick auf das Klavier – ein Spiel, ein Dialog zwischen Klarinette und Geige.

Nach den Tänzen Tango – Walzer -Ragtime erhob sich in lautem und virtuosem Getös der Tanz des Teufels, der in seinem Gelüst nach der Seele des Soldaten wieder einmal einen Misserfolg hinnehmen musste. Mich als Hörer packte in dem Moment das Fieber und ich versuchte möglichst alles von diesem Geschehen mitzubekommen – da riss es mich mit einem Glissando in den herzlichen Applaus.

Kurze Huster bevor Veronika Starke und Steffen Schleiermacher die Bühne wieder betraten und in Schönbergs Opus 47, eines seiner letzten Werke, einstimmten. Es handelt sich um eine ganz besondere Komposition, welche wegen ihres hohen spieltechnischen Anspruchs selten zu hören ist. Sie verlangt aber auch vom Hörer viel für ein durchgängiges und konsequentes Nachvollziehen und Assoziieren. Aus dem mäßigen Applaus war zu schließen, dass vermutlich nicht sehr viele weit damit gekommen waren. Andererseits erklang auch Erstaunen und fast Ehrfurcht aus einem spontanen Ausruf aus dem Publikum: „Menschenskinder!“.

Das dritte Stück in diesem Konzert, eine Triobearbeitung des Adagios aus Alban Bergs Kammerkonzert, ließ mir am meisten den Kopf zerbrechen, zumal als mir die Hintergründe klar wurden. Alban Bergs widmete das Kammerkonzert seinem Lehrer Arnold Schönberg zum fünfzigsten Geburtstag. Es drückt die „Dreiheit“ der Beziehungen zwischen den beiden und auch in Verbindung mit Anton Webern aus und sollte außerdem Schönbergs plötzlich verstorbener Frau ein Denkmal setzten.

Mit diesem „Vorwissen“ betrachtete ich das Stück voller Gefühl und Aufnahmebereitschaft für die Wirkungen, die Trauer und Freude, Ehre und Zusammenhalt, aber auch frohe Zukunftsgedanken in einem auslösen können. Und mit einer ernsten Atmosphäre wurde ich in die Pause entlassen. Nach solch vielseitiger Darbietung fiel es mir schwer, weiteres mit gleicher Intensität aufzunehmen. So ging ich den zweiten Teil einfach etwas entspannter an.

Charles Ives‘ Largo für Violine, Klarinette und Klavier machte mir wegen seiner experimentellen Art sehr viel Freude. Ich achtete hier vor allem auf bemerkenswerte Klangstrukturen, etwa wenn in fast statischer Weise bestimmte Harmonien den vorkommenden Ganztonmelodiereihen gegenüberstanden. Eine fast sarkastische Einstellung gegenüber allen romantischen Zügen in der Musik stellte sich bei mir ein.

Nachdem Bergs Vier Stücke für Klarinette und Klavier und Anton Weberns Vier Stücke für Violine und Klavier, deren Teile extreme Gegensätzlichkeiten spiegelten, verklungen waren, ging bei Béla Bartóks Komposition Kontraste nochmals ein kräftiger Ruck durch den Saal. Denn die Vielfarbigkeit und Virtuosität, aber auch die Harmonie und ausgeflippte Laune der Musiker war ausgiebigst zu spüren und nachzuvollziehen.

Viele frohe Gesichter von noch mit sich beschäftigten, aber auch aufgewühlten Menschen verrieten nach diesem prächtigen Konzert, dass sie den Abend in guter Erinnerung behalten werden.

Kammermusik mit „Klassikern der Moderne“

mit:
Veronika Starke, Violine
Matthias Kreher, Klarinette,
Steffen Schleiermacher, Klavier

14. 04. 2002 im Mendelssohnsaal des Gewandhauses

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