Kein Skandal – einfach nur Beifall

Konzert mit Kompositionen Studierender der Musikhochschule

Man mag sich fragen, ob Konzerte der Neuen Musik heute noch Skandale auslösen können. Wie mir scheint, ruft nichts mehr den absoluten Protest einer Hörerschaft hervor, wie man ihn beispielsweise zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in anderer Weise noch nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat. Denn die Toleranzgrenze ist heute um so viel geweitet, wie die kompositionstechnischen und mit Performance angereicherten Möglichkeiten vielfältig sind. Nichts kann mehr schrecken oder gar empören. Aber was ist es, was jetzt solche Zustimmung unter dem Publikum hervorruft? Es ist die Fähigkeit der jungen Klangschöpfer, das auszudrücken, was sie empfinden und was sie denken.

Wenn man mich fragt, weshalb ich so viel über neue Musik schreibe, so sage ich: Die Frage ist unnütz. Warum – Weil man über junge Musik berichten muss! Man muss sie festhalten, damit sie nicht auf dem Haufen der Geschichte verkommt, den keiner jemals mehr anschaut. Mich reizt, wie neue Musik, zeitgenössische Musik, Musik junger Tonschöpfer das Licht der Welt erblickt und wie sie zurück zu wirken vermag, wenn sie das Publikum erreicht. Die Wahrnehmung des Neuen betreffend, halte ich es mit Monsieur Croche, den Claude Debussy schon vor gut hundert Jahren sagen lässt, er versuche die gängige Musik zu vergessen, weil sie ihn daran hindert, jene zu hören, die er noch nicht kennt oder erst „morgen“ kennenlernen wird. Und, um es mit Oskar Wilde zu sagen: „Das Unerwartete zu erwarten, verrät einen durchaus modernen Geist.“ Dabei interessiert mich nicht vorrangig, ob eine Musik nun besonders neu oder gar besonders“fortschrittlich“ sei, sondern, ob ein Komponist in der Lage ist, eine eigenständige Musik zu schreiben, eine, die nicht sofort Gleichgültigkeit aufkommen lässt, weil sie assoziiert, was man schon kennt. Die mehrmals im Jahr stattfindenden Einblicke-Konzerte der Leipziger Musikhochschule bieten immer eine Vielzahl an Eindrücken, an frischen Werken, an jungen Tonschöpfern, die sich gerade erst am Anfang ihres hoffnungsvollen Lebenslaufes befinden. Ich werde im Folgenden jedes Werk mit der ihm nötigen Intensität mit Worten festhalten, denn sie sind es wert, beachtet zu werden. Dies berechtigt auch der durchweg begeisterte und lange Beifall für die Interpretationen der zahlreichen studentischen Mitglieder des Ensembles Junge Musik unter wechselnden, ebenfalls studentischen Dirigenten. Erfreuliche Tendenz bei den meisten Werken ist die Hinwendung zu einem erstaunlich schönen und vielschichtigen Klang, zu persönlichen und mit Konsequenz durchgehaltenen Klangstrukturen.Die Musik des KonzertesAlexander Adiartes (*1975) „Confrontation für Violine mit Live-Elektronik“ (2002) ist weniger Konfrontation der Violine mit der Elektronik, sondern eher Kooperation dieser beiden Schallquellen miteinander. Die Violine übernimmt die Funktion, die Live-Elektronik zu inspirieren und diese macht aus kleinen Ideekernen große Klangflächen. Es ist fassliche Musik, die vom punktuellen Einzeltonereignis über Repetitionen hin zu flächigen und räumlichen Klängen alle Möglichkeiten ausreizt. Der Komponisteninterpret schien selbst fasziniert zu lauschen, wie sich die von ihm initiierten Töne mit Hilfe der Live-Elektronik im Raum ausbreiteten. Hyung-Yoon Kim (*1970) gefällt besonders der Einzelton, den er in seinem Stück „Himmel-Erde-Mensch“ für Violine, Klarinette und Violoncello (2002) in die Oktaven streckt und später mit Sekundreibungen anreichert. Sogar Schönklänge (durch Terzen erreichte Akkordbildungen) sind zu erleben, die sich mit fragmentarischen Linien abwechseln. Seine Musik ist eine hübsche Klanglandschaft, die mit einer raffinierten Unisonolinie ihr gelungenes Ende findet.Maxim Elsters (1976) „Musikalische Geschichte für Streichquartett“ (2002) ist eine nett gemachte Collage, die zum Schmunzeln einlädt, denn verschiedene Stilzitate bis hin zu barocken Figuren (allesamt kompositorisch gut verbunden) zeigen des Komponisten Spaß am Klang, den die Interpreten sehr schön vermitteln.

Der „Kanon für Streichquartett“ (2002) von Sun-Choul Kim beginnt äußerst interessant mit einem bis zu dreistimmig spielenden Solocello, in dessen Klangteppich dann die zweite Violine mit ähnlichen Figuren, die Bratsche und die erste Violine später desgleichen, einsetzt. Dadurch allerdings wird der Klang im Laufe der Musik beliebig. Auch viele der Quinten wirken schlicht banal. Aber am Schluss, wenn man sich eingehört hat, erkennt man gemäß eines musikalischen Kanons die jeweiligen Grundstrukturen wieder und es kommt ein System zum Vorschein, welches den Titel „Kanon“ rechtfertigt. Mit der ersten Violine solo endet das Stück, wie es begonnen hat, mit bis zu dreistimmigen Figuren, diesmal jedoch in klanglich helleren Gefilden.

Was in einer Woche so passieren kann, führt uns die Komponistin Franziska Döring (*1978) zusammen mit ihrer Mitstreiterin mit zwei Flöten vor („7 Tage – Miniaturen für zwei Flöten“, 1997/2001). Sieben super kurze, aber herrlich passende Stückchen charakterisieren die Wochentage auf raffinierte und mit Performanceaktivität der Interpretinnen angereicherte Art und Weise: Montag – Sehr bewegt, Dienstag – Leicht, wie auf Zehenspitzen, Mittwoch – Verspielt, Donnerstag -Prestissimo, Freitag – Sehr schön langsam, Samstag – Andante con moto und der etwas traurig endende Sonntag – Andante. Vielleicht ist man traurig, dass mit dem Montag wieder die Hektik der Wochen beginnt?

Die gleiche Triosonate für Orgel (2001) wie im Einblicke-Konzert zur Orgeleinweihung der Musikhochschule am 16. Januar dieses Jahres bietet Markus Herrmann (*1976). Diesmal kommt der Komposition der kleinere Kammermusiksaal wegen der intimeren Atmosphäre entgegen. Die Registerwahl der Orgel ist sehr schön und abwechslungsreich mit weichen Klangfarben und Vibratoeffekten. Doch auch dies kann nicht über den Stilkopiecharakter des Stückes hinweg trösten.

Nach der Pause bezaubert Mina Kims (*1971) „In deiner Seele“ (2002) für Sopran, Flöte, Violine, Kontrabass und diversem Schlagwerk durch ihren koreanisch gesungenen und auch in der deutschen Übertragung einfühlsam wirkenden Text: „Lösch nicht den Himmel in deiner Seele aus“ und als Schluss „Oh glücklicher Gefangener, zerreiße deine Fessel.“ Es ist ein Tongemälde, das aus Klangsäulen, Pizzikatoereignissen und impulsiven, manchmal sehr nahe der koreanischen Sprachmelodie angenäherten Gesangsweisen besteht.Spiros Mouchagier (*1968) ist einer der Griechen in Dimitis Terzakis Kompositionsklasse. Seine drei Lieder „Makrya – weit weg“ (2001) für Mezzosopran, Klarinette und Streichquintett nach Gedichten von Konstantinos Kawafis (1904/1917) zeigen einen eigenständigen Klangstil. Es ist üppige und auf schönen Klang bedachte Musik. Die sich beispielsweise im zweiten Lied „Stimmen“ ineinander verwebenden Linien sind sicherlich von griechischer Musik inspiriert, genauso wie die generelle Melodiebehandlung mit ihren Figurationen. Auch schöne Akkorde fehlen nicht in Spiros Klangwelt. Und im ersten Lied kann man die Sinnlichkeit im Wortlaut durch die Musik förmlich mit den Händen greifen: „So sehr habe ich auf Schönheit gestarrt,/ Dass meine Augen von ihr erfüllt sind./ Körperkonturen, rote Lippen, sinnliche Glieder,…“ Am Ende des dritten Liedes „Weit weg“ erinnert sich der Liebende an die Augen seiner Geliebten: „Sie waren blau, glaube ich…/ Ja blau – blau wie Saphire.“

„An die Vollendung“ (2002) hat Eva Geißler (*1974) ihr Miniaturmusiktheater genannt. Nach Texten von Machiavelli und Hölderlin geht es ihr um die verschiedenen Möglichkeiten, die Wirklichkeit zu betrachten. Dem Synonym für Machtpolitik Machiavelli („Man bewahrt die Herrschaft nicht mit dem Rosenkranz in der Hand“) als gesprochenem Textteil wird der gesungene Text von Hölderlin entgegengesetzt. „Vollendung, Vollendung“, diese Worte werden musikalisch besonders durch einen an Hymnen erinnernden Klangduktus im Gedächtnis bleiben. Auch in Geißlers schön klingender Musik dominieren die vielschichtigen Klänge (erreicht durch ein vielseitiges Instrumentenensemble). Die vier Gesangssolisten stimmen gemeinsam in die Lobeshymne „An die Vollendung“ ein und der zynische Wortlaut der Machiavelli-Texte ist am Ende ganz vergessen.

Einblicke
Konzert mit Kompositionen Studierender

Gesamtleitung: Reinhard Schmiedel

Werke von:
Alexander G. Adiarte, Hyung-Yoon Kim, Maxim Elster, Sun-Choul Kim, Franziska Döring, Markus Herrmann, Mina Kim, Spiros Mouchagier, und Eva Geißler

24. April 2002, Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig, Kammermusiksaal

Kommentar hinterlassen

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.