Albert Lortzing: Der Wildschütz, Premiere (Robert Gärling)

27. April 2002 Oper Leipzig (Premiere)
Albert Lortzing: ?Der Wildschütz? oder ?Die Stimme der Natur?

Dirigent: Claude Schnitzler
Inszenierung: Kornelia Repschläger
Bühne und Kostüme: Rainer Sinell
Choreinstudierung: Stefan Belz

Graf von Eberbach: Tommi Hakala
Gräfin, seine Gemahlin: Annelott Damm
Baron Kronthal, Bruder der Gräfin: Bernard Richter
Baronin Freimann, eine junge Witwe: Birgit Binnewies
Nanette, ihr Kammermädchen: Kathrin Göring
Baculus, Schulmeister: Roland Schubert
Gretchen, seine Braut: Katharina Dittmar
Pancratius, Haushofmeister: Dieter Scholz
Ein Gast: Erwin Noack

Gewandhausorchester
Chor der Oper Leipzig / Kinderchor der Oper Leipzig (Einstudierung: Anne-Kristin Mai)

Mit dem Schulmeister durch die Kunst zurück ins Leben?
Roland Schubert und Birgit Binnewies
in Lortzings ?Wildschütz? an der Oper Leipzig gefeiert

Mit der Premiere des ?Wildschütz? gelang der Oper Leipzig eine eindrucksvolle Inszenierung, die Intendant Henri Maier zu einem Publikum verhelfen könnte, das sich auf der Suche nach musikalischen Glanzstücken und schönen Bildern befindet. Dass Lortzing in Leipzig (wie auch anderswo) gefällt, war mit dem hier über viele Jahre gegebenen ?Zar und Zimmermann? bewiesen und zuletzt nicht selten strapaziert worden. Über die Dauerhaftigkeit der neuen Inszenierung lässt sich noch wenig sagen. Für den ?Wildschütz? wird es dennoch Zeit, wurde er doch vor rund zwanzig Jahren das letzte Mal in Leipzig aufgeführt. Zwar ist das Lortzing-Jahr 2001 bereits vorüber, aber das stört wenig, da es somit nur noch bedingt auf Repräsentativität ankommt.

An diesem Abend waren es nun vor allem große Bilder und musikalische Spitzenleistungen, die dem Publikum fast durchgängig Szenenapplaus abforderten. So war es nur folgerichtig ? und von vielen wohl auch kaum anders erwartet ?, dass sich zwischen den Figuren zeitweilig kaum etwas zu ereignen schien. Von Intimität konnte nur selten die Rede sein, wirkten doch die meisten Posen sauber gestellt und unnatürlich ? dennoch aber groß, weil sich die Bühnenkünstler offensichtlich vor allem am Publikum orientierten. Man fühlte sich zuweilen wie bei einer Theaterunternehmung im rhetorischen Stil der Renaissance, wiewohl alles Weitere hiermit zu einer beachtlichen Einheit verschmolz. Das Gewandhausorchester unter Claude Schnitzler spielte derweil durchaus hörenswert und mit viel Sensibilität die Partitur ab ? jedoch zuweilen an den Sängern vorüber.

Zu besagter Ganzheit darf ein Rahmen nicht fehlen und so begann die Inszenierung mit einem Vorspiel der ABC-Schützen des Schulmeisters Baculus vor dem ?Eisernen?. Eine Geschichte wurde erzählt ? choreographiert auf die gut sechsminütige Ouvertüre. Während Baculus schließlich im Hintergrund seinen verhängnisvollen Büchsenschuss abfeuerte, ?schossen? die Schuljungen spielerisch (jedoch völlig unmotiviert) auf das Publikum ? vor dem Hintergrund des erschütternden Amoklaufes in einem Erfurter Gymnasium vom Vortag sicherlich für manchen Opernbesucher eine Zumutung, die man beschämend leicht hätte vermeiden können. ? Bald darauf stürzte Baculus übers Parkett herein, ordnete seine Zöglinge zum Abmarsch. Die folgende Szene ? Verlobungsfeier Baculus‘ mit den Landleuten des Dorfes ? spielte sich vor und in dem liebevoll ausgestalteten historischen Unterrichtszimmer des Schulmeisters ab. Dazu lässt sich generell anmerken, dass in der Inszenierung die gesamte bürgerliche Welt sehr realistisch ausgestaltet wurde (Unterrichtszimmer, Kostüme). Die nämliche Szene bestach ? vor allem über den Chor der Landleute ? durch ein erfrischendes Miteinander der Beteiligten, das aber im Gegenzug rhythmisch-gesangliche Unsauberkeiten mit sich brachte. Geweckte Hoffnungen auf vergleichbare Momente blieben in der Folge jedoch leider weitgehend unerfüllt. Allein Baculus (Roland Schubert) und Gretchen (Katharina Dittmar) spielten noch die Einseitigkeit ihrer Zuneigung und damit Gretchens Ironie, wenn auch vorwiegend nur amüsant, kaum ernsthaft.

Mit dem anschließenden Auftritt der Baronin (Birgit Binnewies) wandelte sich das Bild: Eine auf eine helle Fläche führende Treppe im Profil, von verkohlt-schwarzen Bäumen gesäumt ? die Bühnenidee (Rainer Sinell) lässt sich erahnen. Dabei ist das Interieur der bürgerlichen Welt vorwiegend von Schwarz respektive Dunkelheit geprägt, das der adeligen Welt von Weiß respektive Helligkeit. Dem entsprechen alle Auf- und Abtritte, Lichtwechsel wie auch Kostüme. Über eine solch klare Gliederung ergeben sich viele Details der Inszenierung, jedoch läuft diese Gefahr, den Zuschauer zu ermüden oder einfach platt didaktisch zu wirken. Dem versuchte man mit so mancher szenischer Idee (gehörnte Jäger, Billardspiel auf ansteigender Ebene, aus Billardtisch sprießende Blumen u.a.) beizukommen, entfernte sich dabei aber auch von der Sinnhaftigkeit der Geschehnisse, wurde oberflächlich, inszenierte auf Lacher, ohne deren Auswirkung für die Figuren zu ermessen. Freilich handelte es sich um eine komische Oper, wer dabei aber das Suchen nach konterkarierenden ernsten (Rede-) Wendungen aufgab, wird wenig Freude an der zugespitzten Komik erfahren haben.

Gleichermaßen oberflächlich verfuhr man mit der ? zugegeben niederschwellig-latenten ? politischen Komponente des Stückes. Solcherlei Details wurden im Sprechtext zuweilen gar eliminiert, was auch das Spiel zwischen den Gesangspartien erkalten ließ. Zudem war manche darstellerische Akzentuierung nur auf die oberflächliche Komödie hin inszeniert (Handel zwischen Baron und Baculus um Gretchen u.a.). Um dennoch diesbezügliche Spannungen herzustellen, wurde neben der Masse der bürgerlichen Landleute ein Bild installiert, das ? wiederum plakativ ? sehr wirkungsvoll den (der Oper immanenten) Widerspruch zwischen Lob des feudalen Herrschers und dem von ihm verursachten Leid zum Ausdruck brachte (3. Akt): Während sich Baronin und Baron als solche zu erkennen geben und ein Lob auf die traute Familie gesungen wird, färbt sich der Hintergrund blutrot, drei Bürgerliche treten auf den darüber liegenden Balkon und entrollen ein Plakat mit der Aufschrift ?Krieg den Palästen!?, dahinter scharen sich ihre Landleute. Nur wenige Momente später dreht die Bühne und der Chor lobpreist die sich wiedervereinigte Herrscherriege in einem Schlussbild, das mit silbrigen Fähnchen, Tüchern und Flitter an amerikanische Präsidentenehrungen erinnert. Jener Schwebezustand in der Charakterisierung von Leben und Erleben wirkte äußerst wohltuend, da er als Gleichnis auf die Ambivalenz des Lebens verstanden werden konnte.

Die Entrückung besagter Herrscherriege ? der beinah alle Hauptpersonen angehören ? zeigt sich besonders deutlich in den Szenen, die sich auf dem Landsitz des Grafen ereignen. Folglich spielt sich auch das Gros der Oper auf dem Anwesen des Grafen ab, das vollends dem leidenschaftlichen Klassizismus der Gräfin unterliegt. Dem Publikum steht eine weiße Marmor-Treppe frontal gegenüber, die zu einem schmalen Plateau führt, auf dem ein Säulentor steht. Antike Bruchstücke von Skulpturen liegen herum. Die Gräfin selbst ist überwiegend in ein weißes Tuch gehüllt. In der Mitte der Treppe steht ein perspektivisch verzogener Tisch mit einem Tuch darüber; später wandelt er sich zu einem Billardtisch und daraufhin zu einem sprießenden Blumenbeet. Wurde die bürgerliche Welt vorwiegend realistisch gezeigt, so war die Welt der Adeligen nun betont künstlich. Die den überwiegenden Teil der Bühne einnehmende Treppe verlangte alsdann regelrecht offene Gesten zum Publikum, in denen sich die Sänger dann auch zum Teil übermäßig theatralisch präsentierten (Bernard Richter, Tommi Hakala). Hier wurde das oben angesprochene Miteinander zwischen den Figuren ausgeblendet und zu einem Nacheinander verwandelt, das dem Zuschauer alle Konzentration abverlangte oder aber seinen ?Ausstieg? bewirkte, sofern er ?den Faden verlor? ? stets davon ausgehend, nicht nur des musikalischen Ereignisses wegen gekommen zu sein. Dem entgegen steht der Begriff der Ensemble-Oper, der für den ?Wildschütz? gebraucht wird. Davon war wenig zu spüren.

In der Argumentation für ein notwendiges Ensemble im ?Wildschütz? beruft man sich auch gern auf die von Lortzing später hinzugefügte Billard-Szene im zweiten Akt (Nr.11, Quintett). Hier war am Premierenabend ? unterstützt von dem bespielbaren Billardtisch ? ein gewisses Zusammenspiel durchaus erkennbar. In dem überdimensionalen Bühnenbild stießen die Sänger jedoch bald an ihre Grenzen ? wer hier nicht wusste, dass die uneindeutige Bewegung des Grafen das Licht zum Erlöschen brachte, hat den restlichen Spaß der Szene wohl kaum verstanden. Im dritten und letzten Akt gewann die Aufführung noch einmal an Dynamik, nachdem der zweite Akt fast statisch in einem Bild verharrte. Es gab verstärkte Bühnen- und Lichtwechsel, Arrangements mit dem Chor (!) und die bereits erwähnte revolutionäre Aktion der Landleute bis hin zu dem versöhnlichen Schlussbild, mit dem alle Konflikte vergessen zu sein schienen.

Wie erwähnt war die musikalische Interpretation (Leitung: Claude Schnitzler) überwiegend überzeugend ? brillant fülliger ?Gewandhausorchesterklang?. Wozu die äußerste Konzentration der Sänger jedoch auch führte, wurde bereits gesagt. Fehlte sie ihnen doch einmal beziehungsweise war deren körperliche Handlung zu komplex, konnte es schon mal zu Divergenzen kommen, die Schnitzler dann aber auch nicht übermäßig auszugleichen versuchte. Birgit Binnewies (Baronin) und Roland Schubert (Baculus) wurden als ?Publikumslieblinge? mit viel Applaus und vereinzelten Bravorufen gefeiert ? sicher waren es nicht nur ihre stimmlichen Leistungen, die die Zuschauer beeindruckten. Annelott Damm spielte mit ansteckender Leichtigkeit die Rolle der dilettantisch-kunstinteressierten Gräfin. Stimmlich allgemeine Hochform. Reichlich Applaus auch für alle weiteren Beteiligten. Chor und Kinderchor der Oper (Einstudierung: Anne-Kristin Mai) erfreuten vor allem durch die Lebendigkeit, mit der sie die zuweilen frostigen Arrangements brachen ? gelegentlich unsaubere Einsätze verhalfen dabei eher noch zur Sympathie.

Abschließend nun noch ein Wort zur Zeichnung der Figuren und der Akzentuierung der komischen Elemente in der Inszenierung. Hier nämlich setzte sich die in Hinblick auf die Bühne bereits bemerkte ?Schwarz-Weiß-Malerei? ungehemmt fort. Die einzige Figur, der man einen Charakter zusprechen könnte, ist der Schulmeister Baculus, da er in unterschiedlichen Situationen gezeigt wird und sich entsprechend zu diesen verhalten muss. Folgt man der Inszenierung, so ist er es auch, mit dem wir ? das Publikum ? in die Handlung und in die Kunstwelt der Bühne eingeführt werden: Er tritt bereits auf, bevor sich der Vorhang öffnet (und zwar im Publikum) und er wird am Ende Wiederum draußen stehen, wenn sich der Vorhang wieder geschlossen hat. Auf diese Weise gewann der Zuschauer mit der Nähe zu seiner ? durchaus kritisch zu betrachtenden ? Identifikationsfigur Baculus auch gleichzeitig eine ausgesprochene Distanz zur Künstlichkeit der gezeigten, zumal der adeligen Welt. An dieser Stelle glückte nun die ? hier so ambivalent kommentierte ? Konzeption von Gegensätzen zu einer geschlossenen Einheit. Schlussendlich ist die Inszenierung ein besonderer Gewinn für die Oper Leipzig, auch oder gerade wegen ihrer Streitbarkeit. Wie offen sie für Opernfreunde wirklich ist, scheint schwer abzuschätzen. Die Besucherresonanz wird es zeigen.

(Robert Gärling)

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