Theater-Sport. Die Improvisationsshow (Kristin Hendinger)

04.05.2002, Theater bagage


Theater-Sport. Die Improvisationsshow nach Keith Johnston

Eine Blondine, die sich gerade vom Dach stürzen will, trifft dort einen an Höhenangst leidenden Auftragsmörder, der als Schornsteinfeger getarnt ist. Und weil er vor lauter Angst das Gewehr nicht ruhig halten kann, schlucken beide zur ‚Entspannung‘ Schlaftabletten. Anschließend verhilft sie ihm noch zu mehreren gezielten Schüssen, danach schlafen beide ein und fallen vom Dach.

Diese und andere Geschichten entstehen live im Theatersport, einem Improvisationstheater, in dem es keine fertigen Texte gibt. Die Szenen sind einmalig und damit nicht reproduzierbar, und weder das Publikum noch die Akteure wissen, was sich als nächstes abspielen wird. Doch so ganz ohne Regeln geht es bei dieser Aktionsform des Theaters dann doch nicht. Diese stammen von Keith Johnstone, einem englischen Autor, der zehn Jahre lang die legendäre Autorenwerkstatt des Royal Court Theaters in London leitete. Seit 1971 lebt der nun mehr 69-jährige in Kanada und veranstaltet Impro-Workshops an den großen europäischen Schauspielschulen. Mit Theatersport, das nur eine seiner Improvisationsvarianten für Theater ist, will Johnstone Theater für jedermann machen, egal ob Politiker, Gangster, Schulkind oder Hausfrau.

Wie beim Sport ist besonders wichtig: es gibt zwei Halbzeiten und dazwischen eine Pause; zum Spiel gehören zwei Mannschaften mit je drei Mitspielern, die Blauen: ‚Turbine Brecht‘ und die Roten: ‚Urfaust United‘ ? was für Namen!

Doch bevor das Spektakel beginnen kann, wird das Auditorium vom Spielleiter mit genügend Tröten sowie roten und blauen Stimmzetteln versorgt und mit Zirkusmusik auf die Show eingestimmt. Das Licht geht aus, die bekannte Zarathustra-Musik von Richard Strauss ertönt, beide Teams laufen ein und die Improvisationsrunden sind eröffnet. Aber nicht nur den Schauspielern wird größte Kreativität und Einfallsreichtum abverlangt. Um den direkten Kontakt zwischen Bühne und Publikum aufrecht zu halten, muss der Zuschauer ebenso spontan und schöpferisch zu seiner Unterhaltung beitragen. Das heißt: den richtigen Titel für die nächste Geschichte erfinden, den letzten Satz formulieren oder drei Stichworte vorgeben, die nichts miteinander zu tun haben, um den Inhalt von Szenen, Hörspielen, Dreiersynchronen, Dolmetscherszenen, Schlagerduetten sowie Gesängen und Tänzen aller Art mitzubestimmen.

Drücken gilt nicht, wer zum Theater-Sport geht, muss mitspielen und wer den Spielleiter verärgert, bekommt auch schnell mal eine gelbe Karte verpasst (aber wenigstens gibt es keinen Platzverweis).

Wenn’s dann richtig los geht, müssen die Ideen fließen und das ist für die Schauspieler vom Theater bagage ein Leichtes. Witzig, charmant und abwechslungsreich improvisieren ‚Turbine Brecht‘ und ‚Urfaust United‘ mit Hilfe des Publikums um die Wette. Ohne Kostüme oder großes Bühnenbild gelingt es den sechs Darstellern, das Publikum mit gekonnten Rollenspielen zu begeistern und für sich zu gewinnen. Durch das Zusammenspiel von Zuschauern und Schauspielern schafft ?Theater – Sport? eine unbefangene, lebhafte und zugleich familiäre Atmosphäre. Mehr als die Hälfte der Leute hat das ‚Stück‘ schon zwei Mal und öfter gesehen. Zugaben sind selbstverständlich und der Genuss eines geistreichen und zugleich kurzweiligen Abends ist garantiert.

(Kristin Hendinger)

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