Jesus Christ Superstar in Leipzig (Lutz Hesse)

Jesus Christ Superstar an der Musikalischen Komödie in Leipzig
(Premiere am 06.04.2002)

Was lange währt, wird gut. Pläne, „Jesus Christ Superstar“ auf die Bühne der Leipziger Musikalischen Komödie zu bringen, gab es bereits in der Jubiläumsspielzeit 1993. Nun, da die Aufführungsserien an fast allen Theatern der Region vorüber sind, fand die Webber-Variante der neutestamentarischen Leidensgeschichte auch den Weg
nach Leipzig-Lindenau. Daß der Regisseur gerade vier Wochen vorher eine Einstudierung im 40 Kilometer entfernten Halle zu verantworten hatte, ließ schlimme Vermutungen aufkommen. Aber die frohe Botschaft zuerst:

Das befürchtete Spiegelbild blieb aus. Stattdessen hat Gerhard Platiel eine Lesart gefunden, die das Spektakel reduziert und die Geschichte so erzählt, daß sie bei allen anachronistischen Tücken auch im Hier und Heute stattfinden könnte. Dabei bedient er sich günstiger Voraussetzungen: Zum einen ist die Besetzung einzigartig, zum anderen werden die eher katastrophalen räumlichen Bedingungen clever (Bühnenbild Walter Perdacher) genutzt. Last not least hat Perdacher Kostüme geschaffen, die mit wenigen Ausnahmen zeitlos erscheinen.

Bereits die Ouvertüre gibt den Blick frei in einen Hinterhof irgendwo auf der Welt. Das ist der Ort, in dem die Geschichte um Verrat, Tod und Verklärung spielt. Links und rechts große Treppen, die aus dem Rang auf die Bühne führen: Von hier aus sieht Maria Magdalena das erste Mal Jesus, von hier erscheint Pontius Pilatus, von hier kommentieren die 3 Soul-Girls die Geschichte, von hier beobachtet zu Beginn Judas Ischariot das Treiben.

Previn Moore ist Judas. Previn Moore ist ein schwarzer Judas wie seinerzeit Ben Vereen in der New Yorker Uraufführung. Musikalisch scheint dies durchaus von Bedeutung zu sein, denn bereits bei seinem Auftrittslied „Zuviel Himmel in den Köpfen“ nutzt er die Gelegenheit, wunderbar zu improvisieren. So ist es denn auch in Folge, wenn Moore auf den schwarzhäutigen Jesus (Woodrow Thompson) trifft, ein Rockfest der Stimmen. Thompson verleiht seinem Jesus eine Würde, die eine Aura von eigener Kraft hat. Sein Kreuztod, fast hyperrealistisch inszeniert, in Licht getaucht, das an die Alten Meister erinnert, wirkt dennoch nicht pathetisch überzogen, sondern läßt Betroffenheit wach werden: Ein Funken Verstörtheit für den Nachhauseweg. Angela Mehling (alternierend mit Sabine Töpfer) als Maria Magdalena versucht erst gar nicht altbekannte
Interpretationsmuster zu kopieren. Ihr „Wie soll ich ihn nur lieben“ hat eine anrührende Schlichtheit und deshalb Qualität.

Diese Inszenierung lebt weniger von gewagten Regieeinfällen, sondern vielmehr von der musikalischen Leistung der Darsteller. Jede Szene steht für sich, manchmal stockt der Erzählfluß, manchmal fällt die Szene aus dem Rahmen, aber immer sind es die Sänger, die überzeugen. Einen so tiefen Kaiphasbaß, der das Auditorium erstarren läßt, hört man selten: Folker Herterich in Höchstform. Auch Karl Zugowski als Altrocker Pontius Pilatus ist überwältigend in seinem Zweifel; das hat Format, wenn plötzlich Machtfiguren menschlich werden. Milko Milev macht Herodes zum abgedrehten (bekifften?), Charleston tanzenden Gecken. Daß der Chor der Musikalischen Komödie außerordentlich ist, war schon bekannt, daß aber gerade ein Stück wie „JCS“ offenbart, mit welchem Einsatz diese Truppe agieren kann, ist sicher nicht allein Wolfgang Horn zu danken.

Ralph Rank ist ein sensibler Begleiter, der den Abend mit dem Orchester der Musikalischen Komödie sehr nuanciert leitet. Wäre da nicht eine miserable Tonanlage, die den Klang nur eindimensional vermittelt, hätte der Abend CD-Qualität.

(Lutz Hesse)

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