„flüchtig und künstlich“

Ein Nachkonzert mit Gustav Leonhardt am Cembalo

Ein Auftritt von Gustav Leonhardt ist immer ein besonderes Ereignis. Schon eine Stunde vor Öffnung des Konzertsaales stehen internationale Freunde historischer Tasteninstrumente wacker vor der Eingangstüre, um sich bei der Lehrstunde des Altmeisters die begehrten Plätze zwischen Reihe eins und fünf zu sichern.

Die Erwartungen eines solchen Leonhardt-Verehrers sind natürlich enorm hochgeschraubt, hat er doch in der Regel von den Händen des Meisters gespielt fast alles auf runden schwarzen und silbernen Scheiben, was BWV-Nummern zwischen 772 und 1006 aufweist (nicht zu vergessen den Leckerbissen BWV 1080 und natürlich die Jahrhunderteinspielungen von 1052-1065), im heimischen Regal ständig abspielbereit. Trotzdem war das klangliche Ergebnis an diesem Abend schlichtweg phänomenal.

Leonhardts Reflektionen über das Rahmenthema des diesjährigen Bachfests gestalteten sich in einem Programm, das den Thomaskantor lediglich mit einer Suite vertreten, bewußt in einen Abriß von ca. 50 Jahren französischer Cembalomusik einbettete. Der äußere Rahmen dazu war mit einem jener taktlos notierten Preludes von d’Anglebert (1689) und verschiedenen Pieces de clavecin von Rameau (1701 u. 1733) abgesteckt. Im Zentrum des Konzertes standen sich hingegen eine Suite von Louis Marchand und die zweite Französische Suite von Bach gegenüber.

Mit dem Hinweis darauf, daß Bach einst die Werke des „geflüchteten“ Marchands gegenüber Jacob Adlung als „in seiner Art, sehr flüchtig und künstlich“ charakterisiert hatte, begann Leonhardt seine tiefgehende Auseinandersetzung mit beiden Komponisten. Natürlich zeigt sich in Bachs Suite ein weiteres Spektrum an harmonischer, polyphoner und rhythmischer Gestaltung und doch gerät auch Marchands Suite unter Leonhardts Händen keinesfalls als flüchtig im modernen Sinne, vielmehr liefert sie den soliden und durchaus inspirierten Nährboden, aus dem Bachs halbes Dutzend jener französierenden Meisterwerke hervorgegangen ist.

Beide Stücke interpretierte Leonhardt in seinem Stil, der sich – und das ist ein Kompliment – über die letzten vierzig Jahre nicht wesentlich geändert hat: konsequente Achtung und Umsetzung des vorhandenen Urtextes, Entwicklung der Stücke von innen heraus ohne Effekthascherei mit darüber hinausgehenden ausgreifenden Verzierungen und sich abnutzenden dynamischen und rhythmischen Betrügereien sowie eine beispiellose Anschlagskultur. Sein Spiel wirkt daher kaum noch als Interpretation, sondern vielmehr als Klang gewordener Urtext. Und doch ist es unmerklich Leonhardts Gestaltungskunst, die aus dem scheinbar sterilen Cembaloklang vielfältige Gestaltungsvarianten zaubert und großflächig Bögen und Phrasen akzentuiert, die gerade eingefleischte Originalklanggegner dem guten alten Clavier häufig absprechen wollen.

So geriet etwa die Sarabande aus Bachs 2. Französischer Suite gerade in der Herausstellung ihrer Schlichtheit zu wahrhafter, sich nicht verflüchtigender Größe und nicht zuletzt zu einer Artikulationslehrstunde über die „wahre Art das Clavier zu spielen.“ Bei den schnelleren Teilen der Suiten vermied es Leonhardt, im trüben zu fischen, d.h. tiefschürfende subjektive Empfindungen aufzudecken. Vielmehr bleiben die Stücke zu allererst Tänze, deren Charaktere es trotz reicher Ornamentik und Stilisierung beizubehalten gilt. Jedes winzige Ritardando und jede unmerkliche Beschleunigung ist dabei genau abgestimmt und wirkt doch spontan und natürlich.

Eine gewisse Strenge bis hin zur Pedanterie im Spiel, die man dem auf der Bühne doch recht reserviert wirkenden Leonhardt in den 80er Jahren nachsagte, scheint mittlerweile einer durchdachten und geschmackvollen Gelassenheit gewichen zu sein. Besonders deutlich wurde dies in den abschließenden Charakterstücken Rameaus, die spieltechnisch noch einmal die Anforderungen erhöhten. Souverän und präzise meisterte der „weiße Earl“ die rhythmischen Finessen und die diffizile Ornamentik dieser Werke, ohne dabei mit überzogener Artikulation und Virtuosität auftrumpfen zu wollen. Gekonnt stellte er dabei den vom Komponisten augenzwinkernd umgesetzten sinfonischen Ansatz etwa des Menuetts heraus. Ein Wunder, daß nur der Holländer selbst bei den rhythmischen Hexereien Rameaus das Stampfen mit den Füßen nicht vermeiden konnte. Erst bei dem weitschweifigen L’enharmonique nimmt sich Leonhardt gelassen Zeit, die geistreichen Mißachtungen und Überdehnungen harmonischer Gesetzmäßigkeiten planvoll herauszustellen.

Begeisterter Applaus, der vom Meister mit der rätselhaften c-moll Sarabande aus BWV 997 belohnt wurde. Und dann verflüchtigte er sich…

Nachtkonzert

Gustav Leonhardt – Cembalo

Werke von Jean Henry d’Anglebert, F. Couperin,
Luis Marchand, Johann Sebastian Bach und Jean-Philipp Rameau

10. Mai 22.30 Uhr im Konzertsaal der Musikschule „Johann Sebastian Bach“

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