Amerika

Ein Konzert mit dem Sinfonieorchester der Hochschule

Amerika. So heißt das Konzert des Orchesters der Hochschule und von den drei mit Amerika verbundenen Werken gibt es einmal neoklassizistischen Strawinsky und zweimal vom Jazz inspirierte Meisterwerke. Das Hochschulorchester präsentiert sich erneut in spielfreudiger Verfassung, animiert und sicher geleitet von den Dirigenten Michael Köhler (Strawinsky, Milhaud) und Christian Kluttig (Bernstein).

Igor Strawinskys Concerto in Es für Kammerorchester, „Dumbarton Oaks“ genannt nach dem Wohnsitz der Kunstmäzene Mr. und Mrs. Bliss, die dieses witzig spritzige und liebenswert groteske Konzert in Auftrag gaben, ist meisterhaft neoklassizistisch. Und es ist, typisch für Strawinsky, stark von einem motorischen Rhythmus geprägt. Alle 15 Instrumentalisten sind quasi Solisten und sie treten mit einander in Dialog und Wettstreit. Vor allem die plastische und sehr farbige Instrumentation zeigt Strawinskys kompositorisches Können.

„Le Creation du Monde“ („Die Erschaffung der Welt“) von Darius Milhaud hat einen legendären Ruf. Wenn Leonard Bernstein sich „die Freiheit nimmt, dieses Werk ein Meisterwerk zu nennen“, so weiß er, wovon er spricht. Darius Milhaud hat seinem Ballett ein Programm mitgegeben, nach dem man sich das Tanzgeschehen lebhaft vorstellen kann, aber auch ohne dies sind die Charaktere in seiner Musik unmittelbar erfahrbar und erlebbar. Die Ouvertüre ist eher lyrisch, aber schon im zweiten von sechs Teilen (Das Chaos vor der Schöpfung) schleichen sich Jazzelemente ein, sogenannte „blue notes“, und synkopische Tanzrhythmen im Schlagzeug. Natürlich verwendet Milhaud für den damaligen Jazz ungewöhnliche Instrumente, aber sie machen gerade den Reiz seiner Musik aus. Und dann kommt immer wieder ein für uns heute altbekanntes Thema („Good Evenin` Friends“), welches nur ein Jahr später Gershwin in seiner „Rhapsody in blue“ (1924) endgültig konzertsaalfähig machte und das zum Standartjazzrepertoire gehört. Bernstein nennt Milhauds Musik eine echte Liebeserklärung an den Jazz und das ist sie wahrhaftig.

Leonard Bernstein hat seine 2. Sinfonie „The Age of Anxiety“ („Die Zeit der Sorge, Beklemmung“) nach einem Text von H. W. Auden komponiert. Er hat selbst Erklärungen zu den insgesamt sechs Abschnitten geschrieben, in denen er die Situation von vier Protagonisten erzählt, die, vom Leben verunsichert, ihre Konflikte miteinander austragen. Lebensnahe Situationen tun sich vor dem Ohr der Zuhörer auf. Doch auch wer die Erläuterungen nicht vorher liest, wird von der plastischen und charaktervollen Musik in ihren Bann gezogen.

Die Spannungsbögen in diesem quasi Klavierkonzert sind weit und reichen von extremer Einsamkeit (einzelne Instrumente zeichnen abstrakte Melodiefetzen) bis hin zu launigem Jazz aller Instrumentengruppen. Zwei einsame Klarinetten eröffnen den Prolog, das Soloklavier beginnt in einfühlsamer Weise zu erzählen und nach einer über die gesamte Tastatur reichenden, sich abwärts bewegenden Skala beginnt die Musik später lebhaft, dann motorisch und laut zu werden. In Erinnerung bleibt besonders der jazzige zweite Teil, bei dem im „Masque“ (Maskenball) plötzlich Klaviermusik wie aus der Ferne (und ein wenig mechanisch) klingt. Da ist es plötzlich nicht der sicher jazzende Hagen Schwarzrock am Flügel, sondern ein Orchesterklavier, welches in überraschender Weise mit dem Soloklavier in einen Dialog tritt. In Erinnerung bleibt auch typischer Bernstein, wie man ihn aus der späteren West-Side-Story kennt, mit seiner atmosphärischen und charaktervollen Musik. Bernsteins Musik ist farbig und abwechslungsreich und manchmal sehr extrem instrumentiert. Und sie bietet volle Entfaltungsmöglichkeiten für das Orchester.

Es macht Freude, die Konzerte im großen Saal der Musikhochschule zu erleben. Die Saalatmosphäre war einfach perfekt. Gern vergessen wir, dass die Holzbläser intonatorisch nicht immer perfekt waren oder dass im Strawinsky am Schluss die Hornpartien in großer Höhe geblasen hörbare Schwierigkeiten verursachten. Das Publikum war so gespannt, dass jede auf die Bühne tretende Person (seien es in den Umbaupausen helfende Geister aus dem Hintergrund oder eine zu spät gekommene Instrumentalistin) extra Applaus bekam. Sogar bevor man Christian Kluttig vor dem Bernstein überhaupt auf die Bühne treten sah, löste sich die Anspannung in spontanen Beifall. Und der lange Schlussapplaus nach der Bernstein-Sinfonie galt nicht nur dem einfühlsam und sicher spielenden Solisten Hagen Schwarzrock (Klavier), sondern allen Beteiligten gleichermaßen.

Als Gesamteindruck bleibt ein sehr schönes Konzert, das mit kraftvollen Blechbläsern, Tamtam und Glocken in der 2. Sinfonie von Leonard Bernstein einen pompösen, aber ehrlich hoffnungsvollen Abschluss fand.

„Amerika“

Sinfonieorchester der Hochschule
Solist: Hagen Schwarzrock (Klavier, Klasse Prof. Christoph Taubert)
Dirigenten:
Michael Köhler (Strawinsky, Milhaud)
Christian Kluttig (Bernstein)

Igor Strawinsky (1882?1971)
Concerto in Es für Kammerorchester „Dumbarton Oaks“ (1937/38)

Darius Milhaud (1892?1974)
„Le Creation du Monde“ („Die Erschaffung der Welt“) (1923)

Leonard Bernstein (1918?1990)
2. Sinfonie „The Age of Anxiety“ („Die Zeit der Sorge, Beklemmung“) (1949)
Jazz in Concert

17. Mai 2002, Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“, Großer Saal

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