Film mit Live-Score: „Der Golem” (Bernhard Brandner)

Freitag, 24. Mai 2002

Zeitloses im Union-Theater Connewitz:
Der Golem, wie er in die Welt kam (Paul Wegener, 1920)
mit Live-Score von DJ Juggler und Hansi Noack (2002)

Ich habe genug von Turnschuhen, genug von Tennissocken, Plastikschlappen, Batterien von Bierdosen, Pfadfinderlieder grölenden Vereinspsychopathen um 2 Uhr morgens und ich habe genug von Jogginganzügen aus Waschseide und Polyester – nach einer Woche „Turnfest 2002“ denke ich an Winston Churchill und verspüre das Verlangen nach etwas Zeitlosem, im Idealfall gepaart mit Moods mild, trockenem Rotwein und…

no sports!Freitag, 24. Mai, 20.30, Bob Dylan wird 60 (mein Gott, ich bin alt…), der Saal des UT Connewitz ist kühl, der Verfall noch immer offensichtlich, aber wen stört das wirklich? Anscheinend bin ich nicht der einzige, den das Turnfest und alles was damit verbunden ist aus Biergärten und Straßencafés fernhält. Das UT füllt sich trotz der sommerlichen Temperaturen relativ schnell. Da ist der Punk schräg vor mir, dessen Pullover mehr Löcher als Gewebe hat, da ist dieses liebevolle mittelständische Pärchen – „Laß uns nen Weißen trinken, Schatz!“ -, da ist die blasse Gothic-Queen, die stille Schönheit ohne Begleitung – Who’s gonna take You home tonite?, der Pulk intellektueller Cineasten – Don’t know much about history, da sind die Schrägen, die Biederen, die Durchschnittlichen, und da bin ich. Mit trockenem Rotwein im Pappbecher und Moods. Fehlt nur noch das Zeitlose, aber auch das wird kommen…

Paul Wegener schuf mit Der Golem, wie er in die Welt kam 1920 den Prolog zu seinem 1914 in Co-Regie mit Henrik Gaalen entstandenen Der Golem:

Die Demütigung der Juden in einer namenlosen mittelalterlichen Stadt erreicht ihren Höhepunkt, als der Gemeinde per kaiserlichem Dekret nahegelegt wird, das Ghetto bis zum nächsten Neumond zu räumen. Rabbi Löw, Gemeindeältester und Kundiger der Talmud-Geheimnisse erinnert sich an eine obskure Zauberformel, die, sobald sie dem dunklen Fürsten Azartoth entrungen wurde, alle toten Dingen Leben einzuhauchen vermag. Aus einem Lehmklumpen formt der Rabbi das Abbild eines Menschen – den Golem. Anstelle eines Herzens trägt die Kreatur einen silbernen Davidstern, in dem ein Papierstreifen mit der lebensspendenden Formel versteckt ist. Die Konstellation der Planeten ist günstig, sowohl die Seite des Lichts, als auch die der Schatten erhört die Gebete – der Golem erwacht zum Leben, um seinem Schöpfer zu dienen. Zusammen mit seiner willigen Kreatur bricht Rabbi Löw zum kaiserlichen Palast auf, wo ihm die Chance gegeben wird, für sein Volk zu sprechen. Der Rabbi läßt die Geister sprechen und warnt sein ungläubiges Publikum, nicht zu lachen, egal was es auch sehe – unvorstellbares Unglück könne sonst geschehen. Der Hofnarr bricht das Versprechen und steckt den ganzen Thronsaal mit seinem Gelächter an. Die Prophezeiung des Rabbi erfüllt sich in Form einer einstürzenden Decke, die alle Anwesenden unter sich zu begraben droht. In letzter Sekunde befiehlt Rabbi Löw dem Golem, die Decke zu halten und rettet so Kaiser und Hofstaat das Leben. Der Regent zeigt seine Dankbarkeit, indem er das Wohnrecht der jüdischen Gemeinde verlängert und der Rabbi kehrt rechtzeitig heim, um dem Golem das unheilige Leben wieder zu nehmen, bevor er sich gegen seinen Herren wenden kann…

Zu kurz?
Zu straight?
Richtig.

Das wußte auch Paul Wegener und führte ein Stilmittel ein, das bis heute in unveränderter Form ein beliebter Handlungsstraffer ist – die „unglückliche Liebesgeschichte“. Mittlerweile haben wir sie in jeder nur erdenklichen Ausführung, in jedem möglichen und unmöglichen Rahmen gesehen. Sie macht Historienschinken ein wenig nachvollziehbarer, versüßt uns so manchen Flugzeugabsturz und macht Erdbeben, Flutwellen und Hurrikans ein wenig erträglicher. Wir kennen sie als gleichgeschlechtliche Annäherung aus den 80ern, als neues Glück geschiedener Paare aus den 70ern, und so weiter und so weiter. In der Regel ist es der Kampf um eine Verbindung, die unter den jeweiligen gesellschaftlichen Normen nicht sein darf.

In Der Golem, wie er in die Welt kam finden Miriam, die Tochter des Rabbi und der Junker Floriano, seines Zeichens Botenjunge des Kaisers, zueinander. Eine gläubige Jüdin und ein Go’jim? Genug Zündstoff für einen Skandal. Erschwerend kommt hinzu, daß Floriano in der Nacht, in der der Golem den Kaiser rettet, nicht nur den Weg in Miriams Herz, sondern auch in ihr Bett findet. Noch erschwerender wiegt die Tatsache, daß wir zu Beginn des Films Zeuge sein durften, wie Miriam, durch und durch Flittchen, dem Eleven ihres Vaters schöne Augen macht. Als Alles im Lot zu sein scheint übernimmt die Eifersucht die Macht über die Handlung.

Die Gemeinde ist zum Dankgebet in der Synagoge versammelt, als der Famulus den Nebenbuhler in Miriams Schlafkammer entdeckt. Ohne zu überlegen setzt er dem Golem den Davidstern wieder ein und hetzt ihn auf seinen Widersacher. Es geschieht was geschehen muß – seinem Befehl zum letzten Mal gehorchend tötet der Golem Floriano und folgt von da an seinem eigenen Willen. Er raubt die ohnmächtige Miriam und setzt das Haus des Rabbi in Brand. Vor den Toren des Ghettos trifft er auf die einzige Person, die nicht vor seiner schrecklichen Erscheinung flieht – ein kleines Mädchen. Lächelnd nimmt er das Kind auf den Arm, als die Kleine den Davidstern bemerkt und anfängt, damit zu spielen. Der Stern löst sich und die Lebens- und Willenskraft des Golem erlöschen. Was Zaubermacht und Gebete nicht vermochten (schon der Rabbi hatte Schwierigkeiten, dem Golem dem Stern abzunehmen), bringt ein Kind zuwege..

Die Unschuld tötet das Ungeheuer.

Wegeners Der Golem, wie er in die Welt kam ist ein Paradebeispiel für solide, zeitgemäße und publikumsfreundliche Handwerkskunst. Die Darreichung ist brav, sicher und ohne eventuell ?abschreckende? Neuerungen. Nicht einmal der Kameramann Karl Freund läßt etwas von seiner späteren Genialität, die er später in The Cat and The Canary oder The Mummy zeigte, erahnen. Es liegt mir fern, dem Cineasten sämtliche Illusionen zu rauben: Filmhistorisch ist Der Golem, wie er in die Welt kam ein unbestritten wichtiges Werk. Allerdings sehe ich keinen Sinn darin, jeden Film, der älter als siebzig Jahre ist, in die Ruhmeshallen unerreichter Kunst zu erheben. Sehen Sie es einmal so: Hätte es 1920 die „Mainstream“-Schublade schon gegeben, Der Golem, wie er in die Welt kam hätte bestens darin Platz gehabt. Zusammen mit unzähligen anderen Werken, die einfach nur unterhalten…Unterhaltung.
Zu oberflächlich für Sie?
Armer Mensch!

Wie gesagt, ich sehe Paul Wegeners Der Golem, wie er in die Welt kam als historisch interessanten, unterhaltsamen Film und ich habe ihn auch gestern wieder genossen. Er war schließlich dieses Stück Zeitlosigkeit, das zu den Moods und dem Rotwein noch gefehlt hatte. DJ Juggler zeigte uns wieder mit sicherer Hand, daß alte Bilder und moderne Töne durchaus miteinander harmonisieren können. „Er wächst mit jedem Mal“, sagte mir einer der Betreiber des UT Connewitz, und ich kann ihm da nur zustimmen. Diesmal wurde er verstärkt durch Hansi Noack von Decadence, der seine Instrumentierung der Bilder ebenfalls live beisteuerte. Anfangs schien es zwar, als würde Noack sowohl den Film als auch Jugglers Beats mit einem deutlich zu schweren, zu aufdringlichen Soundteppich überdecken, aber nach etwa fünfzehn Minuten hatten sich die beiden aufeinander und auf den Film eingespielt. Im Rahmen eines solchen Experiments – ohne große Probephase im Vorfeld – fallen derartige anfängliche Unstimmigkeiten auch kaum ins Gewicht. Viel mehr zählt die Tatsache, daß innerhalb der 85 Filmminuten drei relativ ungleiche Komponenten – ein DJ, ein Musiker und ein Stummfilm – den für sie kleinsten gemeinsamen Nenner gefunden haben, ohne die jeweils anderen damit auszuspielen, und daß es alles in allem wieder einmal ein gelungener Abend war – im UT Connewitz.(Bernhard Brandner)

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