Mein Leipzig lob` ich mir…

Das Ensemble „Sortisatio“ feiert zehnjährige Bestehen mit einem Jubiläumskonzert

…,denn es gibt an einem einzigen Tag zwei Konzerte mit Neuer Musik. Da hat das Jahr 365 Tage oder 52 Mittwoche und trotzdem fallen das 6. musica-nova-Konzert und das Jubiläumskonzert des Ensembles „Sortitatio“ wie zufällig übereinander. Schade für die Neue Musik in Leipzig.

So viel wie „zufällig“ bedeutet auch der Name des Geburtstagskinds „Sortisatio“, dessen Musiker sich 1992 zufällig zusammenfanden und ein außergewöhnliches Quartett mit Fagott, Viola, Englisch Horn und Gitarre gründeten. Es ist sicher kein Zufall, dass dieses Ensemble nun schon seit zehn Jahren existiert, da es von engagierten Musikern und Organisatoren geleitet wird. Und es ist auch kein Zufall, dass es sich der zeitgenössischen Musik widmet. Den vier Musikern bleibt ja nichts weiter übrig, als für diese ungewöhnliche Besetzung Stücke zu bestellen, da es zu Gründungszeiten fast keine Literatur für sie gab. So kann man neben dem in zehn Jahren gewachsenen Repertoire auch heute noch regelmäßig Uraufführungen präsentieren.

Was nun bot dieses Jubiläumskonzert im Oberlichtsaal der Leipziger Stadtbibliothek? Mit Sicherheit höchst professionelle Interpreten und dazu drei Uraufführungen, darunter Musik mit Subwoofer und Tonband (Heyde).

Die „Orpheus-Fragmente III“ (1995) des bekannten Hallischen Komponisten Gerd Domhardt (1945-1997) sind interessant durch ihre häufig miteinander korrespondierenden Linien. Die vier Instrumentalisten (Englisch Horn, Fagott, Viola und Gitarre) befinden sich an den vier Seiten des Oberlichtsaales und man wundert sich zunächst, dass sie trotz des offensichtlich schlechten Sichtkontaktes so gut zusammenspielen. Grund dafür ist, dass es vier Solostücke sind, die als Quartett gespielt werden. Das scheint auch den Titel „Fragment“ näher zu erklären. Klanglich fällt auf, dass neben Mikrointervallen kaum schneidende Dissonanzen zu hören sind. Die Gitarre wird vielfältig eingesetzt, ist nicht nur reines Akkordinstrument, sondern bildet auch flächige Strukturen aus. Das Ende ist sehr offen und nachdenklich machend. Die Komposition gehört zu dem Werkzyklus „Orpheus.Fragmente“, an dem der Komponist in seinen letzten Lebensjahren arbeitete und in dem die Gitarre eine zentrale Rolle spielt.

In Thomas Böttgers (*1957) „Danse oubliee“ (1998, UA) dominieren zwar sich ständig wiederholende Rhythmen. Sie liegen jedoch weit entfernt von der im Programmheft angekündigten Impulsivität afrikanischer Rhythmik. Ein insgesamt klanglich beliebiges Stück (d.h., es sind Klänge, die im Gedächtnis des Hörers nicht haften bleiben, die zu viele, beliebig wirkende Farben verwenden) und dem man auch sein „subtil kalkuliertes harmonisches System“ nicht anmerkt.

Thomas Christoph Heyde (*1973) ist bekannt für provokante Kompositionen. So möchten auch seine „Apparationen VI“ (Wellen vom Untergrund) aus dem Jahr 2002 (UA) Ungewöhnliches erschließen. Heyde nimmt wummernde Bässe im Tonband, lässt darüber das reale Fagott repetierende Töne und Melodiefragmente in höchsten und tiefsten Lagen spielen, aber körperlich zu spüren waren diese Bässe des Subwoofers, wie im Programmtext angekündigt, nicht. Lediglich die Länge des durchaus konsequenten, aber mit der Zeit witzig?banal werdenden Stückes (12 Minuten) und das im dritten Teil deutlich in die elektronischen Klänge eingearbeitete menschliche Stöhnen (Heyde gibt selbst das Stichwort „erotisches Stück“) könnten provozierend wirken, tun es jedoch, weil schon erwartet, nicht. Wenn der Fagottist dann zum Ende hin aufsteht und, sein Instrument zu den glockenähnlichen elektronischen Klängen weiter spielend, die Bühne in Richtung Künstlergarderobe verlässt, kann man ernüchtert feststellen: dieser Kniff ist wahrlich nicht neu.

Man nehme einen fremdsprachigen Titel, erzähle dazu eine spannende Geschichte aus Australien, assoziiere skurrile Bilder von Paul Klee und fertig ist „Shark, Turtle, Ray I“ (Hai, Wasserschildkröte, Rochen I, 1998/99) für Gitarre, Oboe und Bratsche von Michael Schneider. Das klangliche Ergebnis zeigt uns einen Komponisten, der sehr wohl mit den technischen Raffinessen und klanglichen Möglichkeiten der drei Instrumente umgehen kann. Mehr als eine Etüde über „Wie komponiert man instrumentale Effekte“ konnte es trotzdem nicht sein.

Der Titel bei Michael Flades (*1975) dem Ensemble „Sortisatio“ gewidmeten „wechselnd, verwoben, zuzeiten gelassen I“ (2002, UA) weckt reges Interesse. Er ist auch gut in der Musik umgesetzt. Allerdings sind die detailliert erklärten Strukturen im Programmheft für den Hörer so nicht wahrnehmbar, so dass die Musik oft relativ fragmentarisch wirkt. Der Schluss ist offen und überlässt den Hörer erneut seinen Gedanken nach dem Titel des Werkes.

Am Schluss des Konzerts erklingt dann ein sehr interessantes Stück von Jean Louis Petit („Sortisatio I“, 1996). Der Titel ist sehr passend, denn die Instrumente scheinen sich wirklich zunächst wie zufällig zu begegnen. Aber Petit belässt es nicht bei dieser Zufälligkeit. Die vier unterschiedlichen Instrumente finden in langen Entwicklungsbögen tatsächlich zueinander und entwickeln eine bis dahin im Konzert noch nicht gehörte Klangwucht.

Nach dem Konzert drängt sich mir die Frage auf, wie viel ein Komponist zu seinem Werk erklären muss und wieviel dann davon zu hören ist. Welchen Einfluss hat dies auf den Hörer, oder hat es überhaupt einen? Sollte nicht Musik auch heutzutage aus sich selbst heraus wirken, auch wenn ein ausgeklügeltes System dahinter steckt. Entweder hört man solch ein System nicht und die Musik wirkt trotzdem in sich konsequent, dann wird sie sofort erfassbar. Anderenfalls ruft sie neben Verwunderung sogar Unverständnis hervor. Oder ein System ist klar erkennbar und erschließt sich dem Hörer allein schon deshalb sehr schnell. Beide Möglichkeiten erklangen im Jubiläumskonzert des Ensembles „Sortisatio“ und zeigen die Vielfalt der Komposition zeitgenössischer Musik.
Jubiläumskonzert 10 Jahre Ensemble „Sortisatio“

Veranstalter: Forum Zeitgenössischer Musik Leipzig e. V.Ensemble „Sortisatio“
Walther Klingner (Oboeninstrumente)
Axel Andrae (Fagott)
Matthias Sannemüller (Viola)
Thomas Blumenthal (Gitarre)

Werke von:
Gerd Domhardt, Thomas Böttger, Thomas Christoph Heyde, Michael Schneider, Michael Flade und Jean Louis Petit

5. Juni 2002, Oberlichtsaal der Stadtbibliothek

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