Ein würdiger Gewandhaus-Saisonabschluß mit Werken von Mozart und Mahler
Mozarts frühes Klavierkonzert KV 271 ist nach der Klaviervirtuosin benannt, die das Werk 1777 in Auftrag gegeben hatte. Besonderheiten weist es im Verhältnis des Soloparts zum Orchester sowie im Spiel mit überraschenden melodischen und harmonischen Wendungen auf. Diese kostete Leif Ove Andsnes weidlich aus, vor allem in den Kadenzpassagen. An den Übergängen zu den Ritornellen kam das Orchester unter Herbert Blomstedt allerdings gelegentlich tempomäßig nicht mit, was sich bereits ganz zu Beginn des Werkes andeutete. In diesen Momenten wirkte das Spiel von Andsnes etwas hastig, vor der Zeit, obwohl sein brillantes und ansonsten präzises Spiel keinen Zweifel daran ließ, daß er den technischen Anforderungen des Stücks jederzeit gewachsen war. Im langsamen Mittelsatz begleiteten die Musiker des Gewandhauses sehr homogen, wunderbar leise und – insbesondere in den Baßlinien – sehr klangsensibel. Der Solist setzte mit höchst ausgefeilter Dynamik wunderschöne Spannungsbögen darüber. Im abschließenden Rondo glänzte Andsnes wieder mit geschmeidigem Spiel und der für Mozart-Interpretationen so wichtigen Verbindung von Gelassenheit und Spannung.
Während Blomstedt sich bei dem Klavierkonzert sehr zurückgehalten und auch keine interpretatorischen Überraschungen geboten hatte, ging er nach der Pause bei Mahler mehr aus sich heraus und forderte mit einem Elan, der selbst das über ihm hängende Mikrofon in Bewegung versetzte, seinen Musikern immer wieder eine prächtige Klangfülle ab. Heraus kam eine gelungene Aufführung, die zu Vergleichen mit den großen Interpretationen dieses Werks einlädt.
Gleich der Beginn der ersten Abteilung offenbarte allerdings Schwächen. Der solistische Trompeteneinsatz war nicht wirklich sicher, und was sich bereits bei Mozart angedeutet hatte, wurde hier deutlich hörbar: In den rhythmisch schwierigen, wechselhaften und von Mahler stark überzeichneten Passagen konnte Blomstedt sein Orchester mitunter nicht zusammenhalten. Es wackelte und erweckte den Eindruck, der Dirigent habe es versäumt, den Musikern diese Passagen in ihrer Komplexität verständlich zu machen. Durch die fehlende rhythmische Souveränität verloren gerade die ins Derbe gehenden Partien ihren Reiz und auch das „Wogen“ im zweiten Satz hätte wirkungsvoller sein können. Daß die Musiker dennoch bester Spiellaune waren, erwies sich beispielsweise an den unglaublich transparenten Differenzierungen der von Mahler verselbständigten Themen und ihrer Variationen, an der berückend schön gespielten Cello-Kantilene im zweiten Satz und an den durchweg tadellosen Hörnern, deren erstes Pult die etablierten Sorgen des Auditoriums vor schwierigen Horn-Einsätzen vergessen ließ.
Auch im dritten Satz klangen die lyrischen Passagen sehr ausdrucksvoll, waren die Pizzicati synchron. Leider gelang es Blomstedt nicht, das Scherzo wirklich „schmissig“ in Gang zu bringen, was für diesen Satz schade ist, da er auch aufgrund der besonders deutlichen collageartigen Anlage für das Werk von zentraler Bedeutung ist.
Diese Schwächen traten im berühmten „Adagietto“ wegen des kaum durchbrochenen Zusammenhangs in den Hintergrund, und der leise ausklingende Schluß gelang so grandios, daß es selbst den überdurchschnittlich zahlreich anwesenden Hüstlern im Publikum den Atem verschlug. Einige davon verließen nach diesem falsch verstanden Höhepunkt „kulinarischer Sentimentalität“ (Adorno) zufrieden den Saal, wodurch ihnen ein fulminanter Schluß entging, mit beeindruckend aufspielenden Kontrabässen und hervorragend abgestufter und wirkungsvoller Dynamik.
Vor allem ist es Blomstedt und dem Gewandhausorchester eindrucksvoll gelungen, erneut jenes Mißverständnis auszuräumen, dem schon Paul Hiller in der Rezension der Uraufführung aufsaß, indem er von „Mache“ und dem „auf alle musikalische Logik verzichtenden Tongemenge“ sprach. Durch ihr Spiel haben die Musiker die Mahlerschen Strukturen transparent gemacht, ohne daß die Sinnlichkeit der Musik auf der Strecke geblieben wäre.
Nach lang anhaltendem Applaus ging dieses letzte Konzert der Gewandhaussaison mit der Überreichung eines neuen Instruments an das Orchester zu Ende: Der Freundeskreis des Gewandhauses präsentierte ein mit 32.000 Euro und damit zu 80% gesponsertes Kontrafagott, das mit dem Thema des Großvaters aus Prokofieffs „Peter und der Wolf“ als kleine Soloeinlage den endgültigen Schlußpunkt setzte.
W. A. Mozart: Klavierkonzert Es-Dur KV 271 („Jeunehomme“)
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 5
Gewandhausorchester
Dirigent: Herbert Blomstedt
Solist: Leif Ove Andsnes, Klavier
Donnerstag, 20. Juni 2002, Gewandhaus, Großer Saal
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