Kraftvoll, dramatisch, packend

Leipziger Oratorienchor begeistert mit Mendelssohns „Elias“ in der Heilig-Kreuz-Kirche Neustadt

Die reiche Kantoreienlandschaft Leipzigs beschert hiesigen Musikliebhabern auch abseits der heiligen Hallen an Augustusplatz und Thomaskirchhof immer wieder gelungene Aufführungen anspruchsvoller Kirchenmusik und vokalsinfonischer Werke. Am hochsommerlichen Samstagabend bat nun der Leipziger Oratorienchor zu Mendelssohns „Elias“ nach „Heilig-Kreuz“. Vor allem mit den zum Repertoire gehörenden Bachschen Passionen und Oratorien hatte sich dieses Ensemble seit 1993 einen vorderen Platz unter Leipzigs Chören ersungen.

Diesmal sollte also das oftmals als größtes Oratorium des neunzehnten Jahrhunderts bezeichnete Werk des Bach-Wiederentdeckers Felix Mendelssohn Bartholdy erklingen, in welchem er sich endgültig von den barocken Vorbildern löst und, auf erzählende Rezitative sowie Choräle gänzlich verzichtend, zu einer ganz eigenen, höchst dramatischen Tonsprache und Ausdruckskraft findet. Der geniale Situationsbildner Mendelssohn, dessen Musik einer szenischen Umsetzung überhaupt nicht bedarf, beglückt aber gleichzeitig durch lyrische Betrachtungen von tiefster Innigkeit und Schönheit.

Im Mittelpunkt steht der alttestamentliche Prophet Elias, der hart gegen den unheilvollen Götzenkult des Baal vorgeht. Nach drei Jahren Dürre und Hungersnot, die er angekündigt hat und die musikalisch großartig geschildert werden, gipfelt die Auseinandersetzung in einem Gottesurteil auf dem Berg Karmel, wo er Volk und König vorübergehend wieder zu dem einen Gott Jahwe bekehren kann. Doch kaum hat es wieder geregnet, wendet sich die Stimmung erneut gegen ihn. Die Manipulierbarkeit der Masse tritt hier textlich und musikalisch so greifbar zu Tage, dass es an Aktualität kaum zu überbieten ist. Elias flieht nun in die Wüste und möchte sterben. Seine Arie „Es ist genug“ zählt dabei zu dem Berührendsten, das Mendelssohn je geschrieben hat. Durch Engel wieder aufgerichtet, wandert Elias zum Berg Horeb, wo eine Gottesbegegnung sein Bild vom unsichtbaren Schöpfer verändert und ihm neue Perspektiven vermittelt. Das Werk schließt mit der Entrückung des Propheten und einem Ausblick auf den verheißenen Messias.

Dies alles umzusetzen hat sich Martin Krumbiegel mit den etwa 80 Choristen vorgenommen und überrascht noch vor Beginn mit Außergewöhnlichem: Im Blechbläsersatz des Orchesters kann er mit historischen Posaunen, Naturhörnern und Ophikleide (eine Vorgängerin der Basstuba) aufwarten. Und damit man’s nachher nicht überhört, gibt es schon einmal das „Heilig, heilig, heilig“ als Hörprobe.

Mit dem Eingangsrezitativ, der spannungsgeladenen Ouvertüre und dem verhältnismäßig langsam angegangenen, dennoch sehr intensiv musizierten Eingangschor „Hilf, Herr!“ gibt Krumbiegel dann auch gleich die Richtung dieses „Elias“ vor: Kraftvoll, dramatisch, packend! Unterstützt durch den intonatorisch sicheren und klanglich sehr homogenen Chor sowie ein solides bis fabelhaftes Solistenquartett zeichnet er die verschiedenen Stimmungen expressiv und glaubwürdig nach. Allerdings wäre bisweilen weniger mehr gewesen. So vergibt sich Krumbiegel die von Mendelssohn langfristig angelegte Steigerung in der Szene am Berg Karmel, als er bereits die ersten Beschwörungen der Baalspriester gar zu laut und aufgeregt singen läßt. Schade auch, dass es im ersten Teil bis auf das „Wirf dein Anliegen auf den Herrn“ des Solistenquartetts nie wirklich leise wird. Den lyrischen Verweilpunkten inmitten des dramatischen Geschehens, etwa dem Chor „Wohl dem, der den Herren fürchtet“ oder dem berückend schönen Doppelquartett „Denn er hat seinen Engeln befohlen“, hätte etwas weniger Aufgeregtheit und dafür mehr Differenziertheit gut getan. Dies ist allerdings nicht zuletzt dem Orchester zuzuschreiben, aus dem es stellenweise zu dick und vordergründig tönt. Auch das Blech geht trotz historischen Instrumentariums mitunter recht forsch zu Werke, so dass an manchen Stellen die Klangbalance etwas durcheinander gerät.

Doch angesichts einer in sich geschlossenen, sehr aussagekräftigen und von großer Freude an der Musik gekennzeichneten Aufführung wiegen derlei Dinge nicht zu schwer. Zumal es im zweiten Teil in den Chören „Siehe, der Hüter Israels“ oder „Wer bis an das Ende beharrt“ durchaus zarte Momente gibt. Als Wermutstropfen ist hier allerdings das intonatorisch völlig missglückte Engelsterzett zu verbuchen.

Unter den Solisten kann Susanne Krumbiegel mit ihrer warmen, weichen Altstimme sowohl in den betrachtenden Arien und als Engel gefallen, wie auch als intrigante, rachsüchtige Königin überzeugen. Ebenso Regina Werner, die als Witwe ungeheuer viel Verzweiflung, Flehen und schließlich befreiten Lobgesang in ihren Part hineinlegt und zu Beginn des zweiten Teils in „Höre, Israel“ und „Ich, ich bin euer Tröster“ alle Register ihres Könnens zieht. Dabei macht sie sich die Botschaft dieser Musik sichtbar zu eigen und singt sie unmittelbar heraus. Jörg Hempel gestaltet einen kraftvoll kämpferischen Propheten Elias im ersten Teil, läßt aber dann mit zu opernhaft-dramatischem Gestus die Weiterentwicklung und Wandlung der Figur vermissen. Niels Giesecke hat anfangs noch mit Intonation und Spannungsbögen zu kämpfen, findet aber als König Ahab zu gewohnter Form und singt abschließend ein wunderbares „Dann werden die Gerechten leuchten“.

Der begeisterte Applaus in der vollen Heilig-Kreuz- Kirche mag als Zeuge dafür gelten, dass an diesem herrlichen Sommerabend großartige Musik ihre Zuhörer erreicht hat und ihnen sehr nahe gekommen ist.

Felix Mendelssohn Bartholdy, Elias
Solisten, Leipziger Oratorienchor, ein Orchester
Leitung: Martin Krumbiegel

22.06.2002 Heilig-Kreuz-Kirche Neustadt.

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