Wie aus Kreuzworträtseln ein Roman wird

Axel Brauns liest aus seinem Roman „Buntschatten und Fledermäuse“ im Rahmen des 8. Festivals „Kunst ist verrückt“

Als das Publikum allmählich den Raum füllte, saß der Autor bereits an seinem Tisch und machte in aller Ruhe seinen Soundcheck. Er winkte einem Kameramann, der den Abend filmte für einen Beitrag in der Reihe 37° des ZDF, und wirkte so gar nicht wie ein Autist. Oder wie man sich einen Autisten vorstellt. ?Ich bin kein Rainman?, bemerkte Axel Brauns dazu später. Er lächelte wie selbstverständlich ins Publikum und schien den Abend zu genießen. ?Das Gute am Autismus ist, dass ich im Gegensatz zu anderen Autoren kein Lampenfieber habe?. Ansonsten bietet diese Wahrnehmungsstörung keine sonderlichen Vorteile im Reich der Buntschatten und Fledermäuse.

Buntschatten sind gutartige Lebewesen, sie haben Geduld mit Autisten, ihre Worte haben eine Chance, in die autistische Welt vorzudringen. Fledermäuse sind böse, hektisch und reden viel zu schnell. Was hier wie geheimnisvolle Figuren aus einem Fantasy-Roman wirkt, ist für Axel Brauns auch nach fast 40 Jahren noch Realität. Er begann die Lesung mit den ersten Kapiteln aus seinem chronologisch geschriebenen Roman, der seine Entwicklung vom 2. bis 20. Lebensjahr wiedergibt. Am Anfang steht ein kleiner Junge, der sich immer mehr ins Schweigen flüchtet, weil ihm das Sicherheit bietet. Stimmen der Mitmenschen ?verdunsten?, Gesichter lösen sich zu ?Pfützen? auf, Silben ?verdorren?.

Sogleich fällt einem neben dem realistischen Berichten die poetische Qualität der Sprache auf. Die ?Haha? (Mutter) ?macht Lippenlärm?, die Menschen verschwinden aus dem Gesichtskreis des Jungen, dafür werden die Dinge magisch aufgeladen. Die Vertiefungen im Teppich von verrückten Möbeln bereiten dem Kind Beschwerden, die Heizung spendet Trost, monotone Handlungen, wie ein Vorhang, der immer wieder auf- und zugezogen wird, ?bilden ein Muster, das Belohnung in sich selbst? findet. Nur wenige Worte finden den Weg in seine Welt, die dann wie ein Mantra wiederholt werden und den Text beinahe liedhaft strukturieren. Baiser, Baiser, Baiser. Das wundersame Schaumgebäck der Omi.

Mindestens genauso spannend wie der souveräne Vortrag des Autors war der zweite Teil des Abends, die Diskussion. Axel Brauns nahm die am häufigsten gestellte Frage von Journalisten gleich vorweg: Warum ist dieser Roman ein Sachbuch? Und gab sogleich die Antwort: Weil dem Verlag Hoffmann und Campe für 2001/2002 ein Spitzentitel bei den Sachbüchern fehlte und die Belletristik bereits mit eingekauften Titeln gefüllt war. Das sei ihm gar nicht recht gewesen. Daraus spricht das Selbstbewusstsein eines Autors, der sich zu Recht als Romancier fühlt und dabei ist, einen zweiten Roman zu konzipieren. ?Kein Autistenroman, eher etwas Phantastisches?, wie der Autor verriet.

Doch wie entstand sein erster Roman? Wie fand ein Mensch überhaupt Worte, die für ihn jahrzehntelang ohne Bedeutung waren? Da kam Axel Brauns der Beruf seiner Mutter zugute: Sie betreibt eine Kreuzworträtselredaktion. Schon zu Schulzeiten, also Anfang der 80er Jahre, begann Brauns, seiner Mutter bei der Konstruktion der Rätsel zu helfen. Die Sprachgeometrie der Kreuzworträtsel überforderte ihn nicht, diese Aufgabe ?im Mienenfeld der Sprache? schien für ihn lösbar. Die Aufgaben steigerten sich mit den Jahren, Axel Brauns begann, Witze für Zeitschriften zu erfinden, kleine, überschaubare Geschichten. Und er fing an zu schreiben, zunächst Kurzgeschichten, doch die Idee dieses Romans und seine Vorentwürfe reichen ebenfalls schon 17 Jahre zurück.

Seit 1998 setzte er sich bewusst den Buntschatten und Fledermäusen aus, zwang sich zur Öffentlichkeit, belegte einen Schreibkurs und gründete einen literarischen Salon. Er lernte es immer besser, die Menschen wahrzunehmen, aus ihren nebelhaften Gesichtern zu lesen und glaubte an seine Karriere als Schriftsteller. Dann kam im Oktober 2000 der Förderpreis der Stadt Hamburg und kurz darauf das Angebot des Verlages Hoffmann und Campe.

Nicht ohne Selbstironie wies Axel Brauns am Ende der Diskussion auf die für ihn wichtigste Stelle im ganzen Buch hin und machte damit einen kleinen Exkurs in den autistischen Humor: Auf Sylt existiert eine Straße, deren Name auf dem Schild am Anfang anders geschrieben wird als an ihrem Ende. Und auf dem Stadtplan steht sogar eine dritte Schreibweise! Diese seltsame Straße passt eben in kein Kreuzworträtsel …

16.09.02, Moritzbastei

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