Ein Gefühl von Glück und Stolz

Ein Konzert mit Goran Bregovic: Tales & Songs from Weddings & Funerals

Eröffnet wird das Konzert durch einen Klarinettisten, der eine typisch serbische Tracht trägt. Mit schnellen lebensfreudigen, zugleich zärtlichen Tönen umschmeichelt er das Publikum und stimmt es auf die typischen Klänge des Balkans ein. Nach seinem Lied folgen ihm die feierlich in schwarz gekleideten Streicher und drei mit Trachtenkleidern des Balkans bekleidete Sängerinnen auf die Bühne. Der Klarinettist wechselt in eine melancholische Melodie, die Streicher begleiten ihn. Die Frauen heben zu einem Klagelied an, das die Zuhörer in sich kehren läßt. Noch bevor der Applaus abebbt, setzt irgendwo im Rücken des Publikums ein Trompeter ein, der langsam eine neue Melodie anspielt. Die Köpfe drehen sich. Wo mag der Bläser sein? Doch nur in den letzten Reihen kann man erkennen, daß sich fünf Blechbläser, die ebenso gekleidet sind wie der Klarinettist, im Zickzackkurs durch den Saal bewegen. Allmählich gehen sie auf die Bühne zu, und einer nach dem anderen stimmt in die Melodie mit ein. Auf der Bühne angelangt, hat sich das Lied der einsamen Trompete in ein lebendiges, vor Temperament überschäumendes Stück verwandelt, das die Zuhörer in Wallung bringt und die restlichen Musiker auf die Bühne lockt.

Der Leadsänger Saban Bajramovic, der aussieht wie eine Mischung aus Tartare und Harley-Davidson Fahrer führt einen mit schwarzen Anzügen bekleideten Männerchor auf die Bühne. Noch ein Platz bleibt frei… Bajramovic entpuppt sich als Dirigent, Schlagzeuger und energiegeladenes Improvisationstalent, der Streicher, Chor, Sängerinnen und Bläser fest in seiner Hand hält und seinen eigenen Part fehlerlos mit einbringt. Die Faszination des Publikums schlägt in Begeisterung um, als letztendlich auch Goran Bregovic, ganz in weiß, die Bühne betritt.

Das „Enfant terrible“ Ex-Jugoslawiens tritt mit schüchterner Neugier dem Jubel entgegen, nimmt auf dem letzten Stuhl Platz und übernimmt die Führung. Mit dem Rücken zum Ensemble bestimmen seine kreisenden Beckenbewegungen den Rhythmus des jeweiligen Stücks. Hebt er seine Hand auf die eine Weise, hört der Chor auf ihn, hebt er sie auf eine andere Weise, setzen die Bläser oder Streicher ein – nur die Sängerinnen scheinen autonom ihren Beitrag zu leisten. Im Gegensatz zu dem kontrollierten Komponisten übernimmt Bajramovic die Show. Narzistisch beweist er dem Publikum sein Können und seinen Spaß. Er läßt sich in die Musik fallen, jederzeit bereit, Bregovics Anweisungen Folge zu leisten und die Führung des Ensembles zu übernehmen oder wieder abzugeben.

Die Zuschauer sind gefangen in den mal märchenhaften, mal grotesken oder utopischen Klängen dieser Aufführung, die wie eine Ethno-Rock-Oper anmutet. Es scheint, als wenn der Name der Tour Programm ist. Trotz einer ausgewogenen Auswahl der Lieder ist das Konzert zu Anfang geprägt von melancholisch traurigen Weisen und Klageliedern. Die feierlich schwarze Bekleidung von Orchester und Chor lassen unweigerlich Gedanken an die Szene einer Beerdigung aufkommen. Diese Bilder werden im zweiten Teil vollkommen weggewischt. Die Musik gewinnt immer mehr an Tempo, die fröhlichen Lieder werden immer mehr zum Ausdruck einer unbändigen Lebenslust. Die Sänger und Streicher können sich kaum noch ruhig halten, überall sieht man wenigstens eine Zehenspitze wippen. Auch das Publikum selbst kann nicht mehr ruhig bleiben. Es wird getanzt – allerorts wird fasziniert und mit höchster Spannung das Spektakel beobachtet, und immer wieder wird der Rhythmus begeistert mitgeklatscht. Alle nehmen sie teil an dem, was inzwischen zur Hochzeit geworden ist, deren Bräutigam Bregovic selbst zu sein scheint.

Es bleibt jedem selbst überlassen, darüber nachzudenken, wessen Tod der Künstler beklagt, bevor er Hochzeit macht. Doch wer Bregovics Geschichte kennt, wird unweigerlich assoziieren, daß die Zerstörung des multiethnischen Sarajevos betrauert wird. Die Zigeunermusik verdrängt den Verlust, sie wird zum Lebenselixier, sie ist die Braut.

Musikalisch wird dieses Thema durch den aus Filmen („Schwarze Katze, weißer Kater“ oder „Time of the Gipsys“) bekannten Stil Bregovics umgesetzt. In seinen Stücken führt er die unterschiedlichen Volksweisen des Balkans zusammen, vermischt sie mit Elementen der Klassik, ohne dabei seine alten jugoslawischen Rock-Kompositionen außen vor zu lassen. Seine neuen Arrangements basieren auf den unterschiedlichsten Themen, die jedem Bewohner des Balkans im Ohr liegen. Sie alle verfremdet er und läßt sie in die geliebten Zigeunerweisen übergleiten. Daß sein musikalisches Konzept Erfolg hat, zeigt der immer rasender werdende Applaus der ca. 500 Zuschauer. Mit ungeahnter Energie und Vehemenz fordern sie nach dem Ende des Konzerts eine Zugabe. In dieser überwinden Bregovic und sein Ensemble die Ernsthaftigkeit und Kontrolliertheit ihrer Aufführung: Bregovic unterhält sich endlich mit dem Publikum, macht ein paar Witze, derweil seine Blechbläser trompetend und posaunend zu tanzen beginnen. Auch Bajramovics Temperament kommt zu vollem Zug. Angefeuert von Bregovic wird sein Spiel und Gesang zu einem dionysischen Akt.

Trotz der relativ geringen Zuschauerzahl beendete das Ensemble sein Konzert mit einem Gefühl von Glück und Stolz, mit ihrer Musik die Herzen der Zuhörer geöffnet zu haben. Bregovic nimmt bescheiden den Applaus des Publikums entgegen, bevor das Licht erlischt.

Konzert mit Goran Bregovic: Tales & Songs from Weddings & Funerals

17.09.2002 Haus Auensee

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