Klasse trotz Budgetkürzungen

Die 26. Leipziger Jazztage vom 25.09. – 28.09. 2002

Die Zeiten, in denen Dichter wie Goethe auf breiter Front aktiv Einfluß auf eine Kulturlandschaft nehmen konnten, sind längst vorbei. Heutzutage hat die Kultur an Lobby eingebüßt und einem unsäglichen Rentabilitätsdenken Platz machen müssen. Die Veranstalter der Leipziger Jazztage, der Jazzclub Leipzig e.V., bekamen dies in diesem Jahr besonders stark zu spüren. Kürzungen des Budgets und die Unlust der Sponsoren gefährdeten das Festival, dessen Konzept es ist, nicht nur große Namen, sondern auch die neuesten Entwicklungen innerhalb der Jazzszene vorzustellen. Trotz dieser widrigen Umstände konnte das Konzept verwirklicht werden. Leider blieben diesmal einige Besucher lieber zu Hause; vermutlich wegen der Nachwirkungen des „Teuros“. Am Angebot kann es jedenfalls nicht gelegen haben, denn das war ausgewogen, abwechslungsreich und vielschichtig.

Rhythmusfanatiker kamen beim Auftaktkonzert des Festivals auf ihre Kosten. Die Karim Ziad Band aus Paris eröffnete den fröhlichen Reigen. Der singende Schlagzeuger und Percussionist Karim Ziad stammt ursprünglich aus Algerien und vereint seine nordafrikanischen Wurzeln mit Jazz, Rock und Funk. Bekannt wurde er durch die Zusammenarbeit mit dem vietnamesischen Ausnahmegitarristen Nguyún L?. Sein kraftvolles Spiel im Verbund mit Gesängen des Maghreb begeisterte das vornehmlich junge Publikum und animierte es zum Tanzen. Die frische und natürliche Performance heischte der Band viel Sympathie ein.

Respekt und Bewunderung brachte das Publikum dem mittlerweile 79jährigen Saxophonisten Charlie Mariano entgegen. Begleitet wurde der „Alt-Meister“ und Weltenbummler durch den argentinischen Gitarristen Quique Sinesi, mit dem er sich auf eine lyrische Liaison einließ. Nach wie vor entlockt Mariano dem Saxophon seine „Tears of Sounds“, so daß einige Konzertbesucher die Tränen nicht zurückhalten konnten.

Entzauberung stellte sich dann im Konzert des Chris Cutler Projekts ein. Das von der Bundeszentrale für politische Bildung geförderte und extra für die Leipziger Jazztage in Auftrag gegebene Werk „If being counted…“ hinterließ Langeweile und leere Ränge. Der englische Schlagzeuger und Komponist Cutler versuchte sich in einer Soundcollage mit Songstrukturen thematisch den gegenwärtigen globalen Konflikten in einer gefährdeten Welt zu nähern. Sein Projekt sollte in Verbindung zu einer Doppelausstellung des hiesigen Museums der Bildenden Künste und des Zeitgeschichtlichen Forums verstanden werden. Die fehlende musikalische Spannung und elektronische Belanglosigkeiten verärgerten einige Gäste und trieben sie aus dem Saal. Einzig die Leistungen der drei am Projekt beteiligten amerikanischen Sängerinnen sind erwähnenswert.

Die sogenannte All-Star-Band „Together Again“ mit Bob Malach (Saxophone), Michal Urbaniak (Violine), Jasper van’t Hof (Piano und Keyboard) und Alphonse Mouzon (Schlagzeug) fand sich nach zehnjähriger Abwesenheit wieder zusammen, früher unter dem Bandnamen „Just Friends“ bekannt. Alphonse Mouzon zeigte sich sowohl beim Autogrammeverteilen wie beim Schlagzeugspielen wenig zurückhaltend. Sein krachendes „Sich-Selbst-Produzieren“ überdeckte die Leistungen seiner Mitspieler, so daß über deren musikalische Darbietungen hier nichts weiter gesagt werden kann.

Bedeutend einfühlsamer präsentierte sich das Richie Beirach Quartet. Der Wahlleipziger Beirach, versehen mit einer Professur für Jazzpiano an der hiesigen Musikhochschule, gehört zu den ganz Großen des Jazz. Sein Vermögen, klassische europäische Musik in einen jazzigen Kontext zu stellen bzw. Jazz mit einem romantischen Klangideal á la Debussy oder Chopin zu interpretieren, macht in der Regel die Herzen weich und die Augen naß. Natürlich war es gewissermaßen ein Heimspiel, doch allein dem atemberaubenden Zusammenspiel des Quartetts war der Erfolg in Leipzig geschuldet. Beirach, sonst mit Bassist George Mraz und Geiger Gregor Huebner im Studio und auf Tour, hatte sich extra für Leipzig den unvergleichlichen Adam Nussbaum (Schlagzeug) ins Boot geholt. Dessen konzentriertes und subtiles Spiel fügte sich wunderbar ein und ergänzte das Ensemble auf kongeniale Weise.

Einen Tag vor dem Auftritt fiel der Trompeter Paolo Fresu krankheitsbedingt aus. Für ihn sprang kurzfristig Johann Luca Patrella (Posaune) ein. Zusammen mit Antonello Salis am Piano und Akkordeon und Furio di Castri am Kontrabaß spielten sich die drei Italiener durch wilde Harmonien, machten sich frei von Konventionen, fanden zu Themen zurück und überholten sich auf der Endgeraden gegenseitig, wobei Pianist Salis durch unlauteres „Doping“ das Rennen gewann, jedoch den Überblick etwas verlor.

Der bulgarische Virtuose Theodosii Spassov stellte dem Leipziger Publikum die traditionelle Flöte seiner Heimat – die Kaval – vor. Begleitet wurde er vom Oregon-Bassisten Glen Moore und dem routinierten Mino Cinelu auf einem elektronischen Pad. Die drei Musiker hatten in einer zweitägigen Probenphase ein kleines aber unterhaltsames Programm auf die Beine gestellt. Mit Witz und Heiterkeit improvisierten sie über kurzen Themen und streuten mit theatralischem Geschick Rap-Passagen ein. Das Publikum feierte diesen charmanten Auftritt frenetisch.

Die ostdeutsche Modern Soul Band ist seit den siebziger Jahren kein Geheimtip mehr. Mit ihren eigenen Songs und internationalen Soul- und Funkhits bereisen sie das In- und Ausland. Knackige Bläserriffs unterstützten die treibenden Grooves der Rhythmusgruppe. Ein gut aufgelegter Sänger sang von Spinning Wheels und die Konzertbesucher drehten bereitwillig schwitzend ihre Kreise.

Schweißtreibend, vor allem für die Musiker der Akosh S. Unit um den ungarischen Saxophonisten Akosh Szelevenyi, war deren Auftritt in der naTo. Geboten wurde eine ca. eineinhalbstündige freie Improvisation, die Vergleiche mit Coltrane, Coleman und Ayler nahelegt. Unter vollem körperlichen Einsatz und unter Ausnutzung fast aller technischen und akustischen Möglichkeiten streifte die Unit die musikalischen Traditionen der Welt.

Wie in jedem Jahr gab es auch ein Angebot für die kleinen Jazzfans. Das Programm „Kinderleicht“ brachte neugierige Kinder mit improvisierter Musik in Kontakt. Der Leipziger Schlagzeuger Wolfram Dix entwickelte mit der eigens für dieses Programm zusammengestellten Band New Version und dem Steptänzer Sebastian Weber ein lustiges und kindgerechtes Konzept, bei dem auf anschauliche Weise Jazzgeschichte und musikalische Spezifika vermittelt wurden.

Im Völkerschlachtdenkmal zu Leipzig nutzte der Wiener Bertl Mütter die Gelegenheit für ein Raum-Klang-Projekt. Mit einer Posaune, einem Euphonium und seiner Stimme lotete er den gigantischen Kuppelraum des Denkmals aus und bewegte sich spielerisch zwischen Komposition und Improvisation.

Die Berliner Band Shank versuchte mit ausgedehnten Klangmalereien die Leipziger Oper zum Klingen zu bringen. Die Band orientiert sich an den neuesten Strömungen der Club- und DJ-Kultur und kombiniert live gespielte Dancebeats mit Samples und allerlei elektronischem Equipment. Nun drängen sich Vergleiche mit Nils Petter Molvaer auf, der mit seiner Band ebenfalls schon Gast bei den Leipziger Jazztagen gewesen ist. Im Gegensatz zu Molvaer & Co verbreitete Shank jedoch nur gepflegte Langeweile. Fazit: Es fehlte an solistischem Format.

Das hatte dann in jeder Hinsicht das Duo Wolfgang Muthspiel (Gitarre) und Rebekka Bakken (Gesang). Der österreichische Gitarrist und die norwegische Sängerin fanden in New York zueinander und erarbeiteten ein fulminantes Programm. Ohne jeden Zweifel darf dieser Auftritt zu den Höhepunkten des Festivals gerechnet werden. Das Duo stellte einen individuell gemixten Cocktail aus Folk, Chanson, Singer-Songwriter-Anleihen, Pop, Avantgarde und Jazz vor. Technisch und musikalisch brillierten sie und versetzten das Publikum in Staunen. Ein heißer Tip für Freunde musikalischer Selbständigkeit.

Den vier Männern des David Murray Quartet mangelte es an musikalischer Eigenständigkeit ebensowenig. Die Band um den Tenorsaxophonisten und Baßklarinettisten Murray ist tief verankert in der afroamerikanischen Musiktradition und zollt ihr Note für Note Tribut. Energisch bis einfühlsam bewegte sich das Quartett auf den Pfaden des Gospel, Rhythm&Blues und Free Jazz.

Ein Jahr nach dem großen Jubiläum konnte das Festival somit das gewohnt anspruchsvolle Niveau der vorangegangenen Jahre halten und erneut ein Engagement für den zeitgenössischen Jazz unter Beweis stellen – trotz leerer Kassen!

26. Leipziger Jazztage vom 25.09. – 28.09. 2002

Oper Leipzig, naTo, Moritzbastei, Musikschule J.S. Bach, Völkerschlachtdenkmal

Programm:

25.09. Moritzbastei: Karim Ziad Band

26.09. Oper Leipzig:

Charlie Mariano / Quique Sinesi
Chris Cutler Projekt
Bob Malach / Jasper van’t Hof / Michal Urbaniak / Alphonse Mouson

27.09. Oper Leipzig:

Richie Beirach Quartet
Antonello Salis / Furio di Castri / Johann Luca Patrella
Theodosii Spassov / Glen Moore / Mino Cinelu

naTo: Akosh S. Unit

28.09. Musikschule J.S. Bach: Wolfram Dix & New Version feat. Sebastian Weber

Völkerschlachtdenkmal: Bertl Mütter

Oper Leipzig:

Shank
Wolfgang Muthspiel / Rebekka Bakken
David Murray Quartet

Morizbastei: Modern Soul Band

naTo: Akosh S. Unit

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