Rot und Schwarz, Ballett von Uwe Scholz (Marcus Erb-Szymanski)

18.10.2002, Opernhaus Leipzig (zweite Vorstellung, Premiere war am 12.10.)
Rot und Schwarz (nach Stendhal)
Ballett von Uwe Scholz

Musik: Hector Berlioz
Inszenierung, Choreographie: Uwe Scholz
Bühne, Kostüme: Toni Businger

Solisten:
Sybille Naundorf als Madame de R?nal (Foto)
Kristina Bernewitz als Mathilde de la Mole
Joan Boix als Julien Sorel (Foto)

Leipziger Ballett / Gewandhausorchester
Musikalische Leitung: Mathis Dulack

(Foto: Oper Leipzig)


Liebe ist ein Tanz im Angesicht des Todes

Kann man einen Roman vertanzen? Zumal einen so vielschichtigen wie „Rot und Schwarz“ von Stendhal? Der Choreographie von Uwe Scholz muss man neidlos zugestehen, das komplexe Prosawerk auf eine bündige Bühnenhandlung reduziert zu haben, die die wesentlichen Momente des Geschehens aufgreift und dabei spannend und interessant bleibt. Und es ist ein ebenso naheliegender wie origineller Gedanke, dazu Musik von Hector Berlioz unterzulegen. Die Ästhetik von beiden, von Stendhal wie Berlioz, ähnelt sich frappierend darin, dass inmitten des scheinbar harmlosen Verwendens von konventionellen Stilmitteln und Inhalten immer wieder Opfer auf den Altären des individuellen Verlangens und Fühlens dargebracht werden. So lodern die Feuerstätten der Leidenschaft in der Musik nicht minder als in den Handlungen des Julien Sorel und brennen ein ums andere Mal Löcher ins Netz der ästhetischen Konventionen bzw. der gesellschaftlichen Moral.

Nun ist das „Klassische Ballett“, das an der Leipziger Oper gepflegt wird und das häufig durch standardisierte Posen und Ensembleszenen geprägt ist, weniger geeignet, individuelle Gefühlsmomente darzustellen als vielmehr allgemeinen Bräuchen, Sitten und Umgangsformen Rechnung zu tragen. In dieser Hinsicht wirkt eine solche Choreographie in Bezug auf das Sujet oft mehr illustrierend als deutend, mehr nachbildend als weiterentwickelnd. Das gilt auch für das Bühnenbild, das schöne Illustrationen bietet, die jeder bibliophilen Ausgabe des Romans gut angestanden hätten, teils sogar Schattenbilder im Scherenschnitt-Format. Und es gilt leider auch für die Musik, die gerade in den ruhigen und ausdrucksstärksten Momenten sich aller Flexibilität und Beweglichkeit enthalten muss, um die Tanzschritte nicht zu verwirren.

Und dennoch, dies sei nun wiederum den Kritikern des konservativen Balletts ins Album geschrieben, fallen gerade in den „genormten“ Bewegungsformen plötzliche Abweichungen umso mehr auf. Jeder Schritt „daneben“, der unerwartet aus dem Rahmen fällt, wird sofort als das verstanden, was er ist: als eine Geste, ein Ausdruck, mit der sich ein individueller Wille Geltung verschafft. Teilweise gelingt es Scholz auch, durch die direkte Gegenüberstellung und Parallelität von Ensemble- und Soloszenen das Spannungsfeld zu umreißen und die Handlung voranzutreiben.

Doch am deutlichsten lassen sich die Stärken und Schwächen einer solchen Choreographie anhand der drei „Liebesduette“ verdeutlichen, in denen die Solisten ein enormes Ausdrucksvermögen zeigen. Ist die Liebesnacht von Julien und Madame de R?nal nicht frei von Klischees verschiedenster Prägung, führt die sehr viel heftigere Auseinandersetzung mit Mathilde zu einem häufigeren Ausscheren der Bewegungen und ist daher um vieles reicher und dynamischer. Aber auch hier stören symbolträchtige Accessoires, wie der Degen, mit dem Julien in freier Auslegung eines Nietzsche-Worts zum Weibe geht und sie am Ende damit tatsächlich auch niederringt. Der eigentliche Höhepunkt der Aufführung ist dann der verzweifelt-glückliche Pas de deux von Julien und Madame de R?nal am Vorabend der Hinrichtung. Hier fallen alle Konventionen zusammen mit den Kleidern ab, der Tanz wird erkennbar als zu Bewegung gewordene Emotionen und diese werden als solche in ihrem Kontrast zu den „klassischen“ Bewegungsformen bewusst auch wahrgenommen. Und weil sich an dieser Stelle die rein musikalische Darbietung ebenfalls freier gebärden kann und sich zu höchster Intensität aufschwingt, wird der Schluß fast zum Sinnbild überhöht: Liebe ist ein Tanz im Angesicht des Todes.

(Marcus Erb-Szymanski)

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