Nicht in Leipzig, aber in Berlin: One nite alone with Prince
Während Rezzo Schlauch langsam Richtung Ausgang geht, kurz vor halb Zwölf nachts, sitzt ein nachdenklicher, weiß gekleideter Mann aus Minneapolis an seinem E-Piano und murmelt ins Mikrofon, ?Immer sage ich, ich werde diesen Song nicht spielen, um es dann letztlich doch zu tun?.
Sagt es, und spielt die Anfangsakkorde von `Purple Rain´, die sich in ein 15minütiges Melancholiedchen auflösen sollten, das Renato, der brasilianische Keyboarder, mit bewundernswertem Feingefühl noch Minuten nach dem Abtreten der anderen Musiker (und dem dann doch am Ausgang ausharrenden Schlauch) nach Hause brachte.
Der nachdenkliche, weiß gekleidete Mann ist Prince. Jener sich und seine Wurzeln immer wieder aufs Neue Suchende, der der einst vom Freak im Wollschlüpfer zum rüschendekorierten Megastar wurde, nur um dann seine Fanschar auf den einzig wichtigen gemeinsamen Nenner zu reduzieren, die Musik.
Wer gekommen ist, um Purple Rain zu hören, sei auf der falschen Party, sagt der 44jährige noch zu Beginn des Konzertes. Ein Widerspruch scheinbar, es nicht nur doch zu spielen, was er in vorherigen Konzerten ebenfalls tat, sondern den purpurnen Regen auch noch als ekstatischen Schlussakkord auf das rezeptorisch eh schon überforderte Publikum herabfallen zu lassen.
Vor diesen magischen Mitt-Achtziger Momenten lagen drei Stunden, in deren Verlauf Prince bewies, dass er aus einem schier unerschöpflichen Energiebrunnen zu schöpfen scheint, aus dem er nach diesen Stunden jedem ein gehörig Maß mit auf den Weg gibt. Die Musik, deren Wurzeln nun endgültig nicht mehr im Pop-Löß, sondern im Funk-Lehm sprießen, suggeriert mit jedem Ton, dass Prince mit beiden Beinen im Jetzt steht, gelegentlich zwar den einen oder anderen Griff in die Vergangenheit tut, aber nur, um bis zu 22 Jahre alte Songs in vorwiegend neu arrangierte Gewänder zu kleiden. Glücklicherweise verplemperte er die wertvolle Zeit des Abends nicht, und zog sich nur ein einziges Mal, vor der fast einstündigen Zugabe-Session, um. Außerdem wird die akustisch spektakuläre Show optisch von einigen hauptsächlich sehr reduziert gehaltenen, geloopten Videoprojektionen begleitet, die unter anderem auch Impressionen von Berlin enthielten.
Die Emphase des Konzerts lag auf dem aktuellen Album `The Rainbow Children´, das, entgegen anderer Behauptungen, über ein kleines Label vertrieben wird und fast überall zu bestellen, und in vielen Plattenläden gar direkt zu kaufen ist (für alle Leipziger: bei ´wom´ für mickrige 14,95 ?!!!). Und es verwunderte nicht, dass er sich neben den aktuellen Songs schwerpunktmäßig der Highlights seines vor `The Rainbow Children´ vielleicht `schwärzestem´ Albums, `Sign o‘ the times´, bedient.
Die durch `The Rainbow Children´ führende heruntergepitchte Stimme meldet sich nur zu Beginn (live), später ist auch noch die als Thomas Jefferson angekündigte hochgepitchte Stimme zu hören, die uns ermahnt ´if there is a just God, then we gonna pay 4 this!´. Ansonsten gibt es Musik pur. `Muse 2 the Pharaoh´ wird schneller als auf dem Album durchgepeitscht, während `Mellow´ zum Eponym wird und dermaßen im Tempo verschleppt, dass das eh schon unpopuläre ur-europäische Rhythmusgefühl an seinen Existenzrand geführt wird. Rhonda Smith, die scheue, wie souveräne Bassistin, lässt sich von den von rechts nach links und quer durch die Mitte zu früh und zu spät kommenden Klatschversuchen nicht aus der Ruhe bringen, ebenso wie der superbe Drummer John Blackwell, der während der Funksongs die Snare knacken lässt, mit seinem Spiel dranbleibt und die anderen doch weglässt, der, wenn er sich bei Popsongs wie `Take me with U´ langweilt, den Drumstick in der rechten Hand herumwirbelt, bevor er dann doch pünktlich aufs Becken kracht, der während seines Solos die Bassdrum durchgrooven lässt und dabei Wasser trinkt, sich fiktiv frisiert und im Spiegel betrachtet.
Die Funkkracher vom `The Rainbow Children´-Album, `The work ptI´, `Family Name´, ´The Everlasting Now´ und das knochentrockene `1+1+1=3´ werden an diesem Abend allesamt gespielt und bieten neben der schon erwähnten und gelobten Drum´n Bass-Abteilung auch der dreiköpfigen Bläserfraktion die Möglichkeit, ihr unzweifelhaftes Können unter Beweis zu stellen. Zu dieser Bläsergruppe gehörte trotz hartnäckigster Behauptungen NICHT Maceo Parker, der sich zwar zuvor bei den Konzerten in Frankfurt und Hamburg für seine eigene Tour warm gespielt hatte, die nun aber am 18.10.02 begann.
Aber was heißt hier leider! Neben der von Prince seinerzeit (1989) entdeckten und protegierten Candy Dulfer (´?whenever I want sax, I call Candy, Candy, Candy?) und dem Posaunisten Greg Boyer, Maceo Parkers Posaunist, der auch schon mit George Clinton, Al Green und den Reggaeveteranen Third World spielte, taucht ein für jeden Prince-Fan bekanntes, wie geschätztes Gesicht auf: Eric Leeds. Und der beweist, warum er einer der Musiker ist, die einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf Prince´ ?uvre haben dürften. Zusammen mit seinem Trompeter-Kumpel Atlanta Bliss sorgt er u.a. für den richtigen Ton auf `Sign o´the times´ und `Lovesexy´ und den dazugehörigen, auf Film und Video verewigten, Konzerten. Und so fügt er sich mit Leichtigkeit in die Musik ein, nur um dann wieder aus ihr heraus zu ragen. Er findet diesen damals schon einzigartigen Ton, der einem suggeriert, dass wenn Prince Saxophon spielen könnte, er genauso klänge wie Eric Leeds.
Zwischen all den neuen Funknummern reihen sich Hits und Evergreens wie `Pop Life´, `Money don´t matter 2nite´, `Strollin´, `When you were mine´, `Raspberry Beret´, `Take me with U´ oder `Strange Relationship´ mühelos ein. Doch man kann sich auf das hyperkreative, unberechenbare Genius dieses Mannes niemals hinreichend vorbereiten, und so hilft es auch nichts, tagelang zu recherchieren, welche Songs auf der bisherigen Tour gespielt wurden. Aus dem Marianengraben des royalen ?uvre wird das vom zweiundzwanzig Jahre alten zweiminütigen, countryesken Demo zur Soulballade umgestylte ´Gotta broken heart again´ geborgen. Somit bleibt `Extraordinary´,1999 Warner Brothers als `Perlen vor die Säue´ hingeschmissen und auf dem die Vertragskette endgültig lösenden `The Vault´-Album veröffentlicht, der Titel des `unerwartetesten Songs´ verwehrt.
Dass eben jenes `Extraordinary´, in Las-Vegas-Gala-Manier vorgetragen und der endgültige Beweis für Prince´ virtuosen Umgang mit seiner Stimme, in oben genannter virtueller Kategorie letztlich nur den dritten Platz einnähme, liegt daran, dass Prince und Band plötzlich den Led Zeppelin-Klassiker `Whole lotta love´ in einer das Original huldigenden und doch in die Paisley dekorierte Dimension übertragenen Version präsentieren, unterstützt von einer psychedelischen Videoprojektion, die in jedem Liberace-Konzert willkommen gewesen wäre.
Weniger überraschend, aber umso erfreulicher, dass auch Joni Mitchells `A Case of you´ gespielt wird. Schon 1983, bei der Geburtsstunde des halben Purple Rain-Albums im Rahmen eines Benefiz-Konzerts, nahm der damals 25jährige seine Gitarre, schloss die Augen und gab eine Gänsehautversion dieses Songs zum Besten. Nun, 2002, hat er diesen Song in einer pianolastigen Version auf dem `members only´-Album `One Nite Alone´ verewigt. Seine Zuneigung zu der blassen, hageren Songwriter-Ikone tat er zuvor sowohl auf dem Albumcover des ´81er Werks `Controversy´ kund als auch mit der Textzeile im, am Samstag in Berlin ebenfalls live dargebotenen, Song `The Ballad of Dorothy Parker´: `I turned on the radio and it was JONI singing `Help me (I think I´m falling)?´.
Neben Led Zeppelin und Joni Mitchell wird aber auch `Love Rollercoaster´ von den Ohio Players (größter Hit `Skintight´) gecovert, gedehnt und als Plattform für dilettantische Verrenkungen von auf die Bühne gebetenen und von selbiger verscheuchten (Prince: `Somebody get these people off my stage!!!´) Fans missbraucht.
Nach zirka zwei Stunden endet der Hauptteil des Konzertes. Prince zieht sich um, das Publikum applaudiert und jubelt zehn Minuten. Dann kommt das Meisterchen zurück, setzt sich an sein E-Piano, und bittet die Zuschauer, sich zu setzen, ihn `machen zu lassen´ und zu genießen.
Und dazu gibt er genügend Anlass.
Zuerst präsentiert er, sich selbst mit seinem gefühlvollen autodidaktischen Pianostil begleitend, ein ausführliches Medley von `One Nite Alone´ über `Adore´ und `Condition of the heart´ bis hin zu `Diamonds & Pearls´, bei dessen Refrain die Band wieder voll einsteigt. Es folgen `Nothing compares 2 U´ mit herrlichen Bläsersätzen, und damit auch jeder noch so anspruchsvolle Freak nichts mehr zu beanstanden hat, folgt eine fast Original getreue Vollversion von `The Beautiful Ones´. Das 17 Jahre lang unter den Tisch gekehrte `The Ladder´ bildet scheinbar den innehaltenden Abschluss eines Abends. Der Großteil des Publikums singt mit bei der Suche nach der symbolischen Leiter, die zu höheren Sphären und Seelenheil führt. Prince sagt fast entschuldigend:`I can´t go now´, spielt `Starfish & Coffee´ und bekommt beim Refrain tausendfache Unterstützung.
Erschöpft und verstummt, gleichermaßen traurig und beseelt verstummen alle und der Meister übernimmt die Stimmgewalt über den atmosphärische ungemein dicht zusammengerückten Saal. `Sometimes it snows in April´ erklingt, und fesselt. Die Ballade vom verstorbenen Christopher Tracy, der übrigens kurz vor seinem Tod noch den teilweise von Prince (`1999´) geklauten Bangles-Hit `Manic Monday´ schrieb, und die Frage liegt in der Luft, ob er (Tracy/Prince) denn nun, am Ende der jenseitigen Leiter, `die Antwort auf all den Aprilschnee´ gefunden hat.
Und dann kommt der oben angesprochene Widerspruch, ertönt das scheinbar unvermeidliche, an seinen Namen gekettete `Purple Rain´.
Doch war es dann schon wieder ein logischer Schluss, wenn man miterlebt hatte, wie direkt davor dieses intime, von projizierten Schneeflocken unterstütztes ´Sometimes it snows in April´ den Saal auf den kleinstmöglichen gemeinsamen Nenner Namens ´Ergriffenheit´ reduzierte. Und wenn die Antwort auf den Aprilschnee die Sonne im Kopf ist, dann schmilzt der Schnee und wird zu Regen, in diesem Fall zu purpurnem.
Am Ende eines unvergesslichen Abends mit einem der ganz Großen der modernen Musik, bleibt die Hoffnung, dass die Regenbogenkinder weiter wachsen und irgendwann stark genug sein werden, um Purple Rain von Prince zu befreien (oder umgekehrt?), um es in die Freiheit der Musikgeschichte zu entlassen und dann stattdessen einem Song wie Last December, diesem nahezu perfekten Kunstereignis, den letzten Nostalgie-Halskloß nehmen.
One nite alone with Prince
19.10.02 im ICC, Berlin
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