Giacomo Puccini: Turandot (Johanna Gross)

26. Oktober, Opernhaus Halle
Giacomo Puccini: Turandot (Repertoire, Premiere war am 14. September)

Regie, Bühne, Kostüme, Licht: Pet Halmen
Musikalische Leitung: Roger Epple

Orchester des Operhauses Halle
Chor des Opernhauses Halle

Besetzung: siehe im Anschluss


Puccinis inszeniertes Scheitern

Der unerbittliche Stolz Turandots hat Giacomo Puccinis letzte Lebenskraft gekostet – so könnte es nach Pet Halmens Fassung (erstmals 1993 in der deutschen Oper am Rhein aufgeführt) interpretiert werden. Tatsächlich verstarb der Komponist, noch bevor er die Oper hatte beenden können. Somit blieb sie ein Fragment, deren Ende nach Puccinis bereits angefertigten Skizzen von Franco Alfano, einem seiner Schüler, posthum fertiggestellt wurde.

Der plötzliche Wandel der kaltblütigen, eisernen Lady Turandot in ein liebesglühendes Wesen erscheint in der Oper kaum glaubhaft. In der literarischen Vorlage von Gozzi (1762) und Schiller (1802) ist die chinesische Prinzessin noch in ihren Gefühlen zwischen einem gemeinsamen Leben mit dem tartarischen Exilprinzen Calaf und ihrem emanzipatorischen Freiheitsdrang hin- und hergerissen. Daher ist ihre Verwandlung aufgrund ihrer inneren Zerrissenheit in den beiden Textvorlagen noch nachvollziehbar. Dagegen erscheint sie in Puccinis Oper als ein kaltblütiger Racheengel, der den Tod seiner Ahnin A. Lou-Ling sühnt, die in Urzeiten von ihrem eigenen Mann entführt wurde.

Ein gewisser Grad an Menschlichkeit geht im Libretto von G. Adami und R. Simoni vollständig verloren. Dort tritt Turandot als eine herrische und kaltherzige Furie auf, die kaum noch einer Gefühlsregung fähig ist. Und so erscheint Tatiana Chivarova vor dem Hintergrund omnipräsenter Masken als eine ?vom Eis umgürtete?, grell geschminkt und wie gespickt mit spitzen Haarnadeln. Sie, die nichts anderes als kühle Verachtung für ihre Bewerber übrig hat, singt so zynisch und vor sprühendem Hass glühend, dass man sich wahrhaftig fragen muss, ob diese Frau noch eine Seele besitzt. Im glitzernden Gewand tritt sie unerreichbar hinter einem bullartigen Auge auf und wirkt durch das gewölbte Glas wie verzerrt. Mit blutig roten Händen verkündet sie dem an den Rätseln gescheiterten Prinzen von Persien das Todesurteil.

Pet Halmens Idee, den langwierigen Entstehungsprozess des Bühnenwerkes mit dem Libretto zu verspinnen, erweist sich als pfiffiger Schachzug, um der unausgegorenen Konzeption des Textes zu entgehen. Er lässt den alternden Puccini, der zu Beginn verzweifelt versucht, am Flügel die Oper noch vor seinem Ableben zu beenden, zum hilflos blinden Tartarenkönig werden. Seine eintretenden Diener tragen neben der Verkleidung als bebrillte Putzfrauen mit Haushaltsschürze die grotesken Masken der Minister Ping, Pang, Pong, ein junger Fremder, in dem sich Puccini als junger Mann wiederzuerkennen glaubt, verwandelt sich in die Gestalt des Calaf. Sein Dienstmädchen erscheint ihm als des alten Königs Timur Sklavin Liu.

Die zentrale Problematik in dieser Inszenierung wird beim Übergang von Lius Sterbearie (hier ist Puccinis auskomponierter Teil beendet) zum angesetzten Liebesduett von Calaf und Turandot erkennbar. Der Regisseur lässt den blinden Timur aus Verzweiflung über den Verlust seiner liebenden Sklavin, deren Sterbearie mit tiefem Mitgefühl von Romelia Lichtenstein gesungen wird, dahinscheiden. Nachdem Puccini in seine ursprüngliche Gestalt zurückgekehrt ist, wird die sich aufgeopfert habende Liu in seinem Flügel beerdigt, an dem nun auch der gescheiterte Komponist aus Gram und Verzweiflung stirbt. Diese zu Herzen rührende Szene, die Puccinis unverkennbare Sympathie für Liu offenbart, erschwert jedoch das Verständnis für Turandots unvermittelt darauffolgenden Liebesbeweis für Calaf. Halmen rettet sich aus dieser Misere, indem er das Geschehen mit dem Tod Timurs quasi enden lässt. Calaf und Turandot werden ziellos zurückgelassen und können den musikalischen Teil erst abschließen, nachdem ein Verlagsbote Franco Alfanos Komposition der letzten Takte gebracht hat. Somit wird das Liebesduett konzertant aufgeführt und entgeht damit jedem Ansatz unglaubwürdigen Liebesschmachtens von Seiten Turandots.

Eine besondere Rolle, die szenische Gestaltung des Volkes, spielt der Chor. In dem von Pet Halmen sehr kargen, aber mit grell wechselnden Farben ausgestatteten Bühnenhintergrund wirken die Personen in ihren graublau eintönigen Maoanzügen wie eine unbestimmte, leicht suggerierbare und damit bedrohliche Menschenmasse. Ohne tiefere Begründung steht die Menge einmal auf der Seite Turandots, dann wieder auf der Seite der von ihr Abgewiesenen. Die rasch umschwingenden Emotionen scheinen sich im Hintergrund wiederzuspiegeln, wenn die Bühne von kaltem Gelb in blutiges Rot wechselt, was an die Ausstattung mancher Chinarestaurants erinnert. Zum Ende hin wird es wahrhaft grotesk, wenn das geknechtete Volk dem nun ebenfalls unerreichbar gewordenen Calaf, der seinen Platz hinter dem verzerrten Bullauge an der Seite Turandots eingenommen hat, mit der roten Maobibel in der Hand zu seiner Vermählung gratuliert.

Den Gegenpol dazu bilden die drei sehr beweglichen und intelligenten Minister Ping, Pang, Pong. Vogel, Randazzo sowie Molina verkörpern in ausgezeichnet abgestimmtem Zusammenspiel die zahlreichen Facetten der Nebenfiguren, die nicht nur komisch, sondern ebenso Zyniker der Macht und Schergen eines absurden Systems sind. Stimmlich sehr schön aufeinander abgestimmt erzählen sie in blaue Tintenfässer gepackt den Gang der chinesischen Geschichte, später unterhalten sie sich weltmännisch über ihr Bedürfnis, sich von aller Verantwortung zurückzuziehen, um bald darauf als Handlanger Turandots der Sklavin Liu körperliches Leid zuzufügen.

Vor diesem Hintergrund erscheint Calaf mit seiner fanatischen Liebe wie ein verblendeter Märchenprinz. Mag die Figur dadurch psychologisch auch nicht sonderlich interessant wirken, so gab ihr Puccini dennoch entflammende Gesangsparts mit auf den Weg. Daher war es teilweise bedauerlich, dass Richard Brunner eher unauffällig blieb und sich mitunter in den Schatten der beiden hervorragend singenden Hauptdarstellerinnen stellte, obwohl er einen schönen hellen Tenor besitzt. Der Part der Liu erschien teilweise etwas zu mütterlich, aber Romelia Lichtenstein überzeugte dafür mit einem warmen, gefühlvollen Sopran, der gänzlich im Gegensatz zu dem sehr hohen, damit stellenweise enger klingenden Sopran der Turandot stand. Deren schwere Arien wurden von Tatiana Chivarova ? auch in darstellerischer Hinsicht – bewundernswert gemeistert. Das sehr klar und prägnant klingende Orchester, insbesondere in den charakteristischen Teilen der Blechbläser sowie des Schlagzeugs, unter der Leitung von Roger Epple erschien zeitweilig recht dominant, so dass die Solisten sehr viel Kraft aufbringen mussten, um sich über den Orchestergraben hinaus genügend Gehör zu verschaffen, was dann bei den schwierigen Gesangsparts auch nicht immer glückte.

Ein Besuch nach Halle ist, soviel sei abschließend gesagt, überaus lohnenswert, denn die Aufführung des musikalischen Scheiterns von Giacomo Puccini wurde von Pet Halmen sehr glaubwürdig und stringent inszeniert.

(Johanna Gross)

Turandot: Tatiana Chivarova
Calaf: Richard Brunner
Der alte Puccini/Timur: Jürgen Trekel
Hausmädchen/Liu: Romelia Lichtenstein
Ping: Gerd Vogel
Pang: Tommaso Randazzo
Pong: Jordi Molina
Verlagsbote/Mandarin: Ki-Hyun Park
Prinz von Persien: Rainer Stoß
Kaiser Altoum: Hans-Jürgen Wachsmuth

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