Gebremste Emotion

Ein Klavierabend im Mendelssohn-Saal mit Josef Christof und Werken von Janácek,Brahms,Holliger und Hartmann

Am vergangenen Sonntag gab Josef Christof einen Soloklavierabend im Mendelssohn-Saal des Gewandhauses. Auf dem Programm standen Leos Janáceks Po zarostlém chodnícku (Auf verwachsenem Pfade), Johannes Brahms‘ Vier Klavierstücke op. 119, Elis von Heinz Holliger und die Sonate 27. April 1945 von Karl Amadeus Hartmann.

Es ist ein wenig schwierig, etwas über die pianistische Leistung dieses Abends zu sagen. Josef Christof ist ein Pianist, der sich eher in der Musik der Moderne, also des zwanzigsten Jahrhunderts, zuhause fühlt, als in derjenigen des neunzehnten. Schon in Leoš Janáceks Klavierzyklus wurde das deutlich. Die Stücke entstanden zwar in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts, weisen aber Janácek doch deutlich als einen Komponisten aus, dessen Wurzeln tief im 19. Jahrhundert liegen. Es ist ein Zyklus der Erinnerungen, durchzogen von leiser Wehmut. Diese ließ Josef Christof vermissen. Er lauschte den Tönen nicht mit jener Mischung aus Lächeln und Weinen nach, die Janácek sich gedacht hatte.

Übrigens unterschlug man den tschechischen Originaltitel des Zyklus‘, Po zarostlém chodnícku, komplett, nicht nur auf den aushängenden Konzertplakaten, sondern auch im Programmheft. Weder in der Übersicht noch im Text wurde er genannt. Ebenso erging es den einzelnen Satztiteln. Sollte der deutsche Titel das Publikum anlocken? Wohl kaum. Wer den Klavierzyklus kennt, kennt ihn auch unter seinem tschechischen Titel, wer ihn nicht kennt, kennt ihn gar nicht, da ändert die deutsche Übersetzung dann auch nichts. Offensichtlich mag das Gewandhaus seinem Publikum nichts Fremdes zumuten. Französische, italienische und englische Titel hält man noch für vertretbar, aber bei Tschechisch ist’s aus. Als Riccardo Chailly im September ein Konzert des Gewandhaus-Orchesters leitete, wies das Programm Respighis Pini di Roma und Strawinskys Le sacre du printemps doch auch im Original aus. Die Sprachen der östlichen Nachbarn taugen aber offensichtlich nur zum Übersetzten.

Was Christof bei Janácek vermissen ließ, reichte er leider auch in den Vier Klavierstücken op. 119 von Johannes Brahms nicht nach. Sein Spiel blieb nüchtern, wo man den großen emotionalen Ausbruch erwartet hätte.

Der zweite Teil des Konzerts bot dann zwei Werke des 20. Jahrhunderts. Heinz Holligers drei kurze Nachtstücke für Klavier, Elis, aus dem Jahr 1961, verklangen schnell, wie ein Hauch, der eben durch den Raum weht. Dies war wohl vom Komponisten auch genau so gedacht, und hier wurde Christof der Forderung der Musik gerecht. Die Sonate 27. April 1945 von Karl Amadeus Hartmann behandelt brutalere Szenen. Hartmann hat sie komponiert, nachdem er den Todeszug der Häftlinge des KZs Dachau hatte beobachten müssen. Die Sonate übersetzt dieses bedrückende Erlebnis in deutliche Töne. Hier konnte Christof sich frei spielen und dem Stück die Kraft des Ausdrucks geben, die es verlangt.

Klavierabend mit Josef Christof

Werke von Janácek, Brahms, Holliger und Hartmann

Sonntag, 27. Oktober 2002, Gewandhaus, Mendelssohn-Saal

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